Am Abend des 13. April starteten die iranischen Streitkräfte Hunderte von Drohnen des Typs Shahed von Militärbasen im Westen von Iran aus in Richtung Israel. Bereits einige Stunden zuvor hatten amerikanische und israelische Stellen berichtet, dass es deutliche Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff gebe.
Nach und nach wurde der Luftraum über den Ländern des Fruchtbaren Halbmondes gesperrt, schliesslich sperrte auch Iran den Luftraum über Teheran und den Teheraner Flughafen selbst. Die Flugbewegungen der Drohnen konnten vom Irak aus gut beobachtet werden. Später folgten ballistische Raketen und Marschflugkörper, deren Ankunft in Israel mit der Ankunft der Drohnen synchronisiert werden sollte.
In einer erstaunlich gut koordinierten Aktion gelang es israelischen, US-amerikanischen und britischen Luftwaffen- und Marineeinheiten, die Drohnen und Marschflugkörper mit Raketen und Flugzeugen fast vollständig abzuwehren. Fast alle der 300 bis 500 Raketen konnten abgefangen werden. Am nächsten Tag hiess es, 99 Prozent der iranischen Raketen seien abgefangen worden. Auch die jordanische und sogar die saudi-arabische Luftwaffe griffen in die Flugabwehr ein.
Noch in der Nacht unterstützte die libanesische Hizbullah die Angriffe mit Raketenbeschuss. Am frühen Morgen kehrte wieder Ruhe ein. Die Staaten des Nahen Ostens gaben ihren Luftraum wieder frei, die Fluggesellschaften nahmen ihren Betrieb im Nahen Osten wieder auf.
Anlass des Angriffs war die gezielte Tötung von Kommandeuren und Offizieren der iranischen al-Quds-Einheiten, des internationalistischen Flügels der iranischen Revolutionsgarden, bei einem Raketenangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus. Schon damals hatte sich bestätigt, dass Israel die Revolutionsgarden als terroristische Vereinigung einstuft und damit auch die gezielte Tötung ihrer Kommandeure nach einer Vorgabe des Obersten Gerichtshofs in Israel für zulässig hält. Die iranische Seite hingegen argumentierte, dass es sich bei dem Angriff um eine exterritoriale Einrichtung der Islamischen Republik Iran und damit um einen kriegerischen Akt gegen Iran gehandelt habe. Der iranische Revolutionsführer Khamenei kündigte zum Ende des Fastenmonats Ramadan Vergeltungsmassnahmen an. Amerikanische und britische Truppen wurden in der Vorwoche verstärkt und israelische Einheiten, soweit nicht bereits mobilisiert, in Alarmbereitschaft versetzt.
Grenzen der iranischen Strategie
Der Angriff kam nicht überraschend. Überraschend war jedoch, dass er nicht wie erwartet vom Libanon oder von Syrien aus erfolgte, sondern direkt von Iran aus. Die iranische Führung war sich bewusst, dass sie mit dem Angriff ein enormes Risiko für das Land einging. Sie musste damit rechnen, dass Vergeltungsmassnahmen der israelischen Streitkräfte direkt gegen Iran erfolgen könnten.
Nach den Angriffen in der Nacht zum 14. April wird sich zeigen, ob Israel seine Fähigkeit unter Beweis gestellt hat, solche «beispiellosen Angriffe» (Biden) abzuwehren und Iran von weiteren «Aktionen» dieser Art abzuschrecken. Es bleibt abzuwarten, ob Iran sich propagandistisch mit den spektakulären Bildern hunderter Lichtpunkte seiner Drohnen und Raketen am israelischen Himmel zufrieden gibt. Diese Bilder sollen die Fähigkeit des iranischen Militärs demonstrieren, dass seine Drohnen und Raketen Israel tatsächlich erreichen können.
Die enge militärische Zusammenarbeit Israels mit den USA und Grossbritannien bei der erfolgreichen Abwehr von Drohnen und Raketen wird Iran jedoch gezeigt haben, dass seiner militärischen Strategie Grenzen gesetzt sind. Zudem muss Iran zur Kenntnis nehmen, dass bei solchen Aktionen selbst Länder wie Jordanien und Saudi-Arabien an der Seite Israels stehen und sogar bereit sind, ihre Luftwaffe einzusetzen, um bei der Raketenabwehr zu kooperieren.
Probelauf? Dilettantischer Fehlschlag?
Sehr schnell verbreiteten iranische Stellen daher ein Erklärungsnarrativ, das vor allem in nationalistischen Unterstützerkreisen Palästinas begierig aufgegriffen wurde. Demnach habe es sich um einen bedrohlichen Probelauf gehandelt. Der Generalstabschef der iranischen Streitkräfte, Generalmajor Bagheri, erklärte die «Strafmassnahmen» des Militärs für «beendet» und betonte, sein Land habe die israelische Luftabwehr durchbrochen, ohne Zivilisten oder wirtschaftliche Einrichtungen zu gefährden. Entsprechend kolportierten iranische Medien, der Angriff sei «ein Sieg der Abschreckung für Iran» gewesen. Iran habe Israel die Gelegenheit gegeben, sich auf einen iranischen Angriff dieser Grössenordnung vorzubereiten und eine Raketenabwehr zu ermöglichen. Iran habe es meisterhaft und verantwortungsvoll verstanden, Vergeltung zu üben, ohne einen grossen Krieg auszulösen. Der Iran habe gezeigt, wozu seine Streitkräfte fähig seien, aber diesmal habe er sich selbst Grenzen gesetzt. Wenn Israel jetzt Vergeltung üben wolle, werde die iranische Reaktion ganz anders ausfallen.
Die israelischen und westlichen Medien kontern mit einem eigenen Narrativ: Der Angriff sei ein grandioser, ja dilettantischer Fehlschlag gewesen. Er dokumentiere die technologische, militärische und strategische Unfähigkeit der iranischen Führung.
Riskantes Spiel mit dem Feuer
Tatsächlich dürfte der Angriff auf Israel weit mehr als eine Drohgebärde gewesen sein. Allein eine Shahed-Drohne kostet je nach Modell bis zu 375’000 US-Dollar. Zwar gibt es auch iranische Drohnen, deren Produktionskosten unter 50’000 US-$ liegen sollen, doch ist deren Reichweite deutlich eingeschränkt. Zudem produziert Iran Drohnen vor allem auch für Russland, das für eine Massenproduktion mit einem Sondereinkaufspreis von unter 200’000 $ einen Rabatt ausgehandelt hat. Wie dem auch sei, das nächtliche Unternehmen dürfte die iranischen Streitkräfte sicherlich mehr als 100 Millionen Dollar gekostet haben.
Wenn Iran, wie behauptet, die Angriffe auf Israel so geplant hätte, dass die Raketen/Drohnen von den israelischen, US-amerikanischen und britischen Streitkräften abgefangen werden könnten, um seine Fähigkeiten zu demonstrieren, wäre das ein ziemlich riskantes Spiel mit dem Feuer gewesen.
Das System muss Handlungsfähigkeit beweisen
Wichtiger sei für Iran jedoch das Signal nach innen: Die Islamische Republik Iran steht solidarisch zum al-Quds-Flügel der Revolutionsgarden und riskiert dafür sogar einen offenen Krieg mit Israel und dem Westen. An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass das politische System in Iran auf zwei Säulen ruht: zum einen auf der Ordnung der «Islamischen Republik», also der Regierung, ihrer Ministerien und damit der regulären Streitkräfte, und zum anderen auf der Ordnung der «Islamischen Revolution», die in Gestalt der Revolutionsgarden über eine eigene Exekutive und Militärmacht verfügt. Zwischen den regulären Streitkräften der «Islamischen Republik» und den Revolutionswächtern der «Islamischen Revolution» besteht eine tiefe Konkurrenz, die sich auch auf die Pfründe bezieht, mit denen das System seine bewaffneten Verbände privilegiert. Der israelische Angriff auf das Konsulat in Damaskus wurde von iranischen Stellen als Angriff auf die Revolutionsgarden interpretiert. Dies spiegelt auch die Auffassung der israelischen Regierung wider, dass die Revolutionsgarden der eigentliche Feind Israels seien und die reguläre iranische Armee in ihrer Konkurrenz zu den Revolutionsgarden unterstützt werden müsse.
Das politische System in Iran, das auf dieser dualen Ordnung beruht, ist in hohem Masse auf Legitimität angewiesen. Genau diese Legitimität wurde aber von den Revolutionsgarden in Frage gestellt, als die iranische Führung aus ihrer Sicht lax auf frühere Tötungen ihrer Kommandeure, etwa von Qassem Solaimani im Januar 2020 in Bagdad, reagierte. Nun, nach der Tötung der Kommandeure der Kurdeneinheiten in Damaskus, drohte das System in eine Legitimitätskrise zu geraten. Das System musste daher Handlungsfähigkeit demonstrieren, um seine Legitimität zurückzugewinnen. So erhoffte sich das System durch den Angriff auf Israel einen Zugewinn an systemischer Legitimität, die es dringend benötigt, um die Konfrontation mit dem «Islamischen Staat», den Separatisten im Südosten Irans, im Süden Aserbaidschans und in den kurdischen Gebieten sowie den innergesellschaftlichen Reformkräften zu überstehen. Ob es dazu in der Lage sein wird, hängt davon ab, ob es seine Angriffe als «Erfolge» verkaufen kann.
Israel würde massiv reagieren
Die Reaktion der Proxies im Libanon, in Syrien, im Irak, in Gaza und in Jemen ist schwer einzuschätzen. Der Raketenbeschuss Nordisraels durch die Hizbullah schien wenig koordiniert mit den iranischen Angriffen. Iran hat in der jüngeren Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass er seine politischen, militärischen und strategischen Entscheidungen nicht von den Interessen seiner Proxies abhängig machen will. Dies wurde deutlich, als die iranische Führung ihre Angriffsdrohung nicht als politisches Instrument einsetzte, um Israel von einem Angriff auf Rafah oder Hamas-Stellungen abzuhalten. Die Hamas wird argwöhnen, dass ihr Krieg für Iran zweitrangig ist.
Es ist zu erwarten, dass Israel auf einen Angriff massiv reagieren würde. Es entspräche jedoch der israelischen politischen Strategie, wenn sich die militärische Reaktion gegen die Revolutionsgarden selbst richten würde. Nicht zufällig hat Israel gerade jetzt den Weltsicherheitsrat aufgefordert, die Revolutionswächter zu einer terroristischen Organisation zu erklären. Israel wird daher bei seinen Reaktionen ein besonderes Augenmerk auf die Stellungen der Revolutionsgarden in Syrien, im Irak und im Libanon legen. Dann wird das Spiel wieder von vorne beginnen: Wird sich Iran erneut herausgefordert sehen, seine Solidarität mit den Revolutionsgarden unter Beweis zu stellen, oder wird Iran, wie einige systemkonforme Oppositionelle in Iran fordern, auf Distanz zu den Revolutionsgarden gehen, um das eigene System nicht zu gefährden?
Eskalation fürs Erste abgewendet
Die USA haben Israel informiert, dass sie sich nicht an einem israelischen Gegenschlag gegen Iran beteiligen werden. Israel hat daraufhin einen solchen Gegenschlag vorerst aufs Eis gelegt. Damit dürfte fürs Erste eine Eskalation abgewendet sein. Aus der Beteiligung arabischer Länder an der Verteidigung Israels ergibt sich aber zugleich eine neue regionalpolitische Lage. Die Frage ist offen, ob Jordanien und Saudi-Arabien für ihre Unterstützung ein Entgegenkommen Israels in der Gaza- und Zweistaatenfrage eingehandelt haben.