Wer zynisch und schnell genug war, konnte an der Tokioter Börse einen hübschen Reibach mit Leerverkäufen machen: Bis Dienstagabend knickte sie um über 16 Prozent ein, erholte sich aber am Mittwoch wieder um knapp 6 Prozent. Dazu trug sicher auch bei, dass die japanische Notenbank Geld wie blöd in die Märkte pumpte: Alleine am Montag 15 Billionen Yen (172 Milliarden Franken), neuer Weltrekord, und am Mittwoch weitere 3,5 Billionen Yen (über 40 Milliarden Franken). Damit dürfte die japanische Staatsverschuldung das Doppelte der Wirtschaftsleistung der Insel erreichen (zum Vergleich: bei Griechenland geht man in diesem Jahr von 150 Prozent des BIP aus).
Börsenanalysen in Trümmern
Aber alle Behauptungen, dass mit den Methoden der modernen Finanzwissenschaften zuverlässige Aussagen über zukünftige Entwicklungen möglich seien, haben sich wieder einmal als das erwiesen, was sie schon immer waren: reiner Mumpitz. Ganze Analystenheere trompeteten in den letzten Monaten mit zunehmender Phonstärke, dass es weltweit wieder aufwärts gehe, anziehende Konjunktur, Nachfrage, Basisdaten durchaus optimistisch stimmend, Potenzial, Luft nach oben. Muschelwerfen oder andere magische Wahrsagereien haben auch keine schlechtere Trefferquote.
Denn das Problem mit der Zukunft ist ja, dass sie zwar gewisse Wahrscheinlichkeiten enthält, aber Ausreisser und Unvorhergesehenes immer möglich sind. Prognosen haben jedoch eine zunehmende Trefferquote, wenn man sich den klaren Blick auf ein paar banale Tatsachen bewahrt. Wie zum Beispiel die, dass eine extrem erdbebengefährdete Insel mit alten und schlampig gebauten AKW an der Küste, die nur ungenügend gegen seismische Erschütterungen und fast nicht gegen Tsunamis geschützt sind, auf einer tickenden Zeitbombe sitzt. Dass die explodiert, war völlig klar, nur wann war natürlich nicht prognostizierbar.
Der Vergleich zur letzten Finanzkrise liegt auf der Hand. Vorher wollte es niemand sehen, nachher war es unvorhersehbar. Das wird auch bei der nächsten so sein.
Wie geht’s weiter?
In der Weltwirtschaft, und damit soll das unsägliche Martyrium der Menschen in Japan nicht ausgeblendet werden, spielt das Desaster in Japan aber keine grosse Rolle. In der globalisierten Produktion werden halt mehr VW, Mercedes oder GM verkauft, eine Zeitlang weniger Toyota, Honda und Nissan. Vielleicht kommt es zu Engpässen in der Herstellung einiger Computerbestandteile, und Apple muss die Auslieferung des iPad 2 runterfahren. Die gigantische japanische Staatsverschuldung wird auch nicht für grosse Unruhe sorgen, über 90 Prozent der Staatsanleihen befinden sich im Besitz einheimischer Investoren. Vielleicht muss Japan allenfalls etwas mehr Zinsen für neue Schulden zahlen, aber bei einem aktuellen Zinssatz von 2,13 Prozent für Anleihen mit 20-jähriger Laufzeit, wohlgemerkt nach der Katastrophe, ist das auch kein Problem. Also haben sich die optimistisch trompetenden Analysten doch nicht getäuscht? Falsch.
Die Probleme liegen woanders
Wie bei einem japanischen AKW ist es in der Finanzwelt ja nicht die Frage, ob es kracht, sondern wann. Unbezahlbare Staatsschulden, finanziell gesehen klinisch tote Staaten wie Griechenland, Portugal, Irland sowie die meisten US-Bundesstaaten, faktisch bankrotte Pensionskassen zu Hauf, die niemals ihre Rentenversprechungen einlösen können, die Überschwemmung der Welt mit Gratis-Geld dank einer verbrecherischen Niedrigzinspolitik aller grossen Notenbanken, ein völlig dereguliertes Bankensystem, das befeuert mit diesem Gratis-Geld die nächsten grossen Blasen herstellt und dabei absurde Kernkapitalrenditen von 25 Prozent realisiert, das sind die Anzeichen drohenden Unheils. Gegen die um die Erde schwebende Wolke von 700 Billionen Dollar virtuelles Geld (im Vergleich zu einem geschätzten Weltbruttosozialprodukt von 60 Billionen Dollar), ist die radioaktive Wolke um das AKW Fukushima ein Klacks.