In Syrien herrscht Waffenstillstand, doch gleichzeitig wird an vier Hauptfronten energisch gekämpft. Asads Truppen und Kampfflugzeuge, die für die Eroberung von Aleppo eingesetzt wurden, können nun – nach dem Fall der nordsyrischen Metropole – gegen die Milizen der „Eroberungsfront“ (früher „Nusra-Front") eingesetzt werden. Sie und die Kämpfer des „Islamischen Staats“ sind vom Waffenstillstand ausgeschlossen.
Unklar ist, wie jene Rebellengruppen zu behandeln sind, die gemeinsam mit der Eroberungsfront kämpfen und die sich bereit erklärt hatten, den Waffenstillstand zu befolgen. Die Asad-Truppen sowie ihre verbündeten Milizen von Hizbullah und aus Iran wollen auch gegen diese Gruppen kämpfen, weil sie mit der Ex-Nusra-Front zusammenarbeiten.
Die Russen jedoch scheinen eher der Ansicht zu sein, man solle versuchen, die Ex-Nusra-Front zu isolieren, indem man sie trennt von den Gruppen, die den Waffenstillstand akzeptieren.
Kampf um das Barada-Tal
Asad und seine schiitischen Verbündeten nutzen den gegenwärtigen Waffenstillstand, um ihre Truppen neu zu formieren und sie rund um Damaskus einzusetzen. Dort gibt es immer noch Zonen, die vom Widerstand kontrolliert werden.
Auch im Barada-Tal kontrolliert der Widerstand noch immer ein kleines Gebiet mit zehn Dörfern am Oberlauf des Barada-Flusses. Hier dominieren neben der Ex-Nusra-Front vor allem Gruppen des Dschaisch al-Islam (Heer des Islams). Das Gebiet ist wichtig, weil hier Quellen liegen, die die Hauptstadt mit Wasser versorgen. Ende Dezember wurden sie beschädigt, und seither herrscht in Damaskus Trinkwassermangel. Die Regierung beschuldigt die Rebellen, sie hätten die Quellen mit Dieselöl verunreinigt. Doch diese sagen, die Regierung habe die Pumpstation, die Ain al-Fija heisst, bombardiert und zerstört.
Vermittler ermordet
Bis zum vergangenen Dezember hatte die Pumpstation funktioniert. Die Rebellen duldeten, dass sie von Ingenieuren aus der Hauptstadt in Stand gehalten wurde. Als stillschweigende Gegenleistung hatten die Regierungstruppen, die das Gebiet umzingelt haben, darauf verzichtet, es anzugreifen. Doch nach dem Fall von Aleppo verfügt nun die Asad-Armee über freigewordene Einheiten, um die Bergregion zu erobern.
In der vergangenen Woche haben Damaskus und die Barada-Rebellen einen Vertrag ausgehandelt. Vermittler war Ahmed Ghadban, ein pensionierter Brigadegeneral der syrischen Armee, der aus dem Barada-Tal stammt und sich dorthin zurückgezogen hatte. Er galt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Tals. Das Abkommen sah vor, dass die Rebellen freien Abzug aus dem Tal erhalten sollten.
Doch Ghadban wurde am 14. Januar von einem Heckenschützen erschossen, als er sich bei den Quellen aufhielt. Wer der Täter ist, ist unklar. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Mord von Fanatikern verübt wurde, die den Kampf fortführen wollen. Nach dem Mord brachen neue Kämpfe aus, und die syrische Luftwaffe bombardierte das Tal. Parallel dazu wird nach Angaben syrischer Offiziere weiterverhandelt. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Abkommen doch noch in Kraft tritt. Asad erklärte gegenüber französischen Journalisten, seine Truppen hätten den Auftrag, sich der Quellen zu bemächtigen.
Letzter Widerstand in der Ghuta
Auch nördlich der Hauptstadt, im östlichen Teil der „Ghuta“-Oase, gibt es noch Widerstand gegen die Regierung. Syrische Kampfflugzeuge, die jetzt in Aleppo nicht mehr gebraucht werden, haben begonnen, das Gebiet heftiger denn je zu bombardieren.
In der Ghuta kämpft Dschaisch al-Islam. Dieses „Heer des Islams“ wird von den Russen als genügend „moderat“ eingestuft, um als qualifiziert für den Waffenstillstand zu gelten. Doch auch die Siegesfront (Ex-Nusra) und andere Gruppen, die mit ihr zusammenarbeiten, sind in der Oase präsent. Im vergangenen Sommer kam es zu heftigen Zusammenstösse zwischen dem Dschaisch al-Islam und Gruppen, die sich von ihm losgesagt und sich auf Seiten der Siegesfront geschlagen hatten. Zu den Zwischenfällen kam es, weil Geistliche, die dem Dschaisch al-Islam dienten, ermordet wurden. Die Bevölkerung demonstrierte damals, um die beiden Gegner zu veranlassen, ihren Streit zu beenden und sich gemeinsam der Bedrohung durch Asad zu stellen. Die syrische Armee konnte den Zwist ausnützen, um die südlichen Teile der Ost-Ghuta zu besetzen und den Rest, weiter im Norden, zu umzingeln. Nun, nach dem Fall von Aleppo, ist Asad auch dort zur Offensive übergegangen. Er versucht offenbar alle Widerstandsnester nahe bei seiner Hauptstadt auszuschalten.
Kurdisch-arabische Offensive gegen Raqqa
Im Nordosten Syriens steht der „Islamische Staat“ unter Druck. Bekämpft wird er dort sowohl von Kurden, als auch von arabischen Milizen der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF „Syrian Democratic Forces“). Sie werden von der amerikanischen Luftwaffe und amerikanischen Sondertruppen unterstützt. Ziel der Kurden und der Araber ist die Eroberung von Raqqa, der offiziellen Hauptstadt des „Islamischen Staats“.
Kurdische und arabische Offiziere erklären, ihre Truppen hätten das nördliche Ufer des Euphrat-Stausees oberhalb von Raqqa erreicht. Ihr nächstes Ziel ist die fünf Kilometer entfernte Stadt Tabqa und der Staudamm von Tabqa, der etwa 30 Kilometer stromaufwärts von Raqqa liegt.
Bei Tabqa befindet sich ein wichtiger Flughafen der syrischen Luftwaffe, der 2014 vom IS erobert wurde. In Tabqa und in den Gewölben des Staudamms soll der IS wichtige Gefangene halten, die dort vor Bombardierungen sicher seien. Dort befinde sich auch das Führungspersonal des IS. Würde der Staudamm bombardiert, würde dies bis weit ins Euphrat-Tal hinunter eine Flutkatastrophe auslösen.
Neue IS-Offensive bei Deir az-Zor
Wie im Irak versucht der IS auch in Syrien weiterhin offensiv zu bleiben, obwohl er bei Raqqa in die Defensive geraten ist. Heftige Kämpfe spielten sich in Deir az-Zor ab, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, die unterhalb Raqqas am Euphrat liegt. Die Provinz Deir az-Zor befindet sich seit 2014 in Händen des IS. Doch in etwa der Hälfte der Stadt Deir az-Zor und dem dortigen Militärflugplatz konnten sich die Regierungstruppen halten. Ihre Verbindungen zur Aussenwelt laufen einzig über den Flughafen. Am 16. Januar versuchte der IS, den Verbindungsweg zwischen dem Flughafen und jenen Stadtgebieten zu unterbrechen, die noch von den Regierungstruppen gehalten werden. Nach verlustreichen Kämpfen, die noch im Gang sind, wurden die IS-Angreifer offenbar zurückgeschlagen. Auch bei dieser Offensive setzten die Jihadisten Lastwagen mit Sprengstoff ein, der von Selbstmordattentätern gezündet wurde.
Der Syrien und dem Hizbullah zuneigende libanesische Fernsehsender „al-Mayadin“ berichtete, der IS habe den Flughafen von Deir az-Zor „eingekreist“. Da der Sender auf Seiten der syrischen Regierung steht und daher kein Interesse an einer propagandistischen Falschmeldung zu Ungunsten Asads hat, ist diese Meldung ernst zu nehmen. Doch möglicherweise handelt es sich nur um eine vorübergehende Phase der Kämpfe.
Palmyra vom IS zurückerobert
Da bei der Belagerung und der Eroberung von Aleppo die grössten Teile der syrischen Armee und Luftwaffe im Norden gebunden waren, gelang es dem IS erneut, die Wüstenstadt Palmyra zu erobern. Die Oase war im Mai des vergangenen Jahres mit Hilfe der russischen Luftwaffe von IS-Kämpfern befreit und von der syrischen Armee eingenommen worden. Bis jetzt gibt es keine Meldungen über einen Versuch der Asad-Armee, Palmyra zurückzuerobern. Die syrischen Truppen sind weiterhin knapp. Die Asad-Regierung muss ihre Offensiven darauf beschränken, die für sie wichtigsten Teile Syriens, die sich noch in den Händen der Rebellen befinden, anzugreifen.
Der IS ist für Asad sekundär
Dies geschieht auch aus strategischen Gründen. Der IS ist der Feind aller: der Amerikaner, der Russen, der Iraner, der Saudis, der Türken und der Kurden. Asad kann sich darauf verlassen, dass dieser Feind auch ohne sein Zutun bekämpft werden wird. Die mit der Ex-Nursa-Siegesfront verbündeten Rebellengruppen jedoch sind „seine“ Feinde. Sie werden von Saudi-Arabien und den Golfstaaten unterstützt, und sie waren auch bisher – zögerlich – von den westlichen Staaten gefördert worden. Russland sieht sie als mögliche Beteiligte bei einem noch auszuhandelnden Frieden. Für Asad sind sie daher gefährlichere Gegner als der IS, und ihre Bekämpfung hat für seine Regierung Priorität.
Irak: Langsame Fortschritte bei Mosul
Im Gegensatz zu Syrien gibt es im benachbarten Irak keinen Waffenstillstand im Krieg gegen den IS. Die Kämpfe werden zurzeit an zwei Hauptfronten geführt.
Der Hauptangriff richtet sich gegen die nordirakische Grossstadt Mosul. Dort machen die irakischen Elitetruppen und die reguläre Armee langsame Fortschritte. Die Vorstösse konzentrieren sich vorläufig auf die Stadtteile östlich des Tigris. Dort haben die irakischen Verbände entlang des Flusses einige Positionen besetzt. An der nordöstlichen Peripherie der Metropole haben sie die Ruinen der antiken Stadt Ninive und das weite Gelände der Universität Mosul eingenommen. Nach Angaben irakischer Offiziere befinden sich nun zwischen 65 bis 70 Prozent der östlichen Stadtteile in ihrem Besitz. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Einschätzung der irakischen Armee oft allzu optimistisch ist.
Auch zwei der fünf Brückenköpfe über den Tigris haben die Iraker in Besitz genommen. Alle Brücken sind gesprengt, teils durch Luftangriffe der amerikanischen Koalition, teils durch den IS selbst, der dadurch den Zugang zu den zentralen Stadtteilen und der Altstadt, die auf dem Westufer liegen, erschweren will.
Das Universitätsgelände war nach schweren Kämpfen erobert worden. Laut Einschätzung irakischer Offiziere dauert der Widerstand des IS zwar an, ist aber schwächer geworden. Erste Anläufe der irakischen Einheiten waren steckengeblieben. Daraufhin haben die Elite-Truppen und die irakische Armee, zusammen mit amerikanischen Beratern, ihre Kräfte besser koordiniert und zu einem zweiten Anlauf angesetzt, der jetzt Fortschritte brachte.
Kampf um Haditha
Neben Mosul versuchen die Iraker am Euphrat vorzustossen, und zwar von der Stadt Haditha aus aufwärts gegen die syrische Grenze. Die Euphrat-Stadt Haditha liegt etwa 190 Kilometer nordwestlich von Bagdad entfernt. Die Stadt und der dortige Euphrat-Damm, die lange vom IS belagert wurden, konnten von den Irakern eingenommen werden.
Am 4. Januar jedoch setzten die IS-Kämpfer zu einer Gegenoffensive an und versuchten Haditha zu überrumpeln. Der IS-Angriff erfolgte aus drei verschiedenen Richtungen gleichzeitig. Die Angreifer kamen aus der Wüste und setzten zum Teil Lastwagen ein, die mit Sprengstoff beladen waren und von Selbstmordattentätern gezündet wurden. Dies berichten Stammesführer, die auf Seiten der Regierung kämpfen.
Auch in Bagdad und mehreren Provinzstädten, die von der Regierung kontrolliert werden, verüben IS-Kämpfer immer wieder Selbstmordattentate. Dies ist ein Versuch des „Islamischen Staats“ in der Offensive zu bleiben, obwohl er in Mosul in die Defensive gedrängt wird.