An diesem Mittwoch finden in Pakistan Wahlen für das nationale Parlament sowie die Volkskammern der vier Provinzen statt. Es ist erst das zweite Mal in den 71 Jahren seiner Existenz, dass eine gewählte Regierung die volle Legislaturperiode vollendet und ihr Mandat erneut einer Zivilregierung übergeben kann.
Ex-Regierungschef Nawaz Sharif verhaftet
Damit sind die positiven Aspekte des bevorstehenden Urnengangs aber auch schon gezählt. Nichts illustriert dies besser als die Szenen, die sich vor zehn Tagen auf dem Flughafen von Lahore abspielten. Der Führer der Regierungspartei und mehrmalige Premierminister Nawaz Sharif wurde bei seiner Ankunft aus London verhaftet und per Helikopter ins Gefängnis nach Rawalpindi geflogen.
Er wurde von seiner Tochter Maryam begleitet, einer Parlamentsabgeordneten und der künftigen Bannerträgerin der Pakistan Muslim League (Nawaz). Vater und Tochter waren eine Woche zuvor von einem Anti-Korruptionsgericht zu zehn und sieben Jahren Gefängnis und hohen Geldstrafen verurteilt worden. Der Vorwurf: unerlaubte Grundstückkäufe in London vor zehn Jahren.
Man könnte argumentieren, beide Ereignisse zeigten die Wirkungsmacht demokratischer Institutionen. Sie lehren auch mächtige Politiker, dass sie nicht über dem Gesetz stehen. Dass das Politiker-Duo freiwillig in die Heimat zurückkehrte, obwohl beide wussten, dass dort Handschellen für sie bereitlagen, macht allerdings argwöhnisch. Es lässt erahnen, dass die Wirklichkeit weniger schmeichelhaft sein könnte – wenn nicht gar das Gegenteil des schönen demokratischen Scheins.
Die Panama Papers als Begründung
Das Timing war verräterisch: Zwei Wochen vor den Wahlen, bei denen die Regierungspartei PML(N) ursprünglich die besten Siegeschancen hatte, werden deren Vertreter zu schweren Gefängnisstrafen verurteilt. Wer die Vorgeschichte dieses Justizakts anschaut, wird noch misstrauischer. Vor einem Jahr hatte das Oberste Gericht des Landes Premierminister Sharif gezwungen, zurückzutreten. Es hatte die Veröffentlichung kompromittierender Dokumente im Rahmen der Panama-Papers-Enthüllungen zum Anlass genommen, Sharif zum Rücktritt aufzufordern.
Der Grund: „unehrenhaftes Verhalten“. Das ist allerdings kein Straftatbestand, musste aber dafür herhalten, dass in den Panama Papers nur Sharifs Kinder, nicht aber der Vater des nichtbewilligten Kaufs mehrerer Anwesen in London überführt wurden. Weder diesen noch Sharif gewährte das Gericht rechtliches Gehör. Stattdessen gab es der Korruptionsbehörde den Auftrag, möglichst rasch ein endgültiges Urteil zu fällen – sprich: noch vor den Wahlen, um Sharif die Rückkehr zur Macht zu verbauen.
Die Armee zieht die Fäden
Damit tritt eine alternative Lesart in den Vordergrund, die für die meisten Beobachter Pakistans – auch im Lande selber – ohnehin die naheliegende ist: Die Armee wollte sich des immer unliebsamer auftretenden Politikers entledigen. Früher hätte sie dies mit einem Putsch gemacht. Heute benützt sie die stillschweigende Kollusion des gerichtlichen und administrativen Establishments, um dies eleganter und „demokratischer“ zu bewerkstelligen.
Die Ironie von Sharifs Karriere liegt darin, dass auch diese einer Militär-Kabale entsprang. Sie liegt dreissig Jahre zurück, als es galt, der populären Benazir Bhutto einen Gegenspieler in den Weg zu stellen. Dieser musste demokratisch daherkommen, denn die Militärs hatten unter der Diktatur von General Zia al-Haq viel an Ansehen eingebüsst.
Doch Nawaz Sharif wurde nicht nur der wichtigste Gegenspieler Bhuttos. Angespornt von seiner Popularität entwickelte er immer stärker ein eigenes Profil, das – etwa in der Aussenpolitik – von jenem der Generäle abwich. Dies war der Grund, warum General Musharraf ihn im Jahr 2002 absetzte.
Sharifs vorübergehende Auferstehung
Doch Sharif sollte als Letzter lachen – oder vielleicht doch nur als Vorletzter. Musharraf musste sich 2008 dem Druck der Strasse (und seiner eigenen Generäle) beugen und ging ins Exil. Im Jahr 2013 leitete der wiederauferstandene Sharif ein Gerichtsverfahren gegen den Ex-Diktataor ein – wegen Hochverrats.
Die Generäle hatten die politische Abtakelung Musharrafs hingenommen, weil sein eigenmächtiger Führungsstil dem Image der Armee in- und ausserhalb Pakistans schadete. Doch als Sharif drohte, einen der Ihren vor den Kadi zu bringen, waren seine Stunden einmal mehr gezählt. Dazu kam, dass er versucht hatte, über die Köpfe der Armeeführung mit dem Erzfeind Indien ins Gespräch zu kommen – Indien ist und bleibt Chefsache.
Die Militärs beschlossen, ähnlich wie vor 35 Jahren, einen politischen Herausforderer aufzubauen. Diesmal war es der ehemalige Cricket-Star Imran Khan. Dessen Pakistan Justice Movement (PTI) konnte sich im weiten Spektrum zwischen islamistischen Parteien und sozialdemokratisch ausgerichteten Strömungen nie einen dominanten Platz erobern. Selbst eine immer harschere Islam-Rhetorik half wenig.
Privilegierter Wahlkampf für Cricket-Star Khan
Das änderte sich 2013, als Khans PTI sich mit einem radikalen Mullah zusammentat und während fünf Monaten Islamabad belagerte, um die Regierung Sharif zum Rücktritt zu zwingen. Die Armee rührte keinen Finger, im Gegenteil, die Medien konnten permanent darüber berichten.
Dasselbe geschah nun im Wahlkampf. Der Druck auf die Medien sorgte dafür, dass Khans PTI und eine Reihe islamistischer Herausforderer viel mehr mediale Visibilität erhielten als Sharifs PML. Deren Wahlveranstaltungen wurden massiv gestört, etwa mit Verkehrsbehinderungen für Parteigänger. Zudem wurde Sharif durch eine Flut von Twitter-Trolls eingedeckt. Die Wahlkommission tat das ihre, indem sie in Grossstädten wie Karachi die Grenzlinien vieler Wahlbezirke neu zog, ähnlich dem amerikanischen Gerrymandering.
Entscheidung in der Provinz Panjab
Die Wahl vom 25. Juli wird zeigen, ob diese Einflussnahmen einen erneuten Sieg von Sharifs Partei verhindern können. In Meinungsumfragen hat Imran Khans Partei die PML(S) nun leicht überholt – eine wundersame Veränderung gegenüber der Wahl von 2013, als dessen Partei 35 Mandate errang, verglichen mit Sharifs 166 (die Gesamtzahl liegt bei 342 Sitzen).
Allerdings wird die Wahl in der Panjab-Provinz entschieden werden, die rund 40 Prozent der Abgeordneten stellt. Die Offiziersränge der Armee werden von Panjabis dominiert, doch die Provinz ist auch die Wahlregion, in der Sharifs Partei 2013 knapp achtzig Prozent der Sitze gewann. Zudem wird sie von Sharifs populärem Bruder Shahbaz regiert, der inzwischen auch die Präsidentschaft der Partei übernommen hat.
Es gibt Beobachter, die das Wunschresultat der Armee in einem Wahlausgang ohne klaren Sieger sehen. So nützlich Imran Khan als Herausforderer des Sharif-Clans sein mag, das Interesse der Armee an einer Koalitionsregierung liegt darin, dass sie dann im Hintergrund als Königsmacherin auftreten kann. Sein früheres Image als Playboy und Ex-Gemahl einer Londoner Millionärserbin (jüdischen Glaubens dazu) macht ihn in einem immer devoter auftretenden Land zu einem unsicheren Wert.
Gewaltexzesse und die Armee in einer begehrten Rolle
Dies mag ein Grund sein, warum eine ganze Reihe islamistischer Kleinparteien zugelassen wurden. Dazu gehören auch die über hundert Kandidaten der Milli Muslim League, hinter der sich die Terror-Organisation Lashkar-e-Tayba verbirgt. Deren Gründer Hafiz Saeed hatte ebenfalls seine Kandidatur angekündigt, wurde aber nach internationalen Protesten aus dem Rennen genommen.
Bei einem unentschiedenen Wahlausgang wird die Armee als Königsmacherin einer Koalitionsregierung im Hintergrund die Fäden ziehen können. Die gewaltorientierte Natur vieler Parteien wird es den Militärs zudem erlauben, als Ordnungsmacht aufzutreten und damit, wenn nicht ihre Popularität, so doch ihre Unersetzlichkeit zu demonstrieren.
Dies zeigte auch der jüngste Wahlkampf, der von bisher nie gesehenen Gewaltexzessen begleitet war. Es gab eine Reihe von Attentaten durch Suizidtäter – das schlimmste jenes in der Nähe von Quetta in Balutschistan, wo einem einzigen IS-Bomber über 140 Menschen zum Opfer fielen. Rund 375’000 Soldaten waren laut einem Zeitungsbericht zum Schutz von Kandidaten und Wahlkampfveranstaltungen im Einsatz. Nichts gefällt einer Armee besser, als wenn sie die Schutzpatronin der Demokratie spielen kann.