Unternehmen, denen Marktdominanz vorgeworfen wird, wehren sich in der Regel vehement gegen Einmischung und Eingriffe der Wettbewerbskommission WEKO und versuchen jede Einschränkung zu verhindern oder mindestens zu begrenzen. Für Aufsehen sorgte umso mehr der ungewöhnliche Vorstoss der Swatch Group. Sie gelangte selber mit dem Anliegen an die Weko, diese möge das Unternehmen vom Lieferzwang im Bereich Rohwerke und Bestandteile befreien. Die marktbeherrschende Lage wurde je länger wie mehr als unbequem und unangebracht empfunden.
Grundversorgung der Branche
Die Wettbewerbshüter sehen das anders und beharren im Sinne einer Sicherstellung der Grundversorgung der gesamten Uhrenbranche auf eine Belieferung der Konkurrenz. Nach vielen Gesprächen, einem endlosen Hin und Her und Vorentscheiden hat die Weko nun beschlossen, dass die Swatch Group weiterhin die Branche mit Rohwerken und den notwendigen Bestandteilen versorgen muss. Die nun vereinbarten Modalitäten zielen auf eine Art Lieferung à la carte hinaus. Vorgesehen ist nämlich eine stufenweise Verminderung der Mengen. Auch Nivarox muss die Konkurrenz weiter mit Uhrenbestandteilen (Spiralen usw,) weiter versorgen. Eine endgültige Lösung konnte hier noch nicht erzielt werden. Alles hänge davon ab, wie weit die Kunden künftig Alternativen gefunden haben, die ihr Weiterbestehen sichern. Insgesamt sind etwa 80 bis 90 Firmen direkt betroffen.
Swatch-Spuren in allen Uhren
Swatch Group mit Sitz in Biel ist mit prominenten Luxus Uhrenmarken wie Breguet, Blancpain, Omega, Longines, Rado und einem Dutzend weiterer Marken der grösste Uhrenhersteller der Welt (Umsatz 2012 über 8 Mrd. Fr.). Zudem ist die Gruppe grösste Produzentin von Rohwerken und regulierenden Bestandteilen. Zwei Swatch Tochtergesellschaften, die ETA in Grenchen (SO) und die Nivarox FAR in Le Locle (NE) sorgen in erster Linie für Präzision und Innovation der Hausmarken. In den ultramodernen Produktionsstätten, die Industrie-Pole der Swatch-Gruppe, wird allerdings auch für Dritte gearbeitet. Sowohl ETA (Uhrwerke) und Nivarox FAR(Assortiments) beliefern die gesamte schweizerische Uhrenindustrie. Es gibt kaum eine Schweizer Uhr in der nicht ein Stück Swatch-Technologie versteckt wäre. Die marktbeherrschende Stellung steht ausser Zweifel. ETA verfügt über einen Marktanteil von etwa 70 Prozent bei den Rohwerken, Nivarox kann einen Marktanteil von gar 90 bis 95 Prozent bei den Bestandteilen aufweisen.
Hayeks Vorwurf
Swatch-Firmengrüder Nicolas Hayek (1928 – 2010) sprach schon vor Jahren von einem „Supermarkt“, in dem sich die Konkurrenz bediene. Er warf den schweizerischen Uhrenfirmen vor, sie vernachlässigen den Ausbau der eigenen Produktion. Statt zu investieren, profitieren sie von der Swatch Group, die ihrerseits Jahr für Jahr Millionen für die Modernisierung ihrer Fabrikationsanlagen und Weiterentwicklung für Produkteverbesserungen aufwende. Dank der Swatch-Gruppe könnten diese Firmen kostengünstig ihre Markenuhren zusammenbauen und mit hohen Margen auf den Märkten absetzen, so Hayek. Der Sohn, Konzernleiter Nick Hayek, geht auch in diesem Bereich in Vaters Fussstapfen voran und unterlässt nichts, um die Gruppe aus ihrer marktbeherrschenden Stellung herauszuführen.
Historische Gründe
Ein sofortiger Lieferstop konnte allerdings aus vielfachen Gründen nicht in Frage kommen. Einerseits aus rein wirtschaftlichen Überlegungen nicht. Eine große Zahl von Unternehmen hätte wohl von einem Tag auf den anderen die Produktion einstellen müssen oder mindestens auf gewisse Laederprodukte verzichten. Ein Fabrikant aus dem mittleren Segment hat mir an der letzten Uhrenmesse erklärt, sollte ihm Swatch wichtigeTeile nicht mehr liefern, müsste er die Herstellung eines Chronographen einstellen. Verluste und vor allem Arbeitslosigkeit wären die Folgen eines sofortigen Lieferstops. Daneben gibt es aber auch noch historisch massgebende Gründe, die am Ursprung des Lieferzwangs stehen. Sie sind unmittelbar mit dem Ende der 70er Jahren erfolgten Zusammenschluss der beiden Uhrengruppen Société Suisse de l’Horlogerie SSIH (die sogenannte Omega-Tissot-Gruppe) und der Allgemeinen Schweizer Uhrenindustrie AG (ASUAG) , der Vorstufe zur Gründung der heutigen Swatch Group, verknüpft.
Das Gewicht der früheren ASUAG
Als Nicolas Hayek in den 80er Jahren die Gruppen übernahm und so den Grundstein für die heutige Swatch Group legte, befanden sich auch die ASUAG (mit der ETA) und die Nivarox FAR,im „Paket“. Beide hatten bis dahin unabhängig die Branche mit Rohwerken und Bestandteilen versorgt. Die ASUAG wurde bereit Anfang der 30er Jahre mit Unterstützung vor allem der Kantonalbanken von Bern und Neuchâtel sowie der Eidgenossenschaft gegründet. In ihr wurde die marktführende Ebauches SA eingegliedert. Ziel war es damals, den Uhrenfirmen den Zugang zu Rohwerken und Assortiments in einem geordneten Rahmen zu erleichtern und so den Weg zu einer strukturierten Produktion zu ebnen. Die Probleme wurden allerdings nicht gelöst, wie die spätere Uhrenkrise zeigte. Die ASUAG versuchte noch mit einem Befreiungsschlag aus ihrer Notlage herauszufinden, indem sie zu Beginn der 70er Jahre das Fertigprodukt integrierte. Sie vereinte kurzerhand ihre zahlungsunfähigen Kunden und gründete die General Watch Co (GWC) in der Marken wie Longines, Rado, Mido, Certina eingebracht wurden. Alles fand später Platz in Hayeks Imperium .Auch die Erbstücke ASUAG (ETA) und Nivarox FAR mit ihren Verpflichtungen gegenüber der gesamten Uhrenindustrie. So kam die Swatch Group schliesslich ungewollt in die unbequeme Lage der Marktbeherrschung.
Zukunft wird vorbereitet
Das Gespenst des Lieferstops hat in der davon betroffenen Branche nicht nur für Überraschung und Verärgerung gesorgt, sondern auch eine Aufbruchstimmung initiiert. Zahlreiche Unternehmen haben den Ernst der Situation rasch erkannt und Massnahmen getroffen, um die Vertikalisierung ihrer Produktion einzuleiten. Auch die grösseren und unabhängigen Marken, aber ebenso Firmen der Richemont-Gruppe (Cartier) haben bereits Millionen investiert, um die Produktion von Rohwerken und Bestandteilen selber an die Hand zu nehmen. Erst Mitte Oktober hat beispielweise Vacheron Constantin im Vallée de Joux eine hochmoderne Fabrik für die Fertigung von Uhrenbestandteilen in Betrieb genommen. Investition: über 30 Mio. Franken. Auch Marken wie Chopard und Cartier haben die Zeichen aus dem Hause Swatch erkannt und bauen ihre Manufakturen für Millionenbeträge aus. Zu den grössten unabhängigen Anbietern zählt beispielweise die unweit von La Chaux-de-Fonds domizilierte Sellita, die immerhin etwa 800 000 Werke herstellt. (bei ETA sind es über 5 Millionen). Die vorwiegend für Parmigiani fabrizierenden Manufactures horlogères der Stiftung der Familie Sandoz in Fleurier (NE) haben eine Ausweitung ihrer Produktion bekannt gegeben und wollen künftig kleine Firmen mit Bestandteilen bedienen. Lieferalternativen hat es immer gegeben und gibt es also immer noch. Meistens handelt es sich um Unternehmen, die auf bestimmte Teile spezialisiert sind oder nicht in der Lage sind, große Mengen zu produzieren, Auch sind es oft zu hohe Preise, die manche Kunden zur preisgünstigeren Swatch zwingen. Eine einzige Marke, TAG Heuer, kauft künftig die erforderlichen Bestandteile beim Japaner Seiko ein.
Im Gegenzug hat Swatch selber auch keine Gelegenheit unbenutzt vorbeiziehen lassen, um die in gewissen Bereichen vorhandene eigene Abhängigkeit von Dritten zu verringern. So hat sie im Laufe der letzten Jahre immer wieder kleinere Firmen erworben, die Uhrenschalen, Zifferblätter usw. erstellen.