Es waren die Baldegger Schwestern, die mit der Ablehnung eines unbefriedigenden Siegerprojekts für den Neubau ihres Klosters den Weg frei machten für grosse Architektur. Kein Geringerer als der Bauhaus-Architekt Marcel Breuer kam in der Folge zum Zug.
Die schweizerische Sakralarchitektur erlebte in der Nachkriegszeit einen unglaublichen Boom, wobei das Schwergewicht auf neuen Pfarrkirchen lag. Ungleich attraktiver war natürlich die Aufgabe, ein Kloster zu bauen, doch aus nachvollziehbaren Gründen boten sich dazu nur wenige Gelegenheiten. Erschwerend kam hinzu, dass in der Schweiz der Bau von Klöstern bis 1973 verboten war, ein Relikt der antiklerikalen Bundesverfassung von 1874.
Gleichwohl sind drei neue Klöster zu nennen, die trotz des Verbotes realisiert werden konnten, nämlich das Kapuzinerkloster Sitten von Mirco Ravanne (1964–68), das Dominikanerinnenkloster Ilanz von Werner Moser (1969–70) und eben das Kloster Baldegg von Marcel Breuer (1968–72).
Mit Klöstern vergleichbar waren die Bildungshäuser, die ein ähnliches Bauprogramm erforderten: eine Kapelle, Gemeinschaftsräume und Zimmer für die Beherbergung der Gäste. Das bekannteste und bedeutendste ist zweifelsohne das 1970 eingeweihte und von den Jesuiten betriebene Exerzitienhaus Bad-Schönbrunn ob Zug. Im Grunde war auch dies ein Kloster, doch zusätzlich zum Verbot von neuen Klöstern war bis 1973 auch jegliche Tätigkeit der Jesuiten in der Schweiz untersagt, was offensichtlich am Schluss nicht mehr ganz ernst genommen wurde. Bad Schönbrunn spielte für das Baldegger Kloster insofern eine wichtige Rolle, als es bei der Vorbereitung für den Architekturwettbewerb als Referenz herangezogen wurde.
In der soeben erschienenen Monografie über das Kloster Baldegg wird erstmals der steinige Weg mit seinen überraschenden Wendungen bis zur Verwirklichung dokumentiert. Als die Baldegger Schwestern wegen des akuten Platzmangels einen Neubau ins Auge fassten, stand ihnen Pater Josef Stierli, der für den Bau des Exerzitienhauses in Bad-Schönbrunn verantwortlich war, als Berater zur Seite. 1965 wurde unter Führung von Walter Förderer, der damals seine fulminante Karriere als Kirchenarchitekt startete, ein Wettbewerb unter sieben Teams ausgeschrieben, der schliesslich von Hanns A. Brütsch, einem ebenfalls arrivierten Kirchenarchitekten, gewonnen wurde. Es ist weiter nicht erstaunlich, dass das Projekt von Brütsch, das als Modell in der Monografie abgebildet ist, als Variante des Bildungshauses in Bad-Schönbrunn daherkommt.
Wider Erwarten bekundeten die Schwestern Vorbehalte. Schliesslich lehnten sie den Entwurf ab. Man könnte meinen, dass sie nicht aufgeschlossen genug waren und sich deswegen mit der Architektur von Brütsch, die für die Sakrallandschaft der Nachkriegszeit typisch war, nicht anfreunden konnten. Doch von heutiger Warte aus erwies sich die Skepsis als durchaus berechtigt. Was als Alternative schliesslich realisiert wurde, war um Welten besser als die Resultate des Wettbewerbs.
Als Helfer in der Not sprang der Luzerner Kantonsbaumeister Beat von Segesser ein, der keinen Geringeren als Marcel Breuer vorschlug, den weltberühmten Bauhaus-Architekten, der insbesondere mit seinen Möbeln die Avantgarde mitbestimmte. Breuer war als Jude in die USA emigriert und war dort mitverantwortlich für den Durchbruch der Moderne. Es war ein Klosterbau von Breuer, die Abtei St. John in Collegeville, Minnesota, der von Segesser veranlasste, diesen ins Spiel zu bringen. Breuer nahm die Anfrage, für Baldegg einen Vorschlag zu erarbeiten, mit Freuden an, und was er entwickelte, gefiel den Schwestern auf Anhieb. Sie begleiteten die Planung geduldig und aufgeschlossen, bis sie 1972 den Neubau beziehen durften. Breuer wurde danach auch mit den Entwürfen für das Pflegeheim betraut, das 1979 neben dem Kloster fertiggestellt wurde.
Die Unterschiede zwischen dem Modell von Brütsch und der realisierten Anlage von Breuer sind eklatant. So überrascht es nicht, dass das Siegerprojekt des Wettbewerbs mit seiner verschachtelten Struktur und der beträchtlichen Höhe der Trakte mit der angestrebten Ausstrahlung von Bescheidenheit nicht kompatibel war. Breuer hingegen zeichnete für den Grundriss ein H mit einer Mittelachse, auf der die Kirche und die Gemeinschaftsräume liegen. Dadurch sind vier Höfe entstanden, eine Art Paraphrase der traditionellen Kreuzgänge, die unterschiedlich belegt und genutzt werden.
Vorfabrizierte, plastisch geformte Betonelemente zeigen die Zellen an, während die Stirnseiten mit Bruchsteinen ausgefacht sind. Dieselben gestalterischen Prinzipien wandte Breuer auch beim Pflegeheim an. Obwohl das Raumprogramm recht umfassend ist, gelang es Breuer, die gesamte Anlage sanft in die Landschaft einzubetten. In der Tat ist das Kloster von der Hauptstrasse aus fast nicht zu erkennen. Auch für die Innenausstattung akzeptierten die Schwestern Breuers Vorschläge. Trotz nicht unerheblichen Kosten gönnten sie den Gemeinschaftsräumen und Zellen die Möbel von Breuer. Den bekannten Freischwinger findet man sowohl im Esssaal wie in den Zellen.
Das Baldegger Kloster zeugt von der Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Gemeinschaft hatte regen Zulauf und erreichte 1964 mit einem Bestand von 1015 Schwestern ihren Höhepunkt. Für etliche Frauen war die Möglichkeit eines Ausbruchs aus gesellschaftlichen Zwängen ein wichtiger Antrieb für den Eintritt in die Ordensgemeinschaft, konnten sie doch hier Aufgaben übernehmen, die ansonsten Frauen verwehrt waren. Dies wird wird in Gesprächen mit einigen Schwestern, die damals die Leitung innehatten, jedenfalls angedeutet.
Ein köstliches Kapitel in der Monografie betrifft die Suche nach einer neuen Ordenstracht, wofür man sogar den international arrivierten Modedesigner André Courrèges anschrieb. Seine im Buch veröffentlichten Skizzen wirken schon fast skurril, dokumentieren aber den Mut der Schwestern, auch ihr Auftreten zeitgemäss zu gestalten. Am Ende entschied man sich für ein dezenteres Modell, das von einer Internen geschneidert wurde.
Obwohl das Kloster Baldegg in Breuers Werkliste einen festen Platz hat, blieb es in der Schweiz ziemlich unbekannt. Einzig bei Jubiläen verwies man in Zeitungsberichten auf dieses herausragende Werk. So ist es zu begrüssen, dass es nun mit einer eigenen Monografie gewürdigt wird, die alle Aspekte rund um die Entstehung des Klosters berücksichtigt. Nebst erhellenden Archivalien, welche die Bauzeit dokumentieren, geben die in drei Tranchen aufgeteilten Aufnahmen von Jürgen Beck eine umfassende visuelle Übersicht. Auf nicht weniger als 100 Seiten sind Pläne ausgelegt, was auf den ersten Blick als übertrieben erscheinen könnte. Doch es handelt sich um faszinierende, mit Bleistift oder Tusche gezeichnete Blätter, die schlicht eine Augenweide sind, abgesehen davon, dass sie wertvolle architektonische Informationen preisgeben.
Was verspricht die Zukunft? Wie bei anderen Ordensgemeinschaften ist auch bei den Baldegger Schwestern der Schwund bedrohlich. Noch 160 gehören dazu, die meisten im fortgeschrittenen Alter. Zwar wird in den Interviews Zuversicht geäussert, doch früher als der Gemeinschaft lieb sein dürfte, wird die Frage auftauchen, was man mit den Immobilien tun möchte, die finanziell nicht mehr zu halten sind. Die soeben erschienene Monografie wird zweifelsohne dazu beitragen, dass man zu diesem Erbe Sorge trägt und mit allen Mitteln versuchen wird, es für künftige Nutzungen im Sinne von Breuer zu erhalten.
Gabriela Christen/Johannes Käferstein/Heike Blechter (Hg.): Im Kloster Baldegg. Klösterliches Leben in einem Bau von Marcel Breuer. Scheidegger & Spiess, Zürich 2025, 360 Seiten