Noch bevor der deutsche Bundesaussenminister Heiko Maas am Mittwoch in Israel eintraf, war er der vielleicht prononcierteste ausländische Mahner gegenüber Israel, dass dessen Plan einer Annexion etwa eines Drittels des seit 1967 besetzten Westjordanlandes fatale Folgen haben könne: Zwar drohte Maas nicht mit direkten Sanktionen gegen Israel, er warnte aber doch vor einer erheblichen Belastung der gegenseitigen Beziehungen. Die neue Jerusalemer Regierung blieb allerdings unbeeindruckt davon. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gab zwar zu, dass sein Projekt der für den 1. Juli angesetzten Annexion die Beziehungen negativ beeinflussen werde, besondere Sorgen scheint ihm das aber bis heute nicht zu bereiten.
Im Gegenteil: Ziemlich rüde diktierte man dem deutschen Minister gleich Bedingungen seines ersten Besuches in der Region seit Beginn der Corona-Pandemie: So komme ein Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in Ramallah (ca. 20 Minuten nördlich von Jerusalem) nicht in Frage, denn dann müsse Maas bei seiner Rückkehr nach Jerusalem erst einmal für 14 Tage in Qarantäne gehen. Kein Wort davon, dass diese Regel auch bei der Einreise über den Flughafen Tel-Aviv gegolten hätte, aber nicht angewandt wurde. Für Maas wurde daraufhin eine Video-Schaltung mit Abbas geplant. Im Anschluss will Maas nach Jordanien zu Gesprächen mit seinem Amtskollegen Aiman Safadi weiterreisen.
Ende von Oslo
Mit Palästinensern und Jordaniern konnte Maas weitgehende Übereinstimmung erwarten, denn beide haben sich gegenüber dem Annexionsplan sofort kritisch und ablehnend gezeigt: Jordanien warnte, dass hierdurch der 1994 unterzeichnete Friedensvertrag mit Israel gefährdet sein könne und der Palästinenserpräsident erklärte die Aufkündigung der Kooperation mit Israel und die Entwertung des Oslo-Abkommens von 1993, das die Grundlage dieser Zusammenarbeit und der Hoffnung auf eine weitergehende Friedensregelung abgab.
Das Ende des Oslo-Abkommens befürchtet auch einer seiner Unterhändler, der israelische Jurist Joel Singer: In einem Interview mit der linksliberalen Tageszeitung „HaAretz“ bezeichnete er den Annexionsplan als klaren Bruch des Oslo-Folgeabkommens von 1995, weil beide Seiten sich da verpflichtet haben, keine Massnahmen zu planen oder zu ergreifen, solange eine endgültige Regelung ausstehe.
Weitere Enteignungen
Genau das aber hat Israel fast vom ersten Tag an nach dem Oslo-Abkommen getan. Vor allem durch seine massive Siedlungspolitik im Westjordanland hat es Fakten geschaffen, die es ganz offensichtlich nicht zu revidieren bereit sein wird. Dies ist bisher nur einmal geschehen: Unter dem – inzwischen verstorbenen – ehemaligen „Likud“-Ministerpräsidenten Ariel Scharon gab Israel 2005 im Gazastreifen 21 Siedlungen auf und siedelte deren 9000 Siedler ins israelische Kerngebiet um. Ein Teil zog auch in jüdische Siedlungen im Westjordanland.
Dieses Gebiet, im offiziellen israelischen Sprachgebrauch „Judäa und Samaria“ genannt, hat nicht nur für diese – meist religiös-nationalistischen – Siedler weitaus mehr Bedeutung als der Gazastreifen, das Armenhaus Palästinas, zu dem es in Israel kaum bis keine besondere religiöse Affinität gibt. Frei von solchen Gefühlen zeigte sich am Dienstag allerdings auch das Oberste Gericht in Israel: Es erklärte ein Gesetz aus dem Jahr 2017 für ungültig, das die Enteignung Hunderter von Hektar ermöglichen sollte, die sich in palästinensischem Privatbesitz befinden. Bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes hatte es Proteste dagegen auf palästinensischer und auch (linker) israelischer Seite gegeben, die schliesslich zu einer Klage beim Obersten Gericht führten.
„Dieses Land gehört uns“
Die Richter erklärten, dass dieses Gesetz nicht zulässig sei und deswegen nicht angewendet werden dürfe. Sie liessen sich nur von juristischen Überlegungen leiten, nicht von politischen, erst recht nicht von internationalen Überlegungen. In den Augen der israelischen Rechten aber war genau dies der Fall: Der Abgeordnete und Koalitionsvorsitzende im „Likud“, Miki Zohar, etwa verwirft die selbst von Netanjahu geäusserten Bedenken, dass die Anwendung dieses Gesetzes Israel Probleme mit dem Internationalen Gerichtshof im Haag bringen könne: „Das Letzte, was mich interessiert, ist, was man im Haag sagt …“ Es gehe hier um die Besiedlung des biblischen Landes Israel in allen seinen Teilen und nichts weiter. „Dieses Land gehört uns, wir haben ein Recht darauf – auf alle seine Teile.“ Dass Israel sich manchmal aus politischen Gründen zu Konzessionen bereitfinde, ändere daran nichts.
Zohar besteht darauf, dass keine der jüdischen Siedlungen im Westjordanland zur Disposition stehe und hier nicht passieren werde, was im Gazastreifen geschah. Und ebenso stehe fest, dass auch kein palästinensischer Staat entstehen werde. Dies könne natürlich zu Problemen in der so genannten „Einheitsregierung“ führen, aber wer solche Probleme auslöse, der solle wissen, dass dies unweigerlich zu weiteren Neuwahlen führen werde. Und dass die Rechte inzwischen in der Mehrheit sei.