Auf der Museumsinsel in Berlin steht seit 2021 das rekonstruierte Berliner Schloss, das den ehemaligen Palast der Republik, das Vorzeigeobjekt der DDR-Regierung, verdrängt hat. Wie sinnvoll diese Parforceleistung war, bleibt allerdings umstritten.
Was soll man vom «rekonstruierten» Berliner Schloss, das nun Humboldt Forum heisst, halten? Die Frage ist selbstverständlich müssig; der Koloss steht nun einmal da und wird die Museumsinsel die nächsten Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, prägen. Eher müsste man sich fragen, ob der Weg zum heutigen Denkmal nachvollziehbar sei.
Bauen, zerstören, bauen, zerstören, bauen
Von diesem Weg seien die wichtigsten Phasen kurz rekapituliert: Vom Renaissanceschloss blieben beim ab 1699 erfolgten Neubau von Andreas Schlüter einige Trakte auf der Ostseite sowie ein Flügel, der den Hof teilte, erhalten. Wegen Planungsfehlern wurde Schlüter 1706, der immerhin das Geviert mit den von Kunsthistorikern hochgelobten Fassaden im Norden und Süden definierte, als hauptverantwortlicher Architekt entlassen und durch Johann Friedrich Eosander ersetzt. Dieser legte einen Erweiterungsplan vor, der aber nur in Teilen, insbesondere auf der Westseite umgesetzt wurde.
1853 bestimmte Friedrich August Stüler mit dem achteckigen, 70 Meter hohen Kuppelbau über dem Westportal so etwas wie einen Kontrapunkt zur monumentalen Kuppel des benachbarten Berliner Doms. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges brannte das Schloss vollständig aus. Was mit der Ruine geschehen sollte, war längere Zeit unklar. Trotz zahlreicher Proteste aus dem In- und Ausland sprengte man 1950 in Ostberlin die noch vorhandenen Schlossmauern, worauf der Bevölkerung bis in die 1970er Jahre eine grüne Wiese als Freifläche zur Verfügung stand.
Zwischen 1973 und 1976 liess die Regierung der DDR hier nach den Plänen von Heinz Graffunder in aller Eile den Palast der Republik errichten, der – solange die Teilung Berlins bestand – so etwas wie die Visitenkarte der DDR war und mit der gelblich reflektierenden Glasfassade schon fast vergessen machte, dass die darunter liegende Bausubstanz marode war.
Nach der Wende kam das Aus für den Palast, in erster Linie wegen der Asbestverseuchung des Bauwerks, sicher aber auch, weil viele sich dieses Mahnmal der DDR aus den Augen wünschten. Zwischen 1998 und 2003 wurde der ganze Bau entkernt und als Skelett belassen. Darin nistete sich die Alternativkultur ein, die von dem Rohen angetan war. Abriss oder Rekonstruktion? Die Frage war einige Jahre offen, doch mit dem Entscheid des Deutschen Bundestages, das Berliner Schloss wiederaufzubauen, war das Schicksal des Palastes der Republik besiegelt.
Für den «Neubau» wurde 2007 ein Wettbewerb ausgeschrieben mit teilweise engen Vorgaben. So war die Rekonstruktion der Nord-, Süd- und Westfassade samt Kuppel vorgeschrieben. Einzig bei der Ostfassade liess man für die Ausgestaltung freie Hand. Aufschlussreich ist die Zusammensetzung der Jury, denn mit David Chipperfield, Giorgio Grassi und Vittorio Lampugnani, die alle eine Affinität zur klassizistischen Architektur haben, war eine Vorliebe für Projekte mit einem entsprechenden architektonischen Vokabular schon fast vorgegeben.
So überrascht es denn auch nicht, dass Franco Stella, ein bis anhin kaum bekannter italienischer Architekt, unter 158 Eingaben einstimmig zum Sieger erklärt wurde. Stella gehört zum Kreis der Architettura Razionale, die vor allem von Aldo Rossi propagiert wurde. Es war der Versuch, die Architektur der frühen Moderne um Giuseppe Terragni wiederzubeleben und in bestehende Stadtstrukturen zu integrieren.
Nach der Grundsteinlegung im Jahre 2013 wurde acht Jahre lang gebaut, bis der riesige Komplex im Juli 2021 feierlich eröffnet werden konnte. Seither beherbergt das Forum verschiedene Sammlungen aussereuropäischer Kunst sowie ein Forschungslabor der Humboldt-Universität.
Fragen zur Rekonstruktion
Doch eben, wie soll diese Rekonstruktion gerechtfertigt werden? Begibt man sich auf das Feld der Denkmalpflege, gerät man in ein Labyrinth voller Fallstricke. Ob der Palast der Republik beliebt war oder nicht, sollte für eine seriöse Überprüfung der Schutzwürdigkeit keine Rolle spielen. Er war eindeutig ein Denkmal und stand für eine wichtige Phase der Berliner Geschichte. Zudem war die Architektur keineswegs schlecht, im Gegenteil, der Bau strahlte eine würdige Grandezza aus, auch wenn er zu den klassizistischen Nachbargebäuden den denkbar grössten Kontrast bildete.
Nach der Entfernung der asbesthaltigen Schichten hätte es aus denkmalpflegerischer Sicht keine Widerstände gegen eine Wiederherstellung geben dürfen, im Gegenteil, sie wäre sogar zwingend gewesen. In Dresden wurde mit der sorgfältigen 2017 abgeschlossenen Renovierung des 1969 errichteten Kulturpalastes der entgegengesetzte Weg eingeschlagen. Der Entscheid für den Abriss in Berlin war zweifelsohne politisch motiviert. Im Sinne einer damnatio memoriae wollte man die ehrwürdige Museumsinsel von diesem «Schandfleck» befreien.
Doch damit wird eine zweite problematische Ebene betreten. Was heisst «Rekonstruktion», beziehungsweise welchen Zustand wollte man wiederherstellen? Das Resultat deckt auf, dass ein Neubau entstanden ist, der auf drei Seiten mit Kopien der historischen Fassaden kaschiert wird. Alles andere ist ein komplett neuer Entwurf, der so weit funktioniert, aber keinesfalls das Label «wiedererrichtetes Berliner Schloss» verdient.
Die eine der beiden ursprünglich offenen Hofhälften wurde überdacht, sodass eine grosszügige Halle mit Emporen entstand. In der Mitte legte Stella einen schmalen Durchgang an mit barocker Fassadengestaltung bei den Toren und mit einer klassizistischen angehauchten Rasterung der Längsseiten. Eigenständig ist der Ostflügel mit einer durch quadratische Öffnungen gegliederten Fassade, die sicher nicht zufällig an die Architektur von Aldo Rossi erinnert. Was das Innere betrifft, erhält man nur vage Andeutungen in dem Sinne, dass eine Wiederherstellung gewisser Räume möglich, ja sogar vorgesehen sei. Auch denke man daran, einen der Prachtsaufgänge zu rekonstruieren.
Wiederaufbau ohne Ende?
Misslungen ist der Entwurf von Stella keinesfalls, doch angesichts der vertrackten Geschichte steht man vor dem Monument irgendwie ratlos da. Der Wiederaufbau Berlins ist auch 80 Jahre nach dem Krieg längst nicht abgeschlossen. In unmittelbarer Nähe des Humboldt Forums steht ein eigenartiges Mauerstück, es zeigt eine Ecke der erst 1962 abgerissenen Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel. Der Wiederaufbau ist beschlossen, der Baubeginn unsicher. Im Unterschied zum Berliner Schloss ist das Grundstück nach dem Abriss leer geblieben. Auf dem Areal möchte man eine originaltreue Kopie errichten. Das ist in der Tat vertretbar.