Das Wunder beruht allerdings auf dem Umstand, dass drei der stärksten Bremser – nämlich Russland, China und Kuba – dem Rat derzeit nicht angehörigen. Dem Rotationsprinzip entsprechend mussten sie nach dreijähriger Mitgliedschaft ausscheiden, können sich aber nächstes Jahr erneut um einen Sitz bewerben.
Abstimmungsniederlagen der USA
Alle drei Länder blieben aber hinter den Kulissen aktiv und meldeten sich als Beobachter häufig zu Wort. Bei den Abstimmungen übernahm Venezuela die Rolle Kubas als antiimperialistische Speerspitze. Als einziges der 47 Mitglieder stimmte Venezuela gegen die Syrienresolution des Menschenrechtsrats.
Am anderen Ende des Spektrums waren die USA völlig isoliert, wenn es um die israelische Siedlungspolitik und die Achtung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten sowie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ging. Die USA stimmten als einziges Land gegen vier Resolutionsentwürfe, die von den EU-Staaten und auch der Schweiz unterstützt wurden. Barack Obama wollte offenbar während seines Besuchs in Israel keine Zweifel an der Bündnistreue Washingtons aufkommen lassen. Er nahm dafür Abstimmungsniederlagen von 46:1 in Kauf.
Nordkorea im Blickfeld
Während der vierwöchigen Sitzungsperiode wurden die Karten neu gemischt. Die „automatische Mehrheit“ der Drittweltstaaten gehört der Vergangenheit an. Die Bewegung der Blockfreien, die Organisation der islamischen Zusammenarbeit und die Arabische Liga haben ihre Integrationskraft verloren. Europa koppelt sich politisch zunehmend von den USA ab und findet Japan und Südkorea als neue Verbündete. Trotz Wirtschafts- und Eurokrise demonstriert die EU in den Uno-Gremien Zusammenhalt. „Der Menschenrechtsrat schliesst mit erfolgreichen Resultaten für die Europäische Union ab“, heisst es in einer Erklärung der EU-Delegation am Wochenende.
Zu den Erfolgen des Westens im Menschenrechtsrat gehört die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission für die Lage in Nordkorea. Nach den Erkenntnissen des Sonderberichterstatters der Uno sind dort an die 200.000 Menschen wegen politischen Abweichungen in Arbeits- und Straflagern interniert.
Noch einmal Sri Lanka
Das Mandat einer Kommission zur Untersuchung der schweren Verletzungen der Menschenrechte in Syrien, der die Schweizerin Carla Del Ponte angehört, wurde um ein Jahr verlängert. Ebenso verlängerte der Rat die Aufträge der Sonderberichterstatter für Iran und Myanmar (Burma). Neu ist die Einsetzung eines unabhängigen Experten, der die Menschenrechtslage in Mali verfolgen soll.
Endlich beginnt auch die Aufarbeitung der tragischen Ereignisse in Sri Lanka. Den Regierungstruppen wird vorgeworfen, am Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009 rund 50.000 tamilische Zivilisten getötet und 300.000 in Lager gesperrt zu haben. Ein Bericht des damaligen Uno-Vertreters in Sri Lanka wurde aus unerfindlichen Gründen von Generalsekretär Ban Ki-Moon unter dem Deckel gehalten. Die EU brachte das Thema bereits 2009 auf die Tagesordnung des Menschenrechtsrats, doch ihr Resolutionsentwurf wurde von Sri Lanka selber umgeschrieben. Der schliesslich von der Mehrheit angenommene Text beglückwünschte die Regierung in Colombo zu ihrer humanen Kriegsführung gegen die tamilischen Rebellen.
Das war eines der dunkelsten Kapitel des 2006 gegründeten Menschenrechtsrats. Sri Lanka zehrte noch von seinem Nimbus als Mitbegründer der Bewegung der blockfreien Staaten. Ausserdem stellten sich China und Pakistan resolut auf die Seite des srilankischen Präsidenten Mahinda Rajapakse, mit dem sie eine strategische Allianz verbindet.
Auflösung der Blocksolidarität
Die Umkehr des Mehrheitsverhältnisses zeigt, dass in vielen Hauptstädten ein Umdenken stattgefunden hat. Die Blocksolidarität löst sich auf. Die eigentlichen Aufgaben des Menschenrechtsrats rücken damit in den Vordergrund. Da half es auch nichts, dass Russland und China als derzeitige Beobachter in ihren Reden davor warnten, einzelne Staaten an den Pranger zu stellen, weil dies „kontraproduktiv“ sei. Die Sri-Lanka-Resolution fiel übrigens recht milde aus. Sie fordert von der Regierung bloss, „Rechenschaft“ abzulegen und eine „nationale Versöhnung“ in die Wege zu leiten.
Wohl angesichts des Stimmungsumschwungs im Menschenrechtsrat verzichteten die islamischen Staaten diesmal darauf, ihre Forderung nach einem „Verbot der Verunglimpfung von Religionen“ (sprich des Islam) aufs Tapet zu bringen. Stattdessen verlängerte der Rat das Mandat des Sonderberichterstatters über Religions- und Glaubensfreiheit in aller Welt um drei Jahre.