Der jemenitische Übergangspräsident, Abdrabbo Mansur Hadi, hat am 8. August angeordnet, dass eine neue Einheit der jemenitischen Armee gebildet werde. Sie soll "Präsidiale Schutzmacht" heissen, auf Englisch, "Presidential Protection Force". Drei Brigaden der bisherigen Elite-Einheiten, die Präsidialgarde hiessen, sollen ihr zugeteilt werden; ebenso eine Brigade der Kräfte, die bisher unter dem Kommando des Generals Ali Muhsen Abdullah standen.
"Rekonstruktion" der Streitkräfte
Der springende Punkt dabei ist, dass die bisherige Präsidialgarde vom Sohn des nach langem Ringen zurückgetretenen Präsidenten, Ali Abdullah Saleh, kommandiert wurde, während die Truppen des Generals Ali Mohsen al-Ahmar sich im März 2011 vom Präsidenten losgesagt hatten und auf Seiten der Demonstranten getreten waren, die seine Absetzung forderten.
Seither war die jemenitische Armee gespalten. Ihre feindlichen Einheiten standen sich in verschiedenen Quartieren der Hauptstadt gegenüber, wo sie sich gelegentlich Gefechte lieferten.
Der neue Übergangspräsident, der seit Februar dieses Jahres im Amt ist, versucht, die Armee wieder zu vereinigen und unter sein Oberkommando zu bringen. Dies ist eine unumgängliche Voraussetzung dafür, dass das Land wieder zur Ruhe gebracht werden kann. Solange die Streitkräfte einander mit schussbereiten Waffen gegenüberstehen, und diese auch gelegentlich einsetzen, kann von einer Normalisierung der Lage nicht die Rede sein.
Die Hausmacht der Saleh Familie
Die Präsidialgarde unter dem Sohn des Präsidenten war die wichtigste Eilte-Einheit der Streitkräfte. Sie war von den Amerikanern bewaffnet worden und hatte amerikanische Ausbildung genossen. Sie hatte bisher den zentrale Machtpfeiler der Anhänger des zurückgetretenen Präsidenten gebildet. Sie hatte garantiert, dass dieser und seine Anhänger weiterhin im jemenitischen Staat Macht ausübten und ihre bisherigen Privilegien weitgehend bewahren konnten, trotz dem Rücktritt des Präsidenten.
Die Gründung der neuen "Präsidialen Schutzmacht" bedeutet, dass dem Sohn des bisherigen Präsidenten drei Brigaden entzogen werden. Andere Teile seiner bisherigen Elitetruppen sollen weiteren Heeresabteilungen zugeteilt werden. Ob General Ahmed Ali Abdullah Saleh Truppen unter seinem Kommando behält, und welche es sein werden, ist gegenwärtig noch unbekannt. Man kann vermuten, dass darüber verhandelt wird.
Zustimmung der einen Seite
Sein Hauptgegenspieler, General Ali Mohsen al-Ahmar, hat den Schachzug des Präsidenten willkommen geheissen, obwohl auch er eine Brigade an die neue Präsidialschutzmacht abtreten muss. Er erklärte der nationalen Agentur, Saba, die Anordnung des Präsidenten sei ein "mutiger Entscheid, welcher der Nation dienen wird, um Einheiten wieder zusammenzubringen, die Disziplin der Armee wiederherzustellen, stabile Zustände zu schaffen und das Militär zu restrukturieren“. Doch von General Ahmed Ali Abdullah Saleh, dem Sohn des früheren Präsidenten, war zunächst nichts zu vernehmen.
Der zweite Anlauf zur "Restrukturierung"
Der Übergangspräsident hatte schon im vergangenen April einen ersten Schritt zur Umbesetzung der führenden Kommandos in den Streit- und Sicherheitskräften unternommen. Er war auf Kosten der militärischen Anhänger Ali Salehs Abdullahs, des früheren Präsidenten, gegangen. Damals war ein Vetter Ali Salehs, der den Sicherheitskräften vorstand, seines Kommandos enthoben worden, sowie ein Halbbruder des früheren Präsidenten, der die Luftwaffe kommandiert hatte. Dieser Halbbruder hatte sich mehrere Wochen lang geweigert, dem Befehl seines Rücktritts Folge zu leisten, doch war er schliesslich dazu überredet oder veranlasst worden.
Man hat nun abzuwarten, ob der Sohn des ehemaligen Präsidenten sich ähnlich verhalten wird, oder ob er sich ohne Widerspruch zu fügen gedenkt.
Dabei spielt natürlich eine entscheidende Rolle, inwieweit die ihm bisher unterstellten Truppen sich mehr ihm gegenüber loyal erweisen oder mehr gegenüber dem Präsidenten und dessen Verteidigungsminister.
Die Kämpfe gegen al-Qa‘eda
In den vergangenen Wochen und Monaten haben die Amerikaner ihren Einfluss auf die jemenitischen Streitkräfte verstärkt. Sie haben entscheidend mit dazu beigetragen, dass ein Teil der regulären jemenitischen Armee gegen die Kräfte der Qa'eda in der südlichen Provinz Abyan eingesetzt wurde. Sie haben diesen Einsatz auch unterstützt mit Drohnen und vermutlich mit Waffenlieferungen, Beratung der Streitkräfte und Geld. Geld dürfte auch aus Saudi-Arabien geflossen sein.
Der Einsatz war ein Erfolg. Es ist den jemenitischen Truppen gemeinsam mit Hilfstruppen aus den lokalen Stämmen und mit der amerikanischen mehr unter der Hand erteilten Hilfe gelungen, die Qa'eda-Kämpfer aus dem Flecken Jaar und aus der Provinzhauptstadt von Abyan, Zinjibar, zu vertreiben, wo sie sich festgesetzt hatten. Die Kämpfe dauerten von Mai bis heute an. Die Qa'eda hat nach ihrer Niederlage zum Einsatz von Selbstmordbomben gegriffen und einige verlustreiche Bombenanschläge in Sanaa durchgeführt. Darunter war ein vernichtender Schlag vom 21 Mai, dem Vortag des jemenitischen Nationalfeiertags, als ein Selbstmordanschläger in Uniform 96 Soldaten in Sanaa in den Tod riss und etwa 300 verwundete. Sie waren gerade dabei, für eine Parade für den Nationalfeiertag zu proben.
Kriegsführung bringt Kriegsdisziplin
Der Einsatz der jemenitischen Truppen in ziemlich blutigen und verlustreichen Kämpfen im Süden des Landes, an dem General Ahmed Ali Abdullah Saleh nicht direkt beteiligt war, dürfte sich gegen seine Autorität und sein Ansehen in der jemenitischen Armee auswirken. Eine Armee, die Krieg führt, respektiert mehr ihre Kriegskommandanten als "politische" Offiziere, die mit ihren Truppen in der Hauptstadt verweilen, primär, um dort die Macht nicht aus den Händen zu geben. Doch ob dies schon das Ende der Macht des Generals und Präsidentensohns sein wird, wissen wir noch nicht. Dass er geschwächt wurde, kann man jedenfalls annehmen.
Ein Übel unter vielen ist angegangen
Das Land Jemen leidet unter vielen Übeln, die Spaltung seiner Armee ist nur eines davon, allerdings eines, das prioritär einer Lösung bedarf. Es gibt politische Missstände, die darauf beruhen, dass die alte Elite des Landes trotz allen Protesten bisher ihre Macht hat erhalten können. Nach dem Rücktritt des früheren Präsidenten haben die alten politischen Führer nur ihre Rollen getauscht. Jene, die unter dem früheren Präsidenten als die parlamentarische Opposition dienten, traten zur Hälfte in die Übergangsregierung ein, die zur anderen Hälfte immer noch aus den bisherigen Parteigängern des abgetretenen Präsidenten besteht. Die protestierenden Massen gingen leer aus.
Die traditionellen Politiker wirken als Oberhäupter von Klientelgruppen, deren Interessen sie zu vertreten vorgeben und soweit möglich auch wirklich vertreten. Dies bewirkt eine Kultur von jener Art der Korruption, die man als "wasta" bezeichnet, was als "Einfluss", "Verbindung" oder "Einbindung" wiedergegeben werden kann.
Im Sommer 2014 soll die Übergangszeit zu Ende gehen und Wahlen sattfinden. Die Gefahr besteht, dass dies, wie stets zuvor, Wahlen sein werden, in denen die Klientelnetze den Ausschlag geben. Doch ob es überhaupt bis zu Wahlen kommen wird, hängt davon ab, wie rasch und entschieden die Normalisierung des Landes erreicht werden kann. Die "Restrukturierung" der Armee ist dabei grundlegend. Doch sie ist bisher viel zu langsam vorangekommen.
Die Langsamkeit hat bewirkt, dass kein Bürgerkrieg ausbrach. Doch sie hat auch entscheidend mit dazu beigetragen, dass die gesamten Wirtschaftsstrukturen Jemens weitgehend zusammenbrachen. Heute herrscht bereits Hunger in weiten Teilen der Bevölkerung - weil die Wirtschaft nicht mehr funktioniert.
Existenzielle Herausforderungen
Neben der Wiedervereinigung der Armee müssen drei Kriege gewonnen oder beigelegt werden, jener gegen al-Qa'eda, den die Amerikaner antreiben, ferner die beiden Konflikte gegen Aufstands- und Sezessionstendenzen im Norden und im Süden des Landes. Diese zwei Krisenherde können schwerlich durch Kriegshandlungen gemeistert werden, zu grosse Landesteile sind von ihnen betroffen. Die Lösung müsste im Sinne von Autonomie für die aufsässigen Landesteile gefunden werden. Doch dazu haben noch nicht einmal die ersten Gespräche stattgefunden. Eine offene Frage bleibt, welches Mitspracherecht die Hunderttausenden von meist jugendlichen Mitgliedern der Protestbewegung erhalten sollen. Auch bei diesem Thema ist man noch nicht weitergekommen. Parallel dazu müssten die wirtschaftlichen Existenzfragen des Landes angegangen werden: die Wasserfrage, jene der Arbeitslosigkeit, die immer zentralere der Ernährung der Bevölkerung, die der Versorgung mit Petroleum, Butangas und Elektrizität: Probleme, die alle zusammenhängen. Man hat noch nicht einmal eine Vorstellung, wie sie angepackt werden könnten.
Wettlauf ums Überleben des Staates
Aus solchen Gründen stellt sich die Lage im Jemen heute als ein Wettlauf dar zwischen den grundlegenden Macht- und Sicherheitsfragen, die gelöst werden müssen und den existenziellen Problemen, welche das vernichtend angeschlagene Wirtschaftsleben heute aufwirft. Auch hier besteht gegenseitige Abhängigkeit. Wenn die politischen und die Sicherheitsfragen nicht rasch genug eine Lösung finden, droht die Gefahr, dass die Wirtschaftsprobleme zu einem Zusammenbruch des Gesamtstaates führen. In diesem Fall wäre der Staat dann erst recht nicht mehr in der Lage, die politischen Grundprobleme anzupacken.