Diese neue Schweiz besteht aus fast zwanzig Millionen Einwohnern. Sie ist so reich wie kein anderes Land. Das Bruttosozialprodukt liegt 52 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Sie ist der Wirtschaftsmotor Europas, sie verfügt über ein hochstehendes Geistesleben und ist wieder der Bankenplatz Nummer eins.
Diese neue, energiegeladene Schweiz gäbe es nicht, wenn es Ueli Maurer nicht gäbe. Er hatte die Idee, dass die reiche Lombardei zur Schweiz geschlagen wird. Sofort fing die Idee Feuer. Die Volksabstimmungen waren nur Formsache. Sowohl die Schweizer als auch die Lombarden sagten klar Ja zur Fusion. Sogar die SVP war nicht dagegen.
So erstrahlt denn auf der europäischen Landkarte dieser neue wunderbare Staat mit zehn Millionen Lombarden, sechs Millionen Deutschschweizern, zwei Millionen Romands und einer Hand voll Rätoromanen. Endlich fügt sich zusammen, was zusammengehört.
Win-win-Situation
Seit langem wollten die Lombarden keine Italiener mehr sein. Sie haben es satt, dass ihr gut verdientes Geld in den korrupten Süden abfliesst. Jetzt, da sie Schweizer sind, müssen sie weniger Steuern zahlen, keine Autobahngebühren entrichten, die Bürokratie wurde entschlackt, der ungeliebte Euro durch den Franken ersetzt, das Benzin ist billiger – und endlich herrscht Ordnung.
Keine italienische Region ist so hoch entwickelt wie die Lombardei. Hier blühen die Industrieproduktion und der Handel. Die Arbeitsproduktivität gehört zur höchsten Europas. Die Mailänder Börse ist zwar ein Tochterunternehmen des London Stock Exchange; sie ist aber eine der grössten Börsen Europas. In der Region rund um Mailand wird sehr viel Geld verdient. Das Zusammengehen mit der ebenso hochentwickelten Schweiz ist eine Win-win-Situation. Man befruchtet sich gegenseitig, Synergien steigern Output und Gewinn, Innovationen werden beflügelt.
Jetzt sind wir wer
Wir waren ja schon nahe dran, die Lombardei unter unsere Fittiche zu nehmen. Doch dann, 1515, kam Marignano, und die Franzosen machten uns einen Strich durch die Rechnung. Jetzt fällt uns die Lombardei kampflos in den Schoss. Dank Ueli Maurer, der die Fusions-Ideen einem Lokalreporter in Como erzählt hatte. Die jetzige panalpine Gross-Schweiz ist 65‘000 Quadratkilometer gross, also um über die Hälfte grösser als bisher.
Jetzt sind wir wer. Jetzt sind wir nicht mehr die Kuhschweizer von einst, jetzt werden wir mit Ludovico Sforza in Verbindung gebracht, mit Plinius dem Älteren, mit Alessandro Manzoni und Luchino Visconti, mit Caravaggio. Jetzt haben wir internationales Gewicht. Die Deutschen werden sich zwei Mal überlegen, wie sie mit uns umgehen. Herr Steinbrück wird sich von unseren Indianern noch fürchten. Die Wahlkampf-gebeutelte Hannelore aus Nordrhein Westfalen wird alle Steuerdaten-CD eigenhändig auf die Post bringen und sie uns subito zurücksenden.
Ibrahimovic auf dem Brügglifeld
Für die Schweiz ist die Lombardei, dieser neue, 27. Kanton, ein Glücksfall. Man denke nur an den Fussball. Endlich gibt es mit dem AC Milan und Internazionale Milano zwei hervorragende schweizerische Fussballmannschaften. Endlich hat der FC Basel seinesgleichen und muss sich nicht mehr mit Grümpelturniermannschaften wie GC oder dem FCZ die Zeit tot schlagen. Man stelle sich vor. Im Schweizer Cup werden bald einmal die Mailänder Stürmer Ibrahimovic und Robinho auf dem Brügglifeld gegen den FC Aarau spielen.
Auch die Zürcher Fluglärmgegner atmen auf. Denn die neue Schweiz besitzt jetzt mehrere zusätzliche Grossflughäfen. Viele internationale Flüge starten und landen jetzt in Milano Linate und entlastet Kloten. Der Flughafen Malpensa serbelt zwar vor sich hin und verliert ständig Verkehr: aber als Heimatflughafen für den Gripen eignet er sich hervorragend.
Oder die Mode: Die Mailänder Modeschauen sind Weltklasse. Endlich wird die Schweiz bestimmen, wie man sich weltweit kleidet. Schon liessen sich Prada, Cucci, Versace und Armani ins schweizerische Handelsregister eintragen.
Kein Röstigraben mehr
Und natürlich die Kultur. Die Pinacoteca Ambrosiana mit ihren Raffaels, Caravaggios - jetzt ein Schweizer Museum. Oder Leonardo da Vincis neu restauriertes Abendmahl im Convento Santa Maria delle Grazie, eines der berühmtesten Wandgemälde der Welt. Endlich spielt die Schweiz in der kulturellen Superklasse. Oder der gotische Mailänder Dom, eines der weltberühmtesten und grössten architektonischen Prachtswerke. Das Zürcher Grossmünster mit seinen zwei traurigen Phallus-Türmen tut sich da schwer.
Endlich auch wird es keinen Röstigraben mehr geben. Denn Rösti wird in der Schweiz kaum noch gegessen. Sie wird abgelöst von Reis. Die Lombardei ist ein Reisland. In den Provinzen Pavia und Monza wird hochwertiger Carnaroli, Vialone und Arborio angepflanzt. Der erste historisch belegte Risotto ist der Mailänder Safranrisotto.
Der Veltliner – ein Schweizer Wein
Überhaupt: Unsere Würste exportieren wir jetzt nach Bayern. Lombardischer Speis und Trank gehören zu unsern Nationalgerichten. Der Veltliner ist jetzt ein Schweizer Wein. Vitello tonnato ist jetzt eine Schweizer Spezialität, auch Ossobuco, costoletta alla milanese, vitello al latte, involtini alla milanese, piccata milanese und so weiter. Jetzt ist die Schweizer Küche weltberühmt.
Und all die wunderbaren neuen Städte, die jetzt dank Ueli Maurer schweizerisch geworden sind. Cremona, die Stadt von Stradivari, Bergamo, Lodi, Brescia. Und Como mit seinem vielgepriesenen See, der „alles übersteigt, was ich an Schönem je gesehen habe“ (Percy Bysshe Shelley).
Dank den Bundesräten Ogi und Leuenberger sind wir Deutschschweizer bald schnell im neuen Kanton. In vier Jahren wird die Neat eröffnet. Auch die Lombarden selbst haben schon vorgesorgt. Die Autobahn zwischen Como und Mailand wird jetzt auf drei Spuren ausgebaut und im nächsten Jahr eröffnet. Alles rückt zusammen.
Bossi, der unangenehme Poltergeist
Zugegeben: Die alte Schweiz kommt unter Konkurrenzdruck, aber Konkurrenz ist ja immer gut. Die Zürcher Bahnhofstrasse wird Rückschläge erleiden, denn was ist sie im Gegensatz zur Mailänder Via Monte Napoleone, einer der luxuriösesten Strassen der Welt? Oder was ist Sprüngli im Vergleich zum Mailänder Schlaraffenland Peck?
Und die Politik? Als die Lombardei noch italienisch war, gab es diesen Umberto Bossi mit seiner starken, fremdenfeindlichen Lega Nord. Bossi, ein unangenehmer Poltergeist, kämpfte ein Leben lang nur für eins: „Weg von Rom“. Jetzt ging sein Traum in Erfüllung.
Und für wen stimmen jetzt die Lega-Anhänger bei den National- und Ständeratswahlen im Jahr 2015? Für die SVP? War das Grund, weshalb Ueli Maurer sich für eine panalpine Gross-Schweiz eingesetzt hat?
Doch lombardische Stimmen für die SVP gibt es wohl nur wenige. Denn mit der Fusion mit der Schweiz hat die Lega ihr Hauptziel erreicht: „Weg von Rom“ ist jetzt Wirklichkeit. Die Lega wird sich langsam auflösen. Und da die begüterten Lombarden eher nach rechts neigen, werden sie wohl die schweizerischen Freisinnigen unterstützen. Philipp Müller reibt sich schon heute die Hände. Endlich findet die FDP aus ihrer serbelnden Rolle heraus und wird wieder zur staatstragenden Partei. Dank Ueli Maurer.
Was machen wir mit Berlusconi und Bossi?
Natürlich bringt die Gross-Schweiz auch Nachteile. Sie wird nicht mehr „Schweiz – Suisse- Svizzera“ heissen, sondern „Svizzera - Schweiz – Suisse“. Italienisch wird die Sprache Nummer eins. Aber Italienisch ist ja schön und gar nicht so schwer. Und was Dante recht war, kann uns nur billig sein.
Die Protestanten beklagen schon jetzt, dass in der Gross-Schweiz die Katholiken eine erdrückende Mehrheit darstellen. Doch das Problem ist halb so schlimm. Der weltfremden katholischen Kirche laufen die Katholiken in Scharen davon, vor allem in Mailand. Sie sind emanzipiert und werden kaum in der Schweiz in die Kirche eines Vitus Huonder eintreten.
Mario Monti, der aus Varese stammt, ist jetzt also – retrospektiv – Schweizer. Aber auch Silvio Berlusconi und Umberto Bossi. Was machen wir nur mit ihnen?
Stazione Ulrico Muratore
Bossi laden wir in die alte Schweiz ein. Er liegt jetzt, eingehüllt in eine Wolldecke, auf einem Liegestuhl in Davos. Ab und zu blättert er in Thomas Manns Zauberberg. Der gelehrte Herr Settembrini fasziniert ihn.
Eines Tages erhält Bossi Besuch. Berlusconi ist mit der rhätischen Bahn hochgefahren. Bossi sagt ihm: „Zwar sind wir jetzt weg von Rom, doch frei sind wir nicht, wir gehören jetzt zur Schweiz“.
„Das ist doch schön“, sagt Berlusconi.
„Schön? Unter dir, caro Silvio, konnten wir Steuern nach Lust und Laune hinterziehen. Und jetzt? Du kannst dir nicht vorstellen, wie gründlich diese Schweizer sind“.
Berlusconi und Bossi blicken verträumt auf die verschneiten Berge.
„Wer ist eigentlich dieser Ueli Maurer?“ fragt Bossi.
„Auf der Piazza del Duomo errichten sie gerade ein Denkmal für ihn“, antwortet Berlusconi. „Und Milano Centrale, der Hauptbahnhof, heisst jetzt Stazione Ulrico Muratore“.