Zukünftig soll die Einbürgerung der dritten Ausländergeneration mit tieferen Hürden und weniger Aufwand verbunden sein. Zudem würde sie in die Kompetenz des Bundes fallen. Nachdem ein erster Reformanlauf 2004 an der Urne gescheitert war, wird diesmal auf den Einbürgerungsautomatismus verzichtet. Die Vorlage scheint zeitgemäss und vernünftig.
Keine kantonale Zuständigkeit mehr
Die dritte Ausländergeneration ist in der Schweiz aufgewachsen und kennt unser Land besser als ihr sogenanntes „Heimatland“. Die Schweiz ist ihre Heimat. Es ist an der Zeit, den Anachronismus der kantonalen Zuständigkeit in diesem Sonderfall abzuschaffen. Der Kantönligeist, der oft auch in anderen Bereichen der Legitimation im 21. Jahrhundert entbehrt, ist ein Relikt der Vergangenheit. Im Zeitalter der Globalisierung darf es für eine Einbürgerung keine Rolle mehr spielen, ob ein Mensch hier oder zehn Kilometer entfernt, ennet der Kantonsgrenze, geboren worden ist. Solche kantonalen Rechtsungleichheiten sind überlebt. Wessen Grosseltern schon bei uns im Land lebten, dessen Kinder hier aufwuchsen und dessen Nachwuchs jetzt von den Schikanen des ordentlichen Einbürgerungsprozesses erlöst werden sollen, hat diese Sonderbehandlung wohl verdient.
Da es sich aber hier um eine Verfassungsänderung handelt, sind Volks- und Ständemehr nötig für eine Annahme. Es bleibt zu hoffen, dass bei einem Ja des Stimmvolks nicht das Nein des Ständerats den Volksentscheid aushebeln würde.
Was heisst „erleichterte Einbürgerung“?
Die betroffene Person muss in der Schweiz geboren und unter 25 Jahre alt sein. Zumindest ein Elternteil muss ebenfalls in der Schweiz geboren sein und seinerseits zehn Jahre hier gelebt haben. Ein Grosselternteil muss in der Schweiz geboren sein oder das Aufenthaltsrecht besessen haben. Schätzungen reden von jährlich 5000–6000 betroffenen Personen; zusätzlich dürften während der ersten fünf Jahre 10‘000 potenzielle Personen betroffen sein (Sonderregelung für Personen zwischen 25 und 35 Jahren). Die relevanten Kriterien für diese erleichterte Einbürgerung sind und bleiben streng. Die Alterslimite sorgt übrigens auch dafür, dass die Militärdienstpflicht nicht umgangen werden kann.
Gemäss NZZ wohnen rund 50‘000 Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation in der Schweiz. Davon wären – als Folge der einschränkenden Bedingungen – nur rund 25‘000 Personen zur erleichterten Einbürgerung berechtigt. Das sind 0,3 Prozent unserer Bevölkerung.
Schätzungen bleiben Schätzungen. Zum Vergleich: effektiv erhielten 2016 rund 44‘000 Personen das Schweizer Bürgerrecht, die Statistik wird von Italien, Deutschland und Portugal angeführt (zusammen rund 15‘000 Personen).
Kein Automatismus
13 Jahre nach der verlorenen Abstimmung erfolgt jetzt also der zweite, verbesserte Versuch. Diesmal ist kein Automatismus vorgesehen, damals ein gewichtiges Argument der Gegner. Nur auf Antrag wird eingebürgert. Das Bundesamt für Statistik (BFS) weist darauf hin, dass heute rund 920‘000 Personen die formalen Bedingungen des Bundes zur Einbürgerung erfüllen würden – eine Einbürgerung aber trotzdem nicht anstreben. Wahrscheinlich, weil sie ihnen zu teuer ist oder sie darin gar keinen Vorteil sehen.
Das Argument der Gegner dieser Vorlage, das vor „Masseneinbürgerungen“ warnt, ist damit einmal mehr als Propaganda entlarvt. Das von der SVP suggerierte „enorme Interesse“ an Einbürgerungen gibt es in Tat und Wahrheit gar nicht. Berücksichtig man die einschränkenden Qualifikationen, die zu erfüllen sind, reden wir eigentlich nicht von Ausländern, sondern von Einheimischen ohne roten Pass.
Überholte Kirchturmpolitik
Generell gelten ab nächstem Jahr strengere Bedingungen zum Erlangen der Einbürgerung (unabhängig vom Ausgang dieser Abstimmung). Dabei werden die Hürden erhöht und gleichzeitig sollen alle Gemeinden des Kantons Zürich nach einheitlichen Regeln vorgehen. Denn bisher waren kommunal höchst unterschiedliche Bedingungen zu erfüllen, obwohl die Kantonsverfassung längst ein einheitliches Vorgehen fordert. Diese Änderung ist eine Anpassung der kantonalen Bürgerrechtsverordnung ans Bundesrecht. Ähnliches dürfte also auch in anderen Kantonen passieren.
Einwanderungsland Schweiz
Abseits ideologischer Rundumschläge, nüchtern betrachtet, wissen wir ja längst, dass die Schweiz ein Einwanderungsland ist. 36 Prozent unserer Bevölkerung (mehr als 2,5 Millionen) hat einen Migrationshintergrund. Der Entscheid, ob diese grosse Gruppe „dazu“ gehört, mitbestimmen kann oder davon auszuschliessen sei, ist in unserer direkten Demokratie Sache des Volkes. Mit anderen Worten: im Lauf der Zeit verändern sich Umfeld, Ansichten und Beurteilungen und persönliche Einstellungen: „Wir und die andern“, diese Unterscheidung, ist im 21. nicht mehr die gleiche, wie im 20. Jahrhundert. Glücklicherweise.
So ist nicht bekannt, dass dieses Volk heute von „Terzos“ spricht und damit das Zielpublikum dieser Abstimmung meint. „Secondos“ ja, diesen Begriff kennen alle, er kann wohlwollender oder abschätziger gebraucht werden. Doch – ohne es explizit zu begründen – hat der Volksmund im Wortgebrauch bereits die Einbürgerung vollzogen.
Entgegen anders lautenden Behauptungen fördert die Erteilung der Staatsbürgerschaft die Integration – es ist ein Zeichen, dass diese jungen Leute bei uns dazugehören.
„Unkontrollierte Einbürgerungen“
Philipp Müller (FDP), der die Vorlage entscheidend mitgeprägt hat, kann sich nur wundern über die Wortwahl der SVP, die vor unkontrollierten Einbürgerungen warnt. Auch er erinnert daran, dass anfangs 2018 das neue Bürgerrecht in Kraft treten wird (siehe oben), dessen Kriterien und Bedingungen knallhart formuliert sind. Somit wird bewusst mit falschen, tendenziösen Szenarien um die Gunst des Wahlvolkes geworben. Fazit: wenn es um Ausländer geht, ist für die SVP der Griff in die verbale Mottenkiste Standardsprache.
Operation Libero („Wir sind die neue politische Bewegung der Schweiz“), die engagierte Organisation junger Menschen, meint zu den sechs grössten Lügen der SVP: „Wer solche Unwahrheiten verbreitet, hat keine richtigen Argumente.“ Explizit entlarvt sie die Unkontrolliert-Lüge, den Nicht-integriert-Schwindel, die Massen-Angstmacherei, das lasche Einbürgerungs-Märchen und die Kein-Platz-Ausrede.
Die Plakatwalze der Gegner dieser Vorlage mit der schwarzen, vermummten Person („Burka-Plakat“) als Eye-Catcher ist niveaulos. Und noch etwas: gemäss Christoph Blochers Wikipedia-Eintrag erhielt sein Ururgrossvater im 19. Jahrhundert das Schweizer Bürgerrecht – in der ersten Generation.
Bundesrat und Parlament empfehlen ein Ja zur Vorlage. Ebenso alle grossen politischen Parteien mit Ausnahme der SVP.