Als soft pressure werden der wirtschaftliche und finanzielle Druck gerne bezeichnet, den die Industrienationen auf die sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer ausüben. Die bevorzugten Instrumente dafür sind die Welthandelsorganisation (WTO), die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IMF).
Das WTO-Agreement on Agriculture (AoA) und die von Weltbank und Weltwährungsfonds (IMF) angeordneten strukturellen Anpassungsprogramme (SAPs) zwangen die Entwicklungsländer zu gewaltigen Änderungen ihrer Nahrungsmittel- und Landwirtschaftspolitik. Sie mussten ihre Länder für billige Einfuhren aus den USA und Europa öffnen und gleichzeitig die Hilfsprogramme für ihre eigenen Bauern reduzieren. Oxfam bezeichnete das Landwirtschaftsabkommen schlicht als „Betrug“, der die Verelendung der ländlichen Bevölkerung vorantreibe und die Kleinbauern vernichte. Gegen die amerikanischen und europäischen hoch subventionierten und oftmals unter den Herstellungskosten verkauften Produkte können die einheimischen Produzenten nicht ankommen. Häufig sind sie gezwungen, teuer importierte Düngemittel, Pestizide und sogar Samen einzukaufen – und bekommen am Ende für ihr Produkt weniger zurück als die Herstellungskosten.
Die grüne Gentechnik
So führte Indien unter den Zwängen von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und WTO in seiner Landwirtschaft die „grüne Gentechnik“ ein, den Einsatz gentechnisch manipulierten Saatguts. (Amerikanische Hilfsorganisationen liefern heute ausschließlich gentechnisch modifiziertes Saatgut.) Doch das Gegenteil von den versprochenen höheren Erträgen, weniger benötigten Pestiziden und weniger Hunger trat ein. Viele Kleinbauern in Indien mussten Kredite aufnehmen, um das teure Saatgut zu kaufen, die sie anschließend nicht bedienen konnten, weil die versprochenen Erträge des so gepriesenen, gentechnisch veränderten Saatguts nicht erreicht wurden. In der Folge haben sich die Bewohner ganzer Dörfer, deren landwirtschaftliche Produktion unter dem Diktat der WTO zusammengebrochen war, das Leben genommen.
Zwar wurde inzwischen bekannt, dass manche dieser Pestizide und Herbizide verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben können. Und der Weltagrarbericht, der 2008 von der Uno und der Weltbank veröffentlicht wurde, kritisierte den hohen Einsatz von Energie, Düngemitteln und Pestiziden als nicht mehr zeitgemäß und forderte stattdessen eine Rückbesinnung auf eine kleinbäuerliche, ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft. 2013 forderte die Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad) “einen Paradigmenwechsel in der landwirtschaftlichen Entwicklung von der ‚grünen Revolution‘ zu einem Vorgehen ökologischer Intensivierung‘“. Auch der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, drängte in seinem Abschlussbericht, den er im Januar 2014 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorlegte, „auf einen Wechsel zu agroökologischen Produktionsmethoden“ in der Landwirtschaft, eine Ansicht, die sich unter Wissenschaftlern zunehmend durchsetze. „Heute ist wissenschaftlich bewiesen, dass agroökologische Methoden (bei der Schädlingsbekämpfung) besonders in unwirtlichen Regionen größere Erfolge bei der Nahrungsmittelproduktion zeitigen als Pestizide.“
Aber noch 2013 berichtete „Food & Water Watch“, eine unabhängige, dem deutschen „Lebensmittel-TÜV“ ähnliche Organisation in Washington, über Direktiven des State Departments an seine Botschaften, biotechnische Produkte weltweit zu fördern und sich offen für die Anliegen der biotechnischen Unternehmen zu zeigen. Die Botschafter nahmen sich die Anweisung zu Herzen. Wer ihrem Drängen nicht schnell genug nachgab oder sogar widerstand, bekam sehr schlechte Betragensnoten.
„Wir sollten eine langfristig angelegte, angemessene Liste von Vergeltungsmaßnahmen erstellen, die in der EU durchaus Schmerzen verursachen“, empfahl der Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris, Craig Stapelton, 2007 seinen Vorgesetzten am Potomac, nachdem Frankreich die Einführung eines genetisch veränderten Saatguts des Chemieriesen Monsanto untersagt hatte. „Die Liste sollte nachhaltig auf einen langen Zeitraum angelegt sein, da wir keinen schnellen Erfolg erwarten können. Dass wir Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, wird die Befürworter der Biotechnologie stärken und klarmachen, dass der derzeitige Weg die EU wirklich teuer zu stehen kommen kann.“
Christliche Hilfsbereitschaft…
Angesichts der Politik und der Praktiken des Westens klingt es zynisch, dass sich die Vereinten Nationen zu Beginn des Jahrtausends das sogenannte Millenniumziel setzten, bis 2015 den Hunger in der Welt besiegt zu haben. Dazu gaben die Vereinten Nationen das Ziel vor, dass jede Industrienation 0.70 Prozent ihres Bruttosozialprodukts in Entwicklungshilfe investieren sollte. Doch 2012 hatten nur fünf Staaten dieses Ziel tatsächlich erreicht. Es sind die üblichen Verdächtigen: Dänemark (0.83 %), die Niederlande (0.71 %), Norwegen (0.93 %), Schweden (0.97 %), Luxemburg (1.00 %). Die USA, die sich regelmäßig als die großzügigste Nation der Welt portraitieren, gaben im Fiskaljahr 2012 nach OECD-Angaben 30.7 Milliarden US$ für Auslandshilfe aus, 0.22 Prozent des für den gleichen Zeitraum ausgewiesenen Nationaleinkommens. (Dabei ging allein ein Drittel dieser Auslandshilfe an Ägypten und Israel.) „Wir sind die geizigste Nation von allen“, übte US-Präsident Jimmy Carter in einem Essay im Christian Science Monitor einmal Selbstkritik.
Dabei sind die USA die reichste Nation der Welt. Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten macht fünf Prozent der Weltbevölkerung aus. Diese fünf Prozent produzieren fünfundzwanzig Prozent der weltweit erzeugten Treibhausgase und konsumieren über die Hälfte aller in der Welt angebotenen Waren und Dienstleistungen. Europa, Japan oder die arabischen Ölstaaten verhalten sich nicht besser. 15 Prozent der Weltbevölkerung konsumieren 85 Prozent aller produzierten Güter und Dienstleistungen. Den bescheidenen Rest müssen sich 85 Prozent der Weltbevölkerung teilen. 2013 gaben US-Konsumenten 21,57 Milliarden Dollar nur für Haustierfutter aus – ein Drittel davon würde nach Schätzungen des UNDP Human Development Reports ausreichen, um jeden Bedürftigen in der Welt mit den notwendigsten Nahrungsmitteln und Medikamenten zu versorgen; elf Milliarden Dollar investierten US-Verbraucher 2012 nach Angaben der American Society of Plastic Surgeons in „rein ästhetische und technisch überflüssige kosmetische Operationen“, die Hälfte dieses Betrags würde ausreichen, weltweit eine schulische Grundausbildung zu garantieren. Die Vermögen der drei reichsten US-Bürger übersteigen die zusammengefassten Nationaleinkommen der 48 ärmsten Staaten.
„Jesus Christus ist freier Handel, und freier Handel ist Jesus Christus“, predigte 1850 der britische Gouverneur von Hongkong seinen chinesischen Untertanen. Mit ebensolch religiöser Inbrunst wird Washington als größte Handelsmacht der Welt nicht müde, den Abbau von Handelsbarrieren, von Grenzen und Zolltarifen, die den „freien Handel" stören, zu fordern – doch nur solange den eigenen Produzenten keine Nachteile daraus erwachsen. Regelmäßig wettert Washington vor den Institutionen der Welthandelsorganisation gegen den gleichen Protektionismus, den es zuhause durchaus pflegt. Die „Handelsabkommen sind oft asymmetrisch“, kritisierte darum der Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, „der Norden beharrt darauf, dass der Süden seine Märkte öffnet und Subventionen einstellt, während er seine Handelsschranken aufrecht erhält und seine Bauern subventioniert.“
„Das ungeschriebene Gesetz der amerikanischen Wirtschaftspolitik funktioniert im Grunde so: 'Tu, wie ich dir sage, nicht wie ich handle'", schrieb die New York Times einmal.
… am Beispiel Afrika
Im Mai 2000 ratifizierte der US-Kongress z.B. den African Growth and Opportunity Act, kurz AGOA. Mit viel Wortgetöse wurde dieses Gesetz angekündigt. Es sollte die Ökonomien der Subsahara Staaten unterstützen und die wirtschaftlichen Beziehungen dieser Länder zu den USA verbessern. Doch die Afrikaner wurden reingelegt. Die USA beziehen Öl aus Afrika und nennen es „Programm für Wachstum und Möglichkeiten in Afrika“: 2008 stammten nur drei Prozent der US-Importe aus den 39 AGOA-berechtigten Staaten. 95 Prozent dieser drei Prozent entfielen auf Erdöl aus Nigeria und Angola und zu einem geringen Teil aus anderen Ländern. Zwar lassen die USA auch andere Produkte auf ihren Markt, jedoch nur solche, die keine negativen Auswirkungen auf die heimische Produktion haben. Zucker, Kaffee, Kakao und andere landwirtschaftliche Produkte fallen nicht in diese Kategorie, die steuerliche Begünstigungen erwarten kann.
Immerhin bietet AGOA der afrikanischen Bekleidungsindustrie unbegrenzten Zugang zu den amerikanischen Märkten – jedoch nur, wenn diese Kleider, Hemden, Röcke oder Hosen aus Stoffen und Geweben hergestellt wurden, die „made in the USA“ sind. Textilprodukte, hergestellt aus lokalen Materialien sind rigorosen Einschränkungen ausgesetzt. Die Exporte solcher Produkte dürfen keinesfalls mehr als 3,5 Prozent aller Textilimporte der USA in acht Jahren ausmachen. Zudem können die USA diese Konzession jederzeit wieder zurückziehen. So dürfen die Afrikaner nicht nur ihre eigenen Rohstoffe nicht verarbeiten, sondern müssen die Rohstoffe zur Herstellung der Exportware auch noch zu hohen Kosten aus den USA importieren. Damit haben afrikanische Textilprodukte keine Chancen im Wettbewerb mit der billigen US-Konkurrenz.
Und was bekommen die USA im Gegenzug dafür? Unter anderen Dingen verlangt AGOA, dass die afrikanischen Staaten Schranken, die amerikanischen Handel und amerikanische Investitionen behindern, beseitigen; dass amerikanische Firmen gleich wie afrikanische Firmen behandelt werden und amerikanischer geistiger Besitz gemäß internationaler Standards geschützt wird; dass die Privatisierung vorangetrieben und existierende Subventionen und Preiskontrollen abgeschafft werden; dass kein AGOA-Mitglied in irgendeiner Weise sich an einer Politik beteiligt, die amerikanische Sicherheits- und außenpolitische Interessen gefährdet.
Die Bestrafung von Regelverstößen
Die USA erheben hohe Zolltarife auf Schlüsselprodukte aus den Agrarwirtschaften Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas (Reis, Zucker, Kaffee), auf Erdnüsse etwa beträgt die Importsteuer über 100 Prozent. Diese Handelsrestriktionen kosten die ärmsten Länder der Welt jährlich nicht weniger als 2,5 Milliarden Dollar. In Haiti etwa hat die Liberalisierung des Reismarktes und die darauf folgende Einfuhr subventionierten amerikanischen Reis‘ die gesamte einheimische Reisproduktion zum Erliegen gebracht. Mit Preisdumping zerstörten die USA und Europa zahlreiche Kleinunternehmen in den Entwicklungsländern und förderten auf diese Weise die zunehmende Verelendung ganzer Regionen.
Als sei das nicht genug, verhängen die USA regelmäßig unilateral Sanktionen, gegen Staaten, die ihren Forderungen nicht willig und rasch genug nachkommen. Seit dem Zweiten Weltkrieg verhängten die USA 104mal Sanktionen gegen Staaten. Tausende Personen und Unternehmen stehen auf den Listen des US-Finanzministeriums, deren Vermögen in den USA eingefroren sind. Wer der Politik der USA Widerstand entgegensetzt, wird mit Sanktionen bestraft: Staaten, Organisationen oder Individuen.
Die lange Liste der von US-Sanktionen betroffenen Personen, Firmen und Staaten wird von einem Office of Foreign Assets Control (OFAC) verwaltet, das zum US-Finanzamt gehört und dort dem „Unterstaatssekretär für Terrorismus und finanziellen Geheimdienst“ unterstellt ist. Die insgesamt 26 Sanktionsprogramme, von „Balkan related sanctions“ bis „Zimbabwe sanctions“, werden per „Presidential Order“ angeordnet. Diese Entscheidungsbefugnis geht auf den I. Weltkrieg zurück, die dem Präsidenten die Möglichkeit gab, US-Bürgern und –Firmen zu verbieten, mit feindlichen Staaten Geschäftsbeziehungen zu unterhalten.
Unter einer Rubrik „Special Designated Nationals“ sind Personen mit Namen, Wohnsitz und Passnummer aufgeführt, mit denen kein US-Bürger Geschäftsbeziehungen unterhalten darf. Daneben existiert eine Liste von Ausländern, die von den USA durchgesetzte Sanktionen umgehen, ebenfalls mit Adressenangaben versehen. Eine 21-seitige Broschüre unter dem Titel „Alles, was Sie über US-Sanktionen gegen Kuba wissen müssen“ liest sich wie „ein kafkaesker Katalog, der selbst das Überfliegen von kubanischem Luftraum extraterritorial regelt und eigentlich alles, was mit Kuba zu tun hat, verbietet“, schrieb der Schweizer Journalist René Zeyer einmal.
Niemand wird über die Gründe aufgeklärt, die ihn auf diese Liste gebracht hat. Niemand hat das Recht, mit juristischen Mitteln seine Entfernung von der Liste zu verlangen. Der Bannstrahl des OFAC trifft weltweit Staaten, Firmen, Personen. Das können Schuldige sein, Schurkenstaaten, Händler von Blutdiamanten oder völlig unschuldig Betroffene. Auf diese Weise fließen jährlich Milliarden Dollar in die amerikanische Staatskasse.
„Wechselseitigkeit ist der Name des Spiels“
Zwar behaupten die USA – so etwa in ihrem CIA World Factbook – US-Firmen müssten höhere Hürden überwinden, wollten sie sich auf den Märkten ihrer Konkurrenten etablieren, als ausländische Firmen, die auf den amerikanischen Markt wollen. Und die US Agency for International Development (USAID) klopft sich auf ihrer Webseite selbst auf die Schulter: „Die Vereinigten Staaten haben eine lange Geschichte der ausgestreckten, helfenden Hand zu jenen Menschen in Übersee, die um ein besseres Leben ringen.“
Doch immer wieder klagen Vertreter der Schwellen- und Entwicklungsländer, genau das Gegenteil sei der Fall. Globalisierung und Freihandel seien „keine Einbahnstraßen“, erinnerte etwa der brasilianische Botschafter Rubens Antonio Barbosa einmal die Mitglieder eines US-Kongresskomitees: „Wechselseitigkeit ist der Name des Spiels.“ Trotz Washingtons leierhaft vorgetragenem Bekenntnis zum freien Handel als Grundlage für Wohlstand und Frieden, blockiere „ein Arsenal von Handelsbarrieren die Einfuhr von 80 bedeutenden brasilianischen Produkten in die USA, darunter Zucker, Schuhe, Stahl und Orangensaft.“ Sofort nachdem das North American Free Trade Agreement zwischen Kanada, Mexiko und den USA in Kraft getreten war (1. Jan. 1994), begann Washington, den Import mexikanischer Tomaten, Avocados, Erdbeeren und Maiskolben zu limitieren. Auch nach dem Freihandelsabkommen mit Chile, (1. Jan. 2004), blockierten die USA mit protektionistischen Maßnahmen die Einfuhr chilenischer Produkte wie etwa Wein oder Lachs.
So gibt die USAID an anderer Stelle auf ihren Webseiten denn auch offen zu: „Der hauptsächliche Nutznießer der amerikanischen Hilfsprogramme im Ausland waren immer die USA.“ Beinahe 80 Prozent aller USAID-Verträge und Zuschüsse gingen „direkt an amerikanische Firmen oder NGOs“. (Das ist nicht verwunderlich: Die US-Entwicklungshilfe ist stets an die Bedingung geknüpft, dass fast 80 Prozent davon für den Ankauf amerikanischer Waren und Dienstleistungen verwendet werden müssen.) USAID habe geholfen, neue Märkte für amerikanische Waren und „Hunderttausende von Jobs“ in den USA zu schaffen.
Copyright versus freier Handel
Zwar echauffieren sich Amerikaner wie Europäer regelmäßig über Copyright-Verletzungen und den Raub intellektuellen Eigentums, die in den Entwicklungsländern weit verbreitet seien, und drohen ebenso regelmäßig mit dem WTO Agreement on Trade-Related Intellectual Property (TRIPS). Selbst jedoch nehmen sie sich, ohne zu fragen, das Recht heraus, auch noch die letzten noch nicht ausgebeuteten Ressourcen der Entwicklungsländer, die Pflanzen- und Tierwelt, die biologische Vielfalt mit all ihren profitablen DNA-Strukturen für sich in Anspruch zu nehmen und patentieren zu lassen.
1985 eignete sich eine US-Firma den indischen Neem-Baum an, der über 100 verschiedene Stoffe enthält, die sich im Stamm, der Rinde, den Blättern und den Früchten unterschiedlich zusammensetzen. Aus dem Neembaum hergestellte Produkte werden als Insektizide, als Fungizid, Spermizid, Dünger und als Futtermittel eingesetzt. Neem-Medikamente werden in Indien seit 2000 Jahren gegen Anämie, Bluthochdruck, Hepatitis, Diabetes, Hauterkrankungen, Lepra, Nesselsucht, Schilddrüsenerkrankungen und Verdauungsstörungen benutzt. Zudem hilft Neem bei Krebs, senkt den Cholesterinspiegel und wird seit Jahrhunderten zur Abtreibung eingesetzt. Indische Forscher haben diese Wirkung bestätigt.
In jenem Jahr ließ sich ein amerikanischer Holzhändler einen Neem-Extrakt unter dem Namen Margosan-O patentieren, den er anschließend an den Chemieriesen W.R. Grace and Co. verkaufte. Damit waren die Schleusen geöffnet. Zwischen 1985 und 1995 wurden in den USA und Europa 37 Patente genehmigt, Neem-Pflanzen zu benutzen und zu entwickeln. Sogar eine Neem-Zahnpasta wurde entwickelt. Damit wurde etwas (In Indien gibt es geschätzte 14 Millionen Neem-Bäume), was in Indien seit Menschengedenken frei verfügbar war, von Indern im Laufe von Jahrtausenden entwickelt und variiert worden war, plötzlich Eigentum amerikanischer und europäischer multinationaler Konzerne.
Blutzellen frei erhältlich
1994 erhielten zwei Forscher der Universität von Colorado das US-Patent Nr. 5.304.718, das ihnen das exklusive Monopol über die bolivianische Apelawa quinoa einräumte. Quinoa ist ein proteinhaltiges Getreide, das schon lange vor den Inkas zu einem der Grundnahrungsmittel der Andenvölker geworden war. Plötzlich dürfen diese Andenbewohner eine Pflanze nicht mehr nutzen, die seit Entstehung der Pflanzenwelt zu ihrem Ökosystem gehörte. Im September 1997 löste das US-Patent Nr. 5.663.484 an „Basmati Reis Produktlinien und Getreide“, das die texanische Firma RiceTec des Prinzen Hans-Adam von Liechtenstein erworben hatte, internationale Empörung und eine kurze diplomatische Krise zwischen den USA und Indien aus. Daraufhin gab RiceTec seine Ansprüche weitgehend auf. Die Fälle sogenannter Biopiraterie häuften sich in den folgenden Jahren.
Wie den Andenbewohnern erging es den Igorot auf den Philippinen, die seit Jahrtausenden diverse Maniokarten, zahlreiche Reissorten, die unter besonderen Umweltbedingungen gut gedeihen, Reis für kühles Wetter, Reis für heißes Wetter, Reis für überflutete Gebiete, Reis für trockene Regionen. Ein einzelnes Dorf hat nicht selten Saatgut für zehn Reissorten für verschiedene Wetterbedingungen und Böden. Inzwischen erforschen, analysieren, patentieren und eignen sich amerikanische Chemiekonzerne, landwirtschaftliche- und biotechnologische Unternehmen die Reisarten der Igorot an, und niemand fragt nach deren geistigem Eigentum.
Da ist es kaum verwunderlich, dass sich US-Firmen auch menschliche DNA-Daten aneignen. 1993 wurde beim US Department of Commerce and Trade ein Patentantrag für die T-Zelle einer Guaymi-Frau aus Panama eingereicht, die mit besonderen menschlichen Viren (HTLV) infiziert war, die bei der Krebsbekämpfung hilfreich sein können. Der Antrag löste internationale Proteste aus und wurde zurückgezogen. Dies hielt das US National Institute of Health jedoch nicht davon ab, die DNA eines Mannes des Hagahai-Volkes in Papua Neu Guinea zu patentieren. Zwar scheiterte auch dieser Versuch, menschliche Gene zu beanspruchen, zu besitzen und kommerziell zu verwerten, an internationalen Protesten. Doch seither haben sich die Versuche, die Gene ursprünglicher Völker patentieren zu lassen, vervielfacht. Und im Internet kann heute jeder offen Blutzellen von Amazonas-Indianern kaufen.
Immer wieder versuchten Regierungen der betroffenen Entwicklungsländer, Verhandlungen über internationale Abkommen zur Bio-Sicherheit und zum Schutz der biologischen Vielfalt anzuregen. Bislang blockierten die Vereinigten Staaten routinemäßig jeden dieser Versuche und beschuldigten die Initiatoren solcher Bemühungen, den internationalen freien Handel zu behindern und drohten mit entsprechenden Sanktionen.
Freiheit und Fairness im Handel unerwünscht
Als im Juli 1944 die Vertreter von 44 Staaten und Regierungen in Bretton Woods, New Hampshire den Grundstein für die heutige Weltordnung legten, war es kein Geringerer als John Maynard Keynes, der die Gründung solcher Institutionen wie der Weltbank oder des Weltwährungsfonds bitter beklagte. Er prophezeite, dass eine derart organisierte Weltwirtschaft den Reichtum und die Macht der Gläubigernationen erheblich erhöhte, während die Schuldner immer tiefer in Verschuldung und Abhängigkeit versänken. Stattdessen plädierte er für eine "international clearing union", die Handelsungleichgewichte automatisch ausgleichen und Schulden eliminieren würde. In diesem System wären die Gläubiger gezwungen, für ihren Devisenüberschuss ebenso Zinsen zu zahlen, wie die Schuldner auf ihre Kredite.
Keynes war damals nicht alleine. Den meisten der Architekten von Bretton Woods war klar, dass die Freiheit des Welthandels von Fairness im Handel begleitet sein musste. Sie schlugen eine "Internationale Handelsorganisation" vor, die sowohl die Zölle abbauen, als auch den Technologietransfer in arme Länder, die Rechte der Arbeiter fördern und die großen Firmen daran hindern sollte, die Weltwirtschaft zu kontrollieren.
Doch die USA lehnten derart großzügige Ideen ab. Sie drohten, Großbritanniens Anteil am Marshall-Plan zurückzuhalten, sollte die von Keynes geführte britische Delegation auf ihren Vorschlägen beharren. Keynes gab nach. Der amerikanische White-Plan wurde angenommen, demzufolge der US-Dollar zur internationalen Leitwährung wurde. In einem Brief an die Londoner Times räumte Keynes später ein, dass sich die Handelspolitik des Währungsfonds und der Weltbank als "sehr töricht" erweisen und "derart zerstörerisch auf den internationalen Handel" auswirken könnte, "dass Bretton Woods - sollte ihre Einrichtung gebilligt werden - reine Zeitverschwendung gewesen sein wird."
Seither sind Weltbank und IMF zu kaum mehr als Instrumenten zur Durchsetzung amerikanischer Handelspolitik degeneriert. Eine Untersuchung der Vereinten Nationen bezeichnete die WTO als „Albtraum“ für Entwicklungsländer. Ihre Tätigkeiten „dienen ausschließlich der Förderung der Interessen dominierender Unternehmen, die den internationalen Handel ohnehin schon monopolisieren.“ Sogar der konservative Economist warf den beiden Institutionen vor, „unverhüllte Instrumente der westlichen und besonders der amerikanischen Außenpolitik geworden“ zu sein.