In Iran gibt es zwei Grundtendenzen, die einander widerstreben: man kann sie vereinfacht als jene der Revolutionswächter beschreiben, welcher die der grossen Bevölkerungsmehrheit – vor allem in den Städten – entgegensteht. Diese Mehrheit und ihre Wünsche sind durch den Wahlsieg Präsident Rouhanis vom vergangenen Mai dokumentiert. 53 Prozent der iranischen Bevölkerung stimmten für ihn, sein konservativer Hauptgegner, Ebrahim Raisi, erhielt 15,7 Prozent der Stimmen.
Das Balance-Spiel des Herrschenden Gottesgelehrten
Über den beiden Tendenzen steht und zwischen ihnen entscheidet der
„Herrschende Gottesgelehrte“, Khamenei. Khamenei geht es um
Machterhaltung, nicht nur für sich selbst, sondern auch für das
besondere iranische Regierungssystem, das als ein „islamisches“ Regime der iranischen Schiiten von Ayatollah Khomeini gegründet wurde und das als solches den iranischen Geistlichen bedeutende Machtprivilegien zuspricht.
Der Machterhaltung für Khamenei selbst und für seine zukünftigen Nachfolger dient es, die beiden Grundtendenzen Irans gegeneinander auszubalancieren. Wenn eine von ihnen zu stark wird, kehrt sich der „Herrschende Gottesgelehrte“ der anderen zu und sucht sie zu stützen, indem er ihr etwas mehr freie Hand gewährt als zuvor.
Unter dem vorausgegangenen Präsidenten, Ahmedinejad (Präsident
2005–2013) hatte der Machtflügel der Wächter eher zu viel Macht
gewonnen und diese soweit missbraucht, dass die Bevölkerung darunter zu leiden hatte. Khamenei liess deshalb zu, dass Rouhani die
Präsidialwahl im Jahr 2013 gewann. Im zweiten Wahltermin von 2017
neigte er wahrscheinlich eher dem konservativen Gegenkandidaten
Rouhanis, Raisi, zu. Jedoch nicht so entschieden, dass er dessen Wahl
mit Gewalt durchgedrückt hätte.
Rückkehr in die Weltpolitik oder Expansion durch Gewalt
Auch wieder sehr generell betrachtet, kann man sagen, Rouhani steht für eine Re-Integration Irans in die Völkergemeinschaft. Die Revolutionswächter streben militärische Macht an und befürworten eine
Politik, die auf Einfluss Irans im Nahen Osten und in der Weltpolitik
durch diese gesteigerte Militärmacht hinwirken soll. Wie dies bei einer militärischen und gleichzeitig ideologischen Macht nicht verwunderlich ist.
Es waren die Revolutionswächter, unter deren Leitung die Atom-Politik
Irans voranschritt. Als Iran wegen dieses Kurses einen Boykott der
westlichen Staaten erlitt, waren es die Revolutionswächter, die sich
auch der Aufgabe annahmen, den Boykott so gut wie möglich zu
umgehen und zu überspielen, um mit der atomaren Aufrüstung ihres
Landes fortzufahren.
Diese Funktion als Widersacher und Gegenspieler des Boykotts mit allen verfügbaren Mitteln steigerte die Macht der Wächter im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich um ein Beträchtliches. Doch die wirtschaftliche Lage des Landes und der grossen Masse seiner Bewohner litt, sowohl durch den Boykott selbst wie auch durch die wirtschaftlichen Manipulationen, welche die Wächter zu ihrem eigenen Vorteil und dem ihrer Anhänger und Parteigänger vornahmen.
Die Waagschale neigt sich zu Rouhani – und wieder zurück
Dies zusammen mit persönlichen Reibungen zwischen Khamenei und
Ahmedinejad bewirkte, dass der Herrschende Gottesgelehrte sich
überzeugen liess, Rouhani und seinem Vorschlag, die Atomfrage durch
Verhandlungen zu entschärfen, zuzustimmen und dass er daher in den
Wahlen von 2013 Rouhani Präsident werden liess.
Doch sobald der Atomvertrag im Juni 2015 unter Dach gekommen war und die „liberal“ eingestellte Bevölkerungsmehrheit dem Präsidenten zujubelte, neigte Khamenei sich der Gegenseite zu. Er betonte, die USA seien nach wie vor „der grosse Teufel“, und er gewährte den Revolutionswächtern und ihrer Führung freie Hand in Syrien und – soweit es ging – in Jemen, um ihre dortigen Ziele zu verfolgen.
Er übte sogar gelegentlich scharfe Kritik am Präsidenten, was als ein Hinweis zu sehen war, dass dieser, wenn er Präsident bleiben wolle, in Wort und Tat die Wünsche der Gegenseite, jener der Wächter,
berücksichtigen müsse. Khamenei hat nach der Verfassung die Macht,
den Präsidenten abzusetzen, wenn er das für nötig hält.
Trump fördert die Revolutionswächter
In diese Machtbalance greift nun Trump mit seinen Reden und einigen
seiner Taten ein, mit dem Resultat, dass er die Macht seiner iranischen Feinde und Gegenspieler in Iran steigert und den Einfluss der potentiellen Freunde und Förderer einer iranischen Politik, wie sie den Wünschen und Interessen Amerikas entspräche – jener des Präsidenten Rouhani – zurückdrängt.
Die Dynamik ist leicht zu erkennen. Je stärker die Spannungen zwischen den USA und Iran wieder anwachsen, desto mehr Macht und Bedeutung gewinnen die Revolutionswächter, die als militärische, wirtschaftliche und politische Gegenmacht gegen die USA auftreten und wirken. Sie werden, wie zur Zeit Ahmedinejads, erneut die Verteidiger Irans gegen den „grossen Teufel“ und all seiner Vorhaben.
Wenn Trump tatsächlich versuchen sollte, den Atomvertrag zu brechen, indem er ihn kündigte, werden die Wächter ihre alte Stellung als die Betreiber der iranischen Atompolitik, wohin diese immer führen mag, uneingeschränkt zurückerhalten. Schon gegenwärtig bewirkt die Iran-Hetze des amerikanischen Präsidenten, dass Rouhani sich gezwungen sieht, gegen die USA aufzutreten und den Traum von weltweit guten Beziehungen mit dem Ausland zurückzustellen. Er selbst, der die Gänge und Wege des Regimes aus eigener Erfahrung kennt, ist der beste Beurteiler seiner eigenen Situation in Bezug auf die übergelagerte Macht des Herrschenden Gottesgelehrten und die wiederaufstrebende Gegenmacht der Revolutionswächter.
Rouhani muss elastisch nachgeben
Rouhani weiss, dass er seine Versprechen gegenüber seinen Wählern, die einen Wirtschaftsaufschwung verhiessen, nicht einhalten kann, wenn Trump auf die Pauke des Anti-Iranismus schlägt und versucht, Iran niederzuhalten. Er weiss auch, dass unter diesen Bedingungen die
alternative Politik der Revolutionswächter, die auf militärischen und
politischen Machtgewinn für Iran, genauer für die Wächter selbst als
führende Macht in Iran, ausgeht, Gewicht gewinnt.
Er sieht sich gezwungen, seine Position zu retten, indem er elastisch nachgibt, zum Nachteil natürlich der Politik, die er eigentlich führen möchte und auf die seine Wähler gehofft hatten.
Trump schädigt Iran und Amerika
Fazit: Trump schädigt die Entwicklungen, die Iran und dem Westen zugute kämen, und er fördert jene, die drohen, Iran in einen kalten und
möglicherweise einen heissen, unkonventionellen, Krieg mit den USA zu verwickeln. Unkonventionell wird dieser Krieg – falls er kommen würde – ausfallen, weil die Revolutionswächter wohl schlau genug sind, trotz der Prestigeprojekte wie Atomwaffen und interkontinentale Raketen, sich nicht auf den Einsatz solcher schwerer Waffen zu konzentrieren. Viel eher werden sie davon ausgehen, dass ihnen ein Guerilla-Krieg mit Schnellbooten gegen Flugzeugträger und Partisanen mit „Improvisierten Explosiven Objekten“ gegen Tanks die besten Chancen bietet, den Amerikanern auf mittlere Frist (vielleicht zehn bis 15 Jahre Krieg) eine Niederlage zu bereiten.