Präsident Trump will den Krieg in Afghanistan nicht verlieren, doch
gewinnen kann er ihn schwerlich. Das heisst, der Krieg in Afghanistan
wird weiter andauern, ohne einen Abschluss zu erreichen. Für die
Amerikaner dauert der Afghanistan-Krieg schon seit 16 Jahren. Er wurde damit der längste Krieg der amerikanischen Geschichte. Doch für die Afghanen dauert er ununterbrochen an – seit Weihnachten 1979, als die russische Armee einmarschierte. Das sind 37, und nun schon bald 38 Jahre.
Einfluss der militärischen Berater
Trump hat nach einem langen Ringen mit sich selbst und mit seinen
Beratern den Weg des geringsten Widerstandes eingeschlagen. Nichts zu tun war unmöglich, weil die Taliban in Afghanistan Fortschritte
machen. Abzuziehen wäre eigentlich, wie der Präsident selbst sagte,
seinen Instinkten zu folgen. Doch dagegen sprach, dass er in diesem
Fall eine Niederlage hätte zugeben müssen. Dies war ihm selbst
zuwider und auch seinen Hauptberatern, den ehemaligen Generälen, nicht zumutbar.
John F. Kelly, sein gegenwärtiger Stabschef, ist ein
ehemaliger General der Marine. Er hat 2010 seinen 29-jährigen Sohn
Robert Kelly in Afghanistan verloren, als dieser – ein Korporal,
der eine Gruppe von Marines anführte – auf eine Landmine trat. Die
beiden anderen ehemaligen Generäle in Trumps Regierung,
Verteidigungsminister Jim Mattis und Nationaler Sicherheitsberater
H. R. McMaster, haben beide in hohen militärischen Funktionen in
Afghanistan gedient.
„Als Trump mit den Generälen sprach“, so ein
anonymer „hoher Berater“, nach Angabe der Washington Post, „realisierte er, dass das Folgende geschehen könnte: Amerikanische Interessen würden geschädigt – auch Truppen von Verbündeten, Afghanen die unsere Freunde waren – und die (afghanische) Regierung ist nicht stabil.“
Erfolgsrhetorik
Natürlich kleidete Trump seinen Entschluss in grossmäulige Rhetorik,
als er vor einem militärischen Publikum seinen Entschluss bekanntgab.
Gleichzeitig suchte er sich nach Kräften von der Afghanistan-Politik
Obamas abzusetzen. Dies, obwohl er sich nun entschlossen hat, – wie schon unter Obama – amerikanische Truppen in Afghanistan weiter zu stationieren und diese nun sogar aufzustocken. „Die Strategie wird sich dramatisch verändern“, versprach er. „Wir werden von einem auf Zeit beruhenden Vorgehen zu einem übergehen, das auf den Gegebenheiten beruht.“ „Wir betreiben nicht ‚Nation building‘ – wir töten Terroristen!“ „Micromanagement aus Washington DC gewinnt keine Schlachten.“
Trump suchte neue Akzente gegenüber Pakistan und Indien zu setzen. „Wir können nicht länger schweigen über die sicheren Zufluchtsstätten (für die Taliban) in Pakistan. Pakistan hat viel zu gewinnen, wenn es mit uns zusammenarbeitet. Es hat viel zu verlieren, wenn es fortfährt,
Terroristen zu beherbergen.“ Gleichzeitig auch: „Indien muss mehr
Hilfe leisten mit Afghanistan.“ Offenbar ohne sich dessen bewusst zu
sein, dass für Pakistans Militärs eine jede Präsenz Indiens im
nördlichen Nachbarland ein Rotes Tuch ist. Schon der Gedanken daran
ist für ISI (den allmächtigen pakistanischen Geheimdienst) ein
Hauptgrund dafür, die Taliban zu unterstützen, weil von diesen – es sind
radikale Muslime – erwartet wird, dass sie sich auf Pakistan, und
nicht auf Indien, abstützen.
Wenig konkrete Fakten
Konkrete Zahlen der zusätzlichen Truppen für Afghanistan nannte Trump nicht, und er erwähnte auch keine neuen militärischen Konzepte. Seine Aussagen beschränkten sich darauf, was er nicht zu tun gedenke: kein Mikromanagement, sondern „lagebedingte“ Entscheidungen der Militärs. Kein „Nation building“, sondern „Terroristen töten“.
Aus den Hintergrundberichten weiss man, dass Verteidigungsminister Matthis ursprünglich eine grosse Menge von amerikanischen Soldaten zur Verstärkung der 8’000 Mann amerikanischer Truppen gefordert hatte, die sich noch in Afghanistan befinden, 10’000 oder mehr. Dass dies jedoch auf Widerstand des Präsidenten gestossen war, der ja in seinen Wahlreden versprochen hatte, er werde aus Afghanistan abziehen, und der sich bewusst ist, dass das amerikanische Publikum des langen Krieges müde geworden ist.
Ein Grund für den Abgang von „Chefstratege“ Bannon?
Die Hintergrundberichte wollen auch wissen, dass sich der kürzlich
zurückgetretene rechtsnationale „strategische Berater“ Stephen Bannon
gegen massive Verstärkungen stellte und dafür warb, dass der
Afghanistan-Krieg „privatisiert“ werde, indem er dem Söldnerführer
Eric Prince anvertraut werde, dem Gründer der übel beleumdeten und aus dem Irak als mörderisch bekannten Söldnergruppierung Blackwater, die sich inzwischen „Academi“ nennt. Dies stiess auf scharfen Widerspruch des Verteidigungsministers, des Nationalen Sicherheitsberaters und des Stabschefs. Der Zusammenprall hat möglicherweise zum Rücktritt des rechtsextremen und faschistisch angehauchten „Strategiechefs“ Bannon beigetragen.
Es gilt nun als wahrscheinlich, dass einige Tausend Mann mehr amerikanischer Truppen nach Afghanistan gesandt werden sollen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Auch von den Kosten ist nicht die Rede. Man weiss nur, dass der bisher 16-jährige Krieg je nach Schätzung zwischen 841 Milliarden und über 1’000 Milliarden gekostet habe.
Die Notlage in Afghanistan
All dies ist amerikanische Politik und geht an der Lage, die in
Afghanistan besteht, achtlos vorbei, als ob Afghanistan selbst nicht
wirklich mitzählte.
Die dortige Lage kann man folgendermassen zusammenfassen: In der afghanischen Regierung herrscht Chaos, weil sich dort nicht nur die
Anhänger des Präsidenten, Ashraf Ghani, und jene des „Oberhauptes der Exekutive“, Abdullah Abdullah, bitter streiten, sondern weil sich auch im Schatten dieser Gegensätze zahlreiche Feudalherren oder Warlords weitgehend selbstständig gemacht haben. Sie führen ihre eigenen Truppen an und ernähren diese, wie sich selbst, durch Druck auf die von ihnen „beschützte“ Bevölkerung.
Die Armee unter Druck
Die afghanische Armee, die von den verbliebenen Amerikanern
ausgebildet und aufgerüstet werden soll, erleidet im Kampf mit den
Taliban empfindliche Verluste und verliert in kleinen Schritten
Gebiete an sie. Die Taliban beherrschen mindestens ein Drittel des
Landes. Als „umkämpft“ gilt ein anderes Drittel. Sie haben die
Initiative inne; die afghanische Armee steht in der Defensive. Die
Taliban und der mit ihnen rivalisierende IS führen blutige Anschläge
in den Städten Afghanistans durch und auch immer wieder in Kasernen und anderen Armeelokalitäten.
Die afghanische Polizei gilt als besonders bestechlich. Doch die Korruption herrscht landesweit. Die Opfer unter der Zivilbevölkerung sind dieses Jahr, nach den Schätzungen der Uno, höher als je seit 2010. Die Opiumernte, eine wichtige Einnahmequelle für die Taliban, grösser denn je.
100’000 Amerikaner – erfolglos
Unter Obama befanden sich 2010 über 100’000 amerikanische Soldaten in Afghanistan. Sie konnten die Taliban vorübergehend zurückdrängen. Doch diese nutzten die Ausweichmöglichkeiten, die ihnen die pakistanische Grenze bietet, und kehrten ins Innere Afghanistans zurück, als Obama begann, seine Truppen abzuziehen. Die afghanische Armee, welche die Verantwortung für den Krieg gegen die Taliban hätte übernehmen sollen, erwies sich als allzu unterlegen.
Das zwang Obama dazu, entgegen seiner ursprünglichen Pläne eines vollen Abzugs der Amerikaner bis Ende 2015, die besagten 8’000 Mann in Afghanistan zu belassen mit dem Hauptauftrag, die afghanische Armee weiter auszubilden, aber auch den Afghanen in Notfällen zu Hilfe zu kommen. Bis Afghanistan über eine aktionsfähige eigene Luftwaffe verfügt, wird es noch mehrere Jahre dauern, wenn es überhaupt je soweit kommt.
Fremdfinanziert
Die Finanzierung der afghanischen Armee kostet sehr viel mehr als die
Gelder, über die die afghanische Regierung verfügt. Ohne die amerikanische Finanzierung würde diese Armee in wenigen Wochen
kollabieren, die Regierung mit ihr. Es gibt schwerreiche Leute unter
den Afghanen. Die meisten haben ihre Vermögen in Dubai in Sicherheit
gebracht und verfügen dort über Villen.
Die Masse der Bevölkerung leidet Not. Die Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet. Flüchtlinge, die während der Kriegsjahre das Land verliessen, werden zu Hunderttausenden aus Pakistan und Iran sowie zu Zehntausenden aus Europa zurückgesandt in ein Land, wo sie keine Arbeit finden und oftmals nicht einmal in ihre Dörfer zurückkehren können, weil dort die Taliban herrschen.
Die Elendesten von allen haben keine andere Wahl, als sich für die Armee oder die Polizei anwerben zu lassen. Viele von ihnen gelten als drogensüchtig. Die Zahl der Deserteure ist hoch. Es gibt Einheiten, die nur über die Hälfte des Mannschaftsbestandes verfügen, den sie theoretisch besitzen sollten. Die Taliban gewinnen oft heimliche Mitarbeiter innerhalb der Armee, wie ihre Anschläge zeigen, die nicht selten auf Hilfe von Innen beruhen.
Punktuelle Erfolge bleiben gefährdet
Neben all diesen Missständen gibt es auch immer wieder Oasen des
Gelingens und echten Fortschritts. Doch solche Ansätze sind gefährdet.
Im Fall, dass die Taliban siegen sollten und in Landesteilen, wo sie
dies heute schon tun, werden solche Inseln mit Sicherheit liquidiert, weil ihre Aktivisten und Vorkämpfer als Gegenspieler der Taliban gelten und es meistens auch sind.
Geht es ohne „Nation“?
Wenn Trump davon spricht, dass er kein „Nation building“ vornehmen
will, legt er unbewusst die Hand in die Wunde. Das „Nation building“
der Amerikaner und auch der jahrelang beteiligten europäischen
Staaten hat sich als Fehlschlag erwiesen – aus vielen Gründen. Nicht der geringste Grund dürfte die Unfähigkeit der Amerikaner und anderer
Ausländer sein, die afghanische Gesellschaft zu verstehen und
ihrem Funktionieren gemäss zu handeln, statt nach den in ihren eigenen Ländern üblichen Massstäben und Methoden.
Wenn die Nation nicht funktioniert, kann man auch nicht erwarten, dass ihre Armee funktioniere, auch dann nicht, wenn sie auf fremde Ausbilder und Finanzierung zurückgreifen kann.
Verlängerung ohne Erfolgsaussichten
Zu erwarten ist daher, dass die Amerikaner in Afghanistan bleiben
werden, der Krieg mit den Taliban weitergeht, ohne endgültige
Entscheidung, möglicherweise solange Trump Präsident bleibt. Er
musste unter dem Druck seiner Mitarbeiter von Generalsrang die
Verantwortung für die Zukunft Afghanistans übernehmen. Er wird sie nun nicht mehr loswerden, und er wird nicht bereit sein, einen Fehlschlag hinzunehmen, der nun, wenn er eintritt, unvermeidlich der seine sein wird.
Mit amerikanischem Geld und amerikanischen Soldaten wird ein
endgültiger Fehlschlag noch einige Zeit vermeidbar sein. Doch dass
sich ein Erfolg einstellen könnte, sei es durch Verhandlungen mit den
Taliban, sei es durch deren Zurückdrängung und Liquidation, muss unter den gegebenen Umständen als sehr unwahrscheinlich gelten.