Vielleicht ist der Augenblick schlecht gewählt, um die möglichen Wirkungen des Regimewechsels in den USA auf meine Berichtsregion abzuschätzen. So viele globalen Pfeiler sind unvermittelt ins Wanken geraten. Die Grossen der Welt kommen plötzlich in neuen Kleidern daher. Chinas kommunistischer Präsident ist nun ein Verfechter des Freihandels, ein New Yorker Milliardär wird zum Schutzengel der Stahlarbeiter und der Inner Cities. Ein ehemaliger KGB-Spion lässt sich zum Retter des christlichen Abendlands ausrufen.
Die neue Weltordnung wird in Twitter-Dosierungen verkündet, die alles andere als homöopathisch sind. Auch Südasien wurde mit Trump Tower-Tweets beglückt, die die Deutungsvielfalt eines Horoskops haben, unter deren Gewicht selbst die Orthografie zu wackeln beginnt: „I am a big fan of Hindu. I am a big fan of India“, lautete ein früher Tweet. Denn: „I am involved in two massive developments in India ... and that is because I have great confidence in India.“
Indien, ein Bollwerk gegen China?
Narendra Modi? „A great man. I applaud him“. Doch bevor Freund Modi diese Trumpkarte ausspielen konnte, kam schon wieder eine Salve. Der Bauunternehmer hatte dasselbe Kompliment für den pakistanischen Premierminister parat. Mehr noch: „Pakistan is an amazing country“, teilte er Nawaz Sharif am Telefon mit. „... with amazing people.“ Und was die Inder noch mehr verunsicherte: Trump anerbot sich, seine „fabelhafte“ Verhandlungskunst einzusetzen, falls die beiden den Kaschmirdisput lösen möchten, „one of the great conflicts in the world right now ... It has been for some time. Just recently you had a lot of people killed.“
Aber in Pakistan leben zum Glück viele „Bad Muslims“. Indien kann aufatmen. „You have to get India involved ...They have their own nukes and have a very powerful army (...) I think we have to deal very closely with India to deal with Pakistan.“ Hat nicht ex-General James Mattis, der neue Verteidigungsminister, im Bestätigungshearing im Senat gesagt, dass Indien für die USA ein wichtiges Bollwerk gegen chinesischen Expansionismus darstellt?
Baby USA
Aber das war gestern. Spätestens seit letztem Freitag wissen wir, dass nur eines zählt: America First. Und das heisst: Jobs. „We’re going to create jobs. I said that I will be the greatest jobs producer that God ever created ...You can’t allow policies that allows (sic) China, Mexico, Japan, Vietnam, India. You can’t allow policies that allows (sic) business to be ripped out of the United States like candy from a baby.“
Die USA ein Baby? Das ist zumindest das Bild, das vom Trump-Übergangsteam an die Wand gemalt wurde, als es eine Verschärfung der Visa-Regeln in Aussicht stellte. Die 68‘000 hoch qualifizierten Tech-Arbeiter, die das H1B-Visum jedes Jahr für einige Monate ins Land lässt – die meisten sind Inder – tun ja nur so, als wären sie Babysitter. In Wahrheit sind sie Schlaumeier, die sich an den Visahürden vorbei ins Gelobte Land schleichen und dort Jobs stehlen. Und mit den repatriierten Löhnen helfen sie mit, zuhause eine neue Mittelklasse aufzubauen.
Demokratische Institutionen als Kulisse
Das ist zumindest das Bild, das Steve Bannon, Trumps ideologischer Einflüsterer, zeichnet: Die Globalisierung hat in vielen Ländern eine neue Mittelklasse geschaffen. Das ist zweifellos so. Aber, so fährt Bannon fort, sie hat zugleich die ökonomische Basis der amerikanischen Mittelschicht ausgehöhlt (‚gutted’). Freihandel ist ein Nullsummenspiel: es gibt nur Gewinner und Verlierer. Kein Wort darüber, dass die neuen Mittelklassen verlässliche Abnehmer amerikanischer Produkte sind; dass indische Expats amerikanischen Grosskonzernen wie Google, Apple und Microsoft, GE und TI helfen, ihre globale Macht auszuweiten.
In einem früheren Breitbart-Stück hatte Bannon den indischen Premierminister als Vorreiter einer weltweiten Bewegung genannt, die mit Trump nun auch die USA erreicht hat. Beide gebärden sich als Nationalisten, die demokratische Institutionen als Kulissen für ihre Machtspiele schätzen. Allerdings: Die ideologische Bruderschaft gerät ins Schwitzen, wenn es im Verkehr zwischen Nationen nur Gewinner oder Verlierer gibt. You’re hired, or you’re fired. Populisten haben Mühe, sich zu umarmen, wenn sie hohe Einwanderungs- und Zollmauern um sich hochziehen.
Dolch in der Hand
Dies mag das Paradox erklären, dass zwischen Modi und Barack Obama, dem Populisten und dem Demokraten, eine so enge Beziehung bestand. Auf der einen Seite der weltoffene Demokrat, der Sympathien hatte mit dem Underdog, der sich mithilfe offener Grenzen zur globalen Elite hocharbeiten will. Friedensnobelpreisträger Obama machte sich sehr wohl Sorgen um die Menschenrechte der indischen Muslime in Modis Gujerat; dennoch war er dafür besorgt, das Einreiseverbot gegen ihn aufzuheben.
Neun Mal trafen sich die beiden Regierungschefs in den letzten beiden Jahren, und alle Begegnungen waren geprägt von einer verblüffenden Herzlichkeit. Viele liberale Inder regten sich auf, dass Obama dem kaltblütigen Machtpolitiker die Hand reichte, statt ihm Stirne zu bieten. Kam es dagegen zu Begegnungen zwischen Modi und Xi Jinping, oder kürzlich Putin, fühlten sich die Umarmungen an, als hielte jeder einen Dolch in der Hand.
Wait and see
Es kann also gut sein, dass nicht nur die widersprüchlichen Rauchzeichen aus dem Trump-Tower Modis bisherige Zurückhaltung erklären. Während Obama einen Sinn für Respekt und Fairplay hatte, könnte es Modi mit Trump ähnlich ergehen wie mit den beiden (eur)asiatischen Core Leaders, die mit Populismus wenig anfangen können, wenn es um andere Populationen geht. Anfangs Januar kam es – ausgerechnet in Moskau – zu einem Treffen Chinas und Russlands mit Pakistan, um über Afghanistan zu diskutieren. Indien, das sich als Schutzmacht Afghanistans versteht (und die sowjetische Besetzung nie verurteilt hatte), war nicht geladen.
Modis Wait-and-see gründet (wie bei vielen anderen Ländern) auch in der Hoffnung, dass sich eine einigermassen kohärente Weltsicht Washingtons abzeichnen wird, wenn sich der Kanonenrauch von Wahlschlacht und Presidency-in-waiting einmal verzogen hat.
Mit indischem Flankenschutz
Delhis aussenpolitische Elite glaubt inzwischen, eine Konstante bereits ausmachen zu können, die Indiens Rolle stärken und protektionistische Drohungen abschwächen wird: eine viel aggressivere Chinapolitik der USA, mit einer zunehmend stärkeren militärischen Dimension rund um Beijings Ambitionen in der Südchina-See.
Das Szenario einer militärischen Eskalation der USA mit China – und Indiens Flankenschutz – könnte, so das Kalkül, Indien auch wirtschaftspolitische Trümpfe in die Hand spielen. Die USA sind Indiens wichtigster Handelspartner, und gerade dessen IT-Industrie ist auf freien Zugang seiner Intelligenzarbeiter und zwei Drittel seiner Software-Exporte angewiesen.
Strategische Wichtigkeit Pakistans
Es könnte aber auch anders laufen. Die geopolitische Lage Indiens bringt zunehmend höhere Risiken. Washington ist weit weg, während China ein Nachbar mit einer gemeinsamen Grenze von 2000 Kilometern ist. Die zunehmende Spannung im südchinesischen Meer erhöht für China die strategische Wichtigkeit Pakistans. Islamabad bietet Beijing mit dem Korridor zwischen Kashgar und Gwadar einen Zugang zum Indischen Ozean und zum Mittleren Osten. Mit dieser alternativen Pipeline-Route hofft China seinen immensen Energiebedarf sicherzustellen, falls die maritimen Transportwege riskanter – und damit noch teurer – werden.
Die strategische Bedeutung Pakistans sollte für China eigentlich heissen, dass es ein Interesse an einer Entspannung zwischen Pakistan und dessen hautnahen Nachbarn hat. Doch Pakistans Militärs machen keine Anstalten, sich aus ihrer anti-indischen Verkrampfung zu lösen, der Basis ihrer Macht.
Modi, you're hired
Damit wird China auch zum Gefangenen seines Allwetter-Freunds. Ein Beispiel: China hat in den letzten Monaten mehrmals sein Uno-Veto eingelegt, als Indien versuchte, den Pakistaner Masood Azhar als international ausgeschriebenen Terroristen zu ächten. Azhar gilt als Architekt der drei Überfälle auf militärische Installationen der indischen Armee im Grenzgebiet zu China.
Der Feind meines Feinds ist – mein Freund. Was heissen könnte, dass die Trumpkarte am Ende der einzige Trumpf ist, den Delhi in den Händen hält. Modi, you’re hired.