
Aus Trumps erratischer Politik werden offenbar nur seine Bewunderer klug. In der vergangenen Woche hatte er den ukrainischen Präsidenten Selenskyj noch als «Diktator» verleumdet. Jetzt soll Selenskyj am Freitag in Washington zur Unterzeichnung eines Abkommens über die Ausbeutung ukrainischer Rohstoffe empfangen werden. Hängt diese neue Annäherung mit Macrons Besuch bei Trump zusammen?
Seriöse Kommentatoren in den USA reagierten genauso fassungslos und kopfschüttelnd wie die Europäer auf die böswilligen rhetorischen Ausfälle Trumps in der vergangenen Woche gegenüber der von Russland überfallenen Ukraine und ihrem standhaften Präsidenten Selenskyj. Selenskyj hatte er als «Diktator ohne Wahlen» verunglimpft und Kiew entgegen allen Tatsachen beschuldigt, den Krieg gegen Russland begonnen zu haben. Gleichzeitig schickte Trump seinen Finanzminister Bessent in die Ukraine, der Selenskyj zur Unterzeichnung eines erpresserischen Vertrages zur Ausbeutung ukrainischer Rohstoffe drängte.
«Don Corleone hätte sich geschämt»
Don Corleone (der Mafia-Boss aus dem legendären Hollywoodfilm «The Godfather») «hätte sich geschämt, derartige Bedingungen zu stellen, aber Don Trump nicht», schreibt der bekannte aussenpolitische Kommentator Thomas Friedman in der «New York Times». In dem Vertrag war die amerikanische Ukraine-Hilfe seit Beginn des Krieges mit 500 Milliarden Dollar beziffert worden – vier Mal mehr, als die offiziell verfügbaren Zahlen ausweisen. Selenskyj hatte die verlangte Unterschrift unter dieses Abkommen, das zu Recht als Knebelvertrag charakterisiert wurde, entschieden zurückgewiesen, worauf sich Trump wieder öffentlich beschwerte, sein Finanzminister sei unfreundlich behandelt worden.
Doch nun scheint wieder alles anders. Trump persönlich hat bestätigt, dass Selenskyj am Freitag nach Washington kommen werde, um einen revidierten Rahmenvertrag über die Ausbeutung ukrainischer Rohstoffe und deren finanzielle Regelung zu unterschreiben. Viele Einzelheiten dieses neuen Vertragspapiers sind noch nicht bekannt und möglicherweise auch noch nicht definitiv formuliert. Doch offenbar muss Selenskyj jetzt nicht mehr befürchten, einen inakzeptablen Vertrag zu unterschreiben. Laut den bisher verbreiteten Informationen ist die Phantasiezahl von 500 Milliarden Dollar, die die Ukraine laut früheren Aussagen Trumps zur Rückzahlung angeblicher früherer US-Leistungen mit Rohstoffen kompensieren sollte, in dem neuern Vertragstext nicht mehr enthalten. Auch das Mitspracherecht Kiews bei der finanziellen Verwertung der künftigen Rohstoffgewinne soll nun deutlich verstärkt worden sein.
Korrigierter Rohstoffvertrag mit offenen Fragen
Allerdings soll darin auch von zukünftigen Hilfeleistungen der USA an die Ukraine, an denen Kiew vorrangig interessiert ist, noch nicht explizit die Rede sein. Dennoch eröffnet die geplante Unterschreibung eines solchen Abkommens für Kiew gewisse Garantien, dass Amerika mit der Ukraine auch in Zukunft durch bedeutende Interessen verbunden bleibt. Damit dürfte sich auch das Risiko vermindern, dass Trump bereit sein könnte, die Ukraine mehr oder weniger gleichgültig dem Putinschen Machtanspruch auszuliefern, wie man das aufgrund seiner verächtlichen Aussagen über Selenskyj und dessen Land befürchten musste.
Was aber sind die Gründe, die Trump in so kurzer Zeit zur Mässigung seiner Rhetorik gegen Selenskyj und zu dieser sich abzeichnenden vertraglichen Annäherung an die Ukraine bewogen haben? Die Vermutung liegt nahe, dass der Besuch des französischen Präsidenten Macron und ihr langes Gespräch im Weissen Haus nicht wenig mit dieser Entspannung zu tun hat. Macron scheint es gelungen zu sein, Trump die Bedeutung der Ukraine-Frage und die Folgen eines amerikanischen Seitenwechsels in Richtung Putin für die Sicherheit, den Zusammenhalt und die Glaubwürdigkeit des Westens und schliesslich auch für die Interessen Washingtons etwas verständlicher gemacht zu haben.
Flattieren und sanft widersprechen
Hinzu kommt wohl auch, dass der so sehr auf geschäftliche «Deals» fixierte Präsident inzwischen eingesehen hat, dass ihm ein privilegierter Zugang zu den begehrten Rohstoffen der Ukraine am Ende ganz entgehen könnte, wenn er den anfänglich vorgelegten «Erpresservertrag» nicht durch eine ausgewogenere Fassung korrigieren würde.
Möglicherweise ist das aber nur ein Teil der Erklärung. Nicht weniger beigetragen zu dieser Entspannung hat wahrscheinlich auch Macrons geschickter persönlicher Umgang mit dem eitlen Chef im Weissen Haus. Die «New York Times» berichtet, der französische Gast habe Trump während der Pressekonferenz im Oval Office mehrfach mit «Dear Donald» angesprochen, er habe ihm «flattiert» und dann an einigen Stellen «sanft widersprochen», also alle Register eines gewieften französischen Charmeurs gezogen.
Am Donnerstag wird auch der britische Premier Keir Starmer in Washington mit Trump zusammentreffen. Auch er dürfte, ähnlich wie Macron, die «Special relationship» seines Landes mit Amerika hervorheben und sich um eine eher harmonische Atmosphäre bemühen. Damit könnten die tiefen Differenzen, wie sie vor kurzem zwischen den Europäern und den USA bei der Münchner Sicherheitskonferenz so schroff zutage getreten sind, zumindest nach aussen hin ebenfalls provisorisch überspielt werden.
Aber zu grossen Hoffnungen auf verlässliche Gemeinsamkeiten in Sachen Ukraine zwischen Europa und Trumps Amerika besteht dennoch wenig Anlass. Noch am Montag, dem dritten Jahrestag des russischen Einmarsches in der Ukraine, hatten die USA in der Uno-Generalversammlung gegen eine von der EU eingebrachte Resolution gestimmt, in der Moskau zum Rückzug seiner Truppen aus dem überfallenen Nachbarland aufgefordert wurde. Trump will offenbar auf der einen Seite mit Selenskyj interessante Rohstoffgeschäfte machen und dem Aggressor Putin auf der anderen Seite signalisieren, dass er zu allerhand Konzessionen bereit ist, um sich mit ihm zu verständigen. Wohin das die Ukraine führen wird, bleibt völlig schleierhaft.