Und trotzdem hat er seinen Platz im Buch der Geschichte bekommen. Als zweiter, diesmal friedlicher Einiger Deutschlands. Jetzt wird Helmut Kohl 85 Jahre alt. Persönliche und gesundheitliche Schläge haben das einstige politische Kraftwerk zerbrechlich gemacht.
So wie sich Zeiten und Menschen ändern, so verschieben sich im Verlauf der Geschichte auch die Sichtweisen auf Geschehnisse und das Gewicht historischer Leistungen. Es war nach der Entlassung Otto von Bismarcks, des „Eisernen Kanzlers“, 1890 durch Kaiser Wilhelm II., als in Deutschland ein bis dahin noch nie gekannter Verehrungskult für den „Einiger des Reiches“ einsetzte. Die Zahl der markigen Steindenkmäler sowie der Plätze und Straßen mit seinem Namen zwischen Aachen und Memel war schier unendlich, die der nationalen Feiern und verherrlichenden Sammelbildchen unübersehbar.
Als Wilhelm II. (um eine berühmte Karikatur des britischen „Punch“ zu zitieren) den „Lotsen von Bord“ schickte, war der „Alte vom Sachsenwald“ fast 75 Jahre alt. Den Menschen in dem mit drei Kriegen sowie Feuer und Schwert zusammen geschmiedeten Reich war Bismarck ein „großer“ Mann – nicht nur wegen seiner 1,90 Meter hohen Statur. 85 Jahre wird jetzt gerade (am 4. April) auch ein zweiter „Einiger“ Deutschlands, und der war – zumindest bis zu dem verhängnisvollen Sturz von der Treppe in seinem Oggersheimer Haus 2008 - sogar noch fünf Zentimeter länger: Helmut Kohl. Doch, anders als vor 16 Dezennien, gibt es für ihn keine staatstragenden Auf- und Fackelmärsche. Und es werden dem Jubilar (von wenigen Ausnahmen vielleicht abgesehen) wahrscheinlich auch keine Kränze gewunden.
Überhaupt nichts Heroisches
Das hat natürlich wesentlich damit zu tun, dass die durch zwei fürchterliche, verlorene Kriege „geläuterten“ Deutschen nationalem Überschwang abhold sind und Personenkult ablehnen. Zumindest im Prinzip. Denn wenn dann doch einmal jemand am Ruder steht, der (selbstverständlich demokratisch zuverlässig) deutlich die Richtung vorgibt, dann folgt man dem nicht ungern. Der rheinisch-listige Konrad Adenauer steht als Beweis dafür genauso wie der vom preußischen Kasernenton nicht weit entfernte Hanseat Helmut Schmidt.
Damit konnte und kann Helmut Kohl nun wirklich nicht konkurrieren. Bei aller körperlichen Mächtigkeit hat der Mann aus der Pfalz weder etwas Militärisches, noch Preußisches und schon gar nichts Heroisches an sich. Keine Bismarck´sche Faust für den Amboss der Weltgeschichte, kein schlitzohriges Selbstbewusstsein eines Adenauer, keine feinsinnig-aristokratische Ausstrahlung eines Richard von Weizsäcker, keine Sprachgewalt eines Franz-Josef Strauß. Abgesehen von seiner Statur, nahm man ihn gern als „Durchschnitt“ wahr – oder wollte ihn einfach so sehen. Entsprechend gefielen sich tatsächliche wie selbst ernannte Intellektuelle - vor allem jedoch Journalisten und so genannte Leitmedien - darin, den „Provinzler“ aus der Chemiestadt Ludwigshafen auf ein (selbstverständlich von ihne definiertes) Mittelmaß zu stutzen und dieses Bild ins Land zu transportieren.
Abenteuerliche Fehlbeurteilungen
Dabei wäre es durchaus klug, vor allem aber der eigenen Urteilskraft zuträglich gewesen, hätten sich diese „Olympier“ mit Blick auf Kohl an der britischen Nüchternheit etwa eines John Le Carré orientiert: „Die Welt im Ganzen ist sicherer, wenn sie von mittelmäßigen Gestalten regiert wird“. Denn diese brächten im normalen – also auch deutschen - politischen Alltag einerseits niemanden um den Schlaf, seien aber andererseits dennoch in der Lage, an bestimmten Weggabelungen der Geschichte über dieses Mittelmaß hinaus zu wachsen.
Die Vorgänge um den Zusammenbruch des Kommunismus und der Weg zur deutschen Vereinigung nach 40 Jahren nationaler Trennung sind für diese These ein überzeugendes Beispiel. Außerdem ist die Art und Weise, wie sich seine zahlreichen (auch innerparteilichen) Gegner über lange Zeiträume geradezu verzweifelt an Helmut Kohl abarbeiteten, ein wunderbares Lehrstück dafür, wie töricht es besonders auf der politischen Bühne ist, Kontrahenten zu unterschätzen. Das führt dann – möglicherweise sogar absichtlich – zu abenteuerlichen Fehlbeurteilungen oder schlichtem Negieren objektiv vorzeigbarer Leistungen.
Die geistig-moralische Wende
Beispiel gebend dafür ist die bis heute andauernde Diskussion über die von Helmut Kohl noch aus dessen Zeit als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag geforderte „geistig-moralische Wende“ im Land. Kaum eine andere Formulierung trug ihm so viel Hohn und Spott ein. Kaum einer seiner Gegner aus Politik und Medien machte sich freilich auch die Mühe, eine Bilanz von „Gelungen“ und „Nicht gelungen“ anzulegen. Als der damalige CDU-Vorsitzende im Oktober 1982 Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Hilfe der Freien Demokraten über ein Konstruktives Misstrauensvotum ablöste und dies ein halbes Jahr später durch Bundestags-Neuwahlen bestätigen ließ, stand die Bundesrepublik nicht sonderlich gut da.
Für Schmidt war es immer schwieriger geworden, den ständig steigenden Erwartungsdruck seiner Genossen nach Zuwachs an sozialen Besitzständen abzuwehren – etwas, woran bereits der legendäre SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller („Genossen, lasst die Tassen im Schrank!“) gescheitert war. Zudem hatte der Hamburger selbst eine fatale Losung mit dem Spruch ausgegeben „6 Prozent Inflation sind mir lieber als 6 Prozent Arbeitslosigkeit“.
Wer erinnert sich noch an die millionenfachen Proteste?
Am Ende seiner Amtszeit hatte Schmidt beides. Die Hinterlassenschaft an die neue Regierung: Zwei Millionen Arbeitslose – für damals ein Rekord. Höchstverschuldung des Staatshaushalts, fehlende Bereitschaft der SPD zur Sanierung des Etats durch Verzicht auf unbezahlbar gewordene Sozialleistungen, Massenflucht der Genossen aus der Mitverantwortung für den Raketennachrüstungsbeschluss und damit Desavouierung des Regierungschefs durch die eigene Partei, dafür jedoch „Harmonie“ bei der Verbreitung der Verratslegende zu Lasten des bisherigen liberalen Weggefährten, „Null-Bock“-Stimmung und weitgehende Leistungs-Verweigerung bei ungezählten jungen Menschen in den Schulen, Universitäten und Betrieben.
In dieser Situation erschien es geradezu wie der Plan für einen politischen Selbstmord, dass die neue christliberale Koalition unter Kohl und Hans-Dietrich Genscher zur Umsetzung des so genannten NATO-Doppelbeschlusses mit der Aufstellung moderner, nukleargestützter amerikanischer Mittelstreckenraketen schritt. Erinnert sich noch jemand an die millionenfachen Proteste und Demos gegen die angeblichen Bonner „Kriegstreiber“? Merkwürdig sogar noch aus heutiger Sicht – ein halbes Jahr nach dem Parlaments-Entscheid war der Spuk von den Straßen und Plätzen der Republik verschwunden. Und nur noch absolute Ignoranten geschichtlicher Abläufe bestreiten, dass mit diesem (vor allem innenpolitisch) höchst riskanten Kraftakt die spätere Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik in Ost und West eingeleitet wurde.
Aussitzer oder Kahlschläger?
Die 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts werden oft als das „konservative Jahrzehnt“ bezeichnet. Tatsächlich ist es die Zeit von Ronald Reagan und Margret Thatcher, als in Washington Markt-Radikalismus herrschte und in London die „Eiserne Lady“ rigoros den Einfluss der Gewerkschaften beschnitt. Gemessen daran ging es in Deutschland gewiss eher gemütlich zu. Dennoch trieben auch hier einschneidende Maßnahmen Abertausende auf die Straßen: Rentenreform, Gesundheitsreform, Steuerreform. In Wirklichkeit wurden ganz einfach Fehlentwicklungen korrigiert. Genau wie bei den Staatsausgaben. Während 1982 fast 50 Prozent des Sozialprodukts durch die Kassen der öffentlichen Hände geflossen waren, sank dieser Anteil relativ schnell um fünf Prozent, was in der Folge die Einsparung von hunderten Milliarden Mark bedeutete. Auch vom einstigen „Null-Bock“-Geist wehte bald allenfalls hier und da noch ein Lüftchen durch die Republik.
In der Rückschau erscheinen diese Entwicklungen relativ undramatisch. Dennoch wurde durch die Reformen in den 80-ern das Fundament für die hervorragende wirtschaftliche und finanzielle Situation in der Bundesrepublik gelegt, ohne welche die Herausforderungen im Zuge der deutschen Vereinigung überhaupt nicht hätten geschultert werden können. Ja, es erscheint sogar der noch bis in die Neuzeit hinein ragende Streit kleinkariert, ob es denn seinerzeit nun tatsächlich „Wendejahre“ gewesen seien. Die einzig richtige Antwort: Natürlich waren sie es. Sonst wären ja auch die Auseinandersetzungen völlig sinnlos, ob (wie es die Linke darstellt) Kohl wegen der Einsparungen ein kaltschnäuziger „sozialer Kahlschläger“ gewesen sei, oder aber (z. B. wichtige Teile von Industrie und Wirtschaft) ein tatenloser „Aussitzer“, weil ihnen die Einschnitte nicht radikal genug erschienen.
Ein "Kraftwerk" verfällt
Wer Helmut Kohl und seinen Werdegang über die Jahrzehnte begleitet und beobachtet hat, ist erschüttert über den Verfall dieses einstmals politischen wie menschlichen Kraftwerks während der vergangenen Jahre; vor allem seit dem Freitod seiner ersten Frau Hannelore 2001 und dem verhängnisvollen Sturz sieben Jahre später.
Das gilt für den körperlichen Zustand ebenso wie für nur schwer erklärbare psychische Phänomene – etwa für den Bruch mit seinen Söhnen oder die Akzeptanz der anscheinend totalen Entscheidungshoheit seiner neuen Ehefrau über sein Tun und Handeln. Denn wenn der einstmals als „schwarzer Riese“ aus der Pfalz bekannt gewordene Kohl selbst in schwierigsten Lagen an Einem nie auch nur den geringsten Zweifel hatte aufkommen lassen, dann war es seine schier allumfassende Dominanz. Oder wenigsten den Anspruch darauf. Kein anderer brachte es auf eine vergleichbar lange Regierungszeit – 16 Jahre, je zur Hälfte acht im westdeutschen Teilstaat und acht weitere im vereinten Deutschland.
Der Machtmensch
Man tritt Helmut Kohl gewiss nicht zu nahe, wenn man ihn nicht der Kategorie der Feingeister zuordnet. Kulturell und auch von der Mentalität her fest verankert in seiner pfälzer Heimat und damit verbunden mit den Einflüssen aus Frankreich, wuchs ihm (zusammen mit der deutschen) die europäische Einigung sozusagen naturgegeben als politisches Ziel zu. In seiner Regierungszeit musste jeder ausländische Staatsbesucher in diesen südwestdeutschen Winkel kommen und – etwa mit Blick auf das Hambacher Schloss – einen Nachhilfe-Unterricht in deutscher Freiheits- und Demokratiegeschichte über sich ergehen lassen. Margret Thatcher, den Deutschen ohnehin nicht sonderlich freundschaftlich zugetan, hat diese Prozedur erkennbar nicht interessiert. Das, wiederum, konnte Kohl nicht begreifen. Nicht wenige Beobachter diesseits wie jenseits des Kanals führen die fehlende „Chemie“ zwischen den Beiden auch auf diese Unterschiede im Geschichtsbewusstsein zurück.
Zeit seines politischen Lebens war Helmut Kohl ohne jeden Zweifel ein „Machtmensch“. Die Macht zu erringen und zu behalten – beide Ziele galten ihm als A und O. Dabei war der Pfälzer kein Ideologe, ganz im Gegenteil. Für ihn musste Politik „vernünftig“ sein, greifbar etwas für die Menschen bringen. Besonders deutlich wurde das während der Wochen und Monate im Frühjahr 1990, als es um die Bedingungen der deutschen Vereinigung ging. Kohl entwickelte damals eine abgrundtiefe Verachtung gegen den seinerzeitigen SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten, den mittlerweile zur SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ abgewanderten Saarländer Oskar Lafontaine. Dieser hatte erklärt, jeder Lothringer stehe ihm näher als „irgend so ein Sachse“. Helmut Kohl hatte schon als Jugendlicher Ende der 40-er Jahre an der Grenze zum Elsass Schlagbäume abgebaut. Und nun bestand (wiederum 40 Jahre später) plötzlich die Chance, dass zwischen Deutschland und Deutschland die Mauer und die Stacheldrähte verschwinden…
… und der Parteimensch
Neben der Sicherung von Macht galt das Augenmerk des einstigen „schwarzen Riesen“ vornehmlich seiner Partei (der CDU) und der eigenen, natürlich führenden Rolle darin. In und mit ihr ist er groß geworden; sie war praktisch seine "andere" Heimat. Abgesehen von zeitweiligen Betätigungen als Werkstudent beim BASF-Konzern in Ludwigshafen hat Kohl nie irgendeinen bürgerlichen Beruf ausgeübt. Insofern ähnelt seine politische Karriere sehr viel eher dem klassischen Werdegang vieler Sozialdemokraten oder von Angehörigen der heutigen „grünen“ Generation. Und genau hier entwickelte der Mann ein beinahe einzigartiges Talent im Aufbauen von „Netzwerken“.
Helmut Kohl setzte immer auf persönliche Beziehungen, verließ sich nicht auf Parteitags- oder andere Beschlüsse. Wer das als "Schaffen von „Abhängigkeiten“ übersetzt, liegt gewiss nicht falsch. Ob als Kanzler oder Parteivorsitzender – Kohls wichtigstes Führungs-Instrument war immer das Telefon. Kaum ein CDU-Ortsfunktionär, den der Pfälzer nicht persönlich kannte. Kaum ein christdemokratischer Bürgermeister, der nicht irgendwann einmal plötzlich durch den Anruf des obersten Chefs geadelt oder vielleicht auch in Schrecken versetzt wurde.
Wer dabei mitspielte, konnte der Förderung durch Kohl gewiss sein. Wer nicht, wer vielleicht sogar versuchte, am mächtigen Partei- und Regierungschef vorbei oder (schlimmer noch) gegen ihn Politik und Karriere zu machen, der musste schon aus sehr hartem Holz geschnitzt sein, um nicht platt gemacht zu werden. In Helmut Kohls Vorstellung war das Illoyalität, Untreue. Und das verdiente Höchststrafe. Nach den Worten des Mannes aus Ludwigshafen durfte „die Hand, die einen füttert, nicht gebissen werden“. Das war das Spannungsfeld, in dem sich die gnadenlosen Kämpfe um Macht, Richtung oder auch nur öffentliches Ansehen zwischen dem Kanzler und Männern wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geisler und Richard von Weizsäcker abspielten. Sie hatten ihre führenden Positionen im Wesentlichen Helmut Kohl zu verdanken. Spätestens seit deren Putschversuch auf dem Bremer CDU-Parteitag 1989 war für den „Sponsor“ das Tischtuch zu den einstigen Freunden irreparabel zerschnitten.
Immer der Jüngste
Besonders in seinen frühen politischen Jahren hat Kohl eine rasante Karriere hingelegt. Fast immer, und egal in welcher Position, war er über lange Zeit der Jüngste. Mit 16, noch als Schüler, war er in Ludwigshafen der CDU beigetreten. Mit 36, war er der jüngste Fraktionsvorsitzende im rheinland-pfälzischen Landtag; drei Jahre später (nachdem er Peter Altmeier als Regierungschef in Mainz rigoros „entfernt“ hatte) jüngster Ministerpräsident in Mainz und ein höchst erfolgreicher Reformer in dem verkrusteten, konservativ-katholischen Bundesland obendrein. 1976 wechselte Kohl (nach einem mit 48,6 Prozent grandiosen Bundestags-Wahlerfolg, aber eben nicht Wahlsieg) als jüngster Oppositionsführer ins Bonner Parlament.
An der Parteispitze hatte er mittlerweile nicht nur Rainer Barzel abserviert. Viel bedeutsamer war in der Folge das geschickte und geduldige Auskontern seines bayerischen Intimfeindes Franz-Josef Strauß. Als er schließlich, nach dem Schwenk der FDP und mit Hilfe des Konstruktiven Misstrauensvotums, 1982 Bundeskanzler wurde, war der erneut der bis dahin Jüngste auf diesem Posten.
Allein schon dieser Werdegang zeigt, von welch dünnen Plattformen ein Grossteil der aus Politik und Öffentlichkeit abgefeuerten kritischen, satirischen und oft genug auch bösartigen Geschosse gegen Kohl stammten – Provinzialist, „Birne“, unterstes Mittelmaß usw...
Bruch mit alten Freunden und Fahrensleuten
Natürlich waren die 16 Bundeskanzlerjahre keine durchgehende Erfolgsgeschichte; schon gar nicht die einer einzigen Person. Wie oft hat sich Kohl im Ton vergriffen. Etwa, als er in der „Frühzeit“ Gorbatschows dessen Talent als Öffentlichkeitsarbeiter mit denen des Nazi-Chefpropagandisten Joseph Goebbels verglich. Kohl war nicht zimperlich im Austeilen und - wenn er es für notwendig erachtete - auch im Handeln. Bis heute weigert er sich, die Namen derer zu nennen, die ihm um 1990 herum jenseits der Vorschriften des Parteiengesetzes erhebliche Summen zukommen ließen. Geld, das er dafür verwandte, für die CDU in den neuen Ländern Strukturen aufzubauen.
Darüber stürzte er - und zwar tief. Die Partei, seine "Heimat" also, wandte sich ab, alte Freunde und Fahrensleute verließen ihn. Die Namen Wolfgang Schäuble und Norbert Blüm stehen symbolhaft dafür. Doch auch ohne diese Affäre musste der Mann aus der Pfalz über die Jahre unheimlich viel einstecken. Aber er war präsent wie kaum ein anderer, als die Geschichte den Deutschen für einen kurzen Augenblick die Erfüllung ihres nationalen Ziels und des Verfassungsauftrags eröffnete. Auch das war nicht allein sein Verdienst. Auf dem Rückflug von dem entscheidenden Treffen mit Michail Gorbatschow 1990 im Kaukasus sagte Helmut Kohl (und es klang, bei ihm ungewohnt, fast demütig-dankbar), er werde sich gewiss nicht dagegen wehren, wenn irgendwann einmal festgestellt würde, dass er in einem entscheidenden Moment seine Pflicht getan habe.
Das Versprechen zur deutschen Einheit
Doch das wäre nicht möglich gewesen ohne die Mitwirkung eines Gorbatschow, des amerikanischen Präsidenten George Bush, ohne die Unterstützung der deutschen Nachbarn in Ost und West und deren Vertrauen in das wieder vereinigte Deutschland. Genauer gesagt: Das Vertrauen in Kohls Versprechen, dass die Einheit Deutschlands und dessen feste Einbettung in Europa zwei Seiten derselben Medaille seien.
Da spielt es eigentlich keine Rolle, dass dem zweiten Kanzler der deutschen Einheit von den Volksmassen keine Kränze gewunden werden.