Zu Beginn dieser Woche haben zwei Kriege in Libyen stattgefunden. In Tripolis sind die beiden dort ansässigen Regierungen zusammengestossen: die von der Uno ins Leben gerufene Nationale Einheitsregierung unter Fayez Sarraj und die sogenannte Nationale Rettungsregierung unter Khalifa Ghwell.
Tripolis: Schachbrett der Milizen
Zwei Milizen, die Sarraj nahestehen, ist es gelungen, die Ghwell Regierung aus ihrem Sitz in Tripolis zu vertreiben. Seit dem vergangenen Oktober hatte Ghwell im Rixos Hotel-Komplex ein Regierungsbüro eingerichtet und von dort aus zu regieren versucht. Dieser Komplex wurde von den beiden erwähnten Milizen gestürmt und wird nun von ihren Bewaffneten bewacht. Ghwell selbst wurde am Kopf leicht verletzt. Er soll erklärt haben: „Unsere Nationale Rettungsregierung hat sich aus Tripolis zurückgezogen, um dem Blutvergiessen ein Ende zu machen.“
Bisher hatten die beiden Regierungen – gestützt auf Milizen – die Hauptstadt unter sich aufgeteilt. Auch nach der Vertreibung Ghwells bleibt Tripolis ein Schachbrett verschiedener Milizen, von denen jede Teile der Stadt beherrscht.
Gedrängel vor Banken
Der Konflikt war am Montag bei einer Bank im Quartier al-Andalus ausgebrochen. Bei Banken gibt es oft streitende Mengen, weil die Banken über zu wenig Bargeld verfügen und jeder Bankkunde versucht, möglichst grosse Teile seiner Einlagen zurückzubekommen. Wenn bekannt wird, dass eine der Bankbranchen Geld ausgibt, entsteht Gedränge, das leicht in Streit übergehen kann.
Während der Kämpfe wurde auch der Fernsehsender Nabaa in Brand gesteckt oder beschossen. Er galt als Khalifa Ghwell nahestehend. Häuser und Hotels wurden beschädigt. Dabei kam auch ein 14-jähriges Mädchen ums Leben. Die Niederlage von Ghwell ist ein Rückschlag für die islamistisch ausgerichteten Milizen und politischen Kräfte von Tripolis, von denen es heisst, sie stünden den Muslimbrüdern nahe. Die Kämpfe unter den Milizen sollen 5 Tote und 3 Verwundete gekostet haben. Offenbar haben die pro-islamischen Kräfte einen Rückschlag erlitten. Ob sie noch einmal einen Versuch unternehmen werden, in die Hauptstadt zurückzukehren und erneut Anspruch auf die Führung des Landes zu erheben, bleibt abzuwarten.
Haftars erfolgreiche Gegenoffensive
In den zentralen Teilen Libyens, an der Grossen Syrte, ist es General Haftar gelungen, die beiden Erdölladehäfen, Ras Lanouf und Sidra, zurückzugewinnen.Sie waren in einer Überraschungsaktion von einer Allianz der sogenannten Bengasi Verteidigungsbrigaden (BDB) und der Petroleumwächter sowie einiger lokaler Stämme der Region acht Tage zuvor den Kräften Haftars entrissen worden.
Nach Aussagen des Sprechers der Haftar Kräfte, die Libysche Nationale Armee (LNA) genannt werden, seien die Überreste der BDB und ihrer Verbündeten teilweise nach Misrata geflohen, teilweise auch zurück in die Wüste, woher sie gekommen waren. Die NLA Haftars habe nun den Befehl erhalten, diese zu verfolgen und die Oasen im Inneren der Wüste, wie Jufra und die Provinzhauptstadt Nun, gute 300 km im Inneren der Wüste, zu besetzen.
Die BDB sind islamistische Kräfte. Das heisst, sie fordern einen „Islamischen Staat Libyen“, wie immer dieser in der Praxis aussehen würde. Doch sie sind Gegner des IS. Der IS hatte bis vor kurzem die Stadt Sirte beherrscht, war aber von dort durch Misrata-Milizen, die mit der Einheitsregierung zusammenarbeiteten und durch amerikanische Luftschläge unterstützt wurden, im Verlauf des vergangenen Jahres niedergekämpft und vertrieben worden. Seine Überreste haben ebenfalls in den Tiefen der libyschen Wüste, weit südlich der Mittelmeerküste, Unterschlupf gefunden.
Haschen nach Öleinnahmen
Der Kampf gegen die BDB und Verbündete soll die Truppen Haftars 21 Todesopfer gekostet haben. Über die Zahl der Verwundeten und die der gefallenen Feinde sagte der Sprecher nichts. Die Regierung von Tobruk, mit der Haftar zusammenarbeitet, beschloss nach der Rückgewinnung der Erdölhäfen, ihre bisherige Zusammenarbeit mit der Nationalen Erdölgesellschaft (NIOC) zu kündigen.
Sie erklärte, die Truppen Haftars sollten die Erdölhäfen „abtreten“, sobald die Ruhe dort gewährleistet sei. Doch an wen sie abgetreten werden sollen, blieb offen. Als Haftar die Erdölhäfen im vergangenen September zum ersten Mal eroberte, war ihr Betrieb sofort der NIOC übergeben worden. Sie hatte eine Branche in Bengasi eröffnet. Doch der Hauptsitz blieb in Tripolis. Es scheint, dass die Gelder aus dem Erdölverkauf ebenfalls nach Tripolis gingen. Die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit NIOC dürfte zusammenhängen mit Versuchen, die Erdölgelder in die Hand der Tobruk-Regierung zu leiten. Ob und wie dies gelingen kann, ist freilich noch offen.
Der Vorsitzende des Parlamentes von Tobruk, Ageela Salah, hat der russischen Agentur „Sputnik“, wie diese schreibt, in einem Interview erklärt, Libyen werde an Russland die vier Milliarden Dollar für Waffen bezahlen, die Muammar al-Ghadhafi Russland schuldig geblieben sei. Wann das geschehen soll, sagte Sputnik allerdings nicht. Die Tobruk Regierung müsste in der Tat über die libyschen Erdöleinkünfte verfügen, wenn sie eine derartige Zusage auch nur teilweise wahr machen will.
Gerüchte um Russland
Russland ist auch im Gespräch, weil es Berichte gab, nach denen 22 Kämpfer russischer Sondertruppen auf ägyptischen Militärflugplätzen, nah bei der libyschen Grenze, aufgetaucht seien. Die Agentur Reuters will dies aus amerikanischen und aus ägyptischen Quellen erfahren haben. Doch die Nachricht wurde sowohl von Russland wie auch von Ägypten energisch dementiert.
Militärflugzeuge wurden in den Kämpfen um die Erdölhäfen eingesetzt und sollen auch im Inneren Libyens die BDB bombardiert haben. Haftar verfügt über einige eigene Kampfflugzeuge. Doch Gerüchte und Berichte, nach denen er auch Unterstützung durch Flugzeuge anderer Herkunft erhält, gibt es seit langem. Meistens soll es sich dabei allerdings um Flugzeuge aus den Arabischen Emiraten gehandelt haben, die von ägyptischen Flughäfen aus eingesetzt wurden.
Zusammenstoss zwischen Haftar und Sarraj?
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bleibt abzuwarten, ob Haftar versuchen wird, weiter nach Westen vorzurücken. Falls er das täte, dürfte er auf die Milizen der Stadt Misrata stossen, die als die machtvollsten Kampfgruppen gelten, die es in Tripolitanien gibt.
Natürlich herrscht Spannung und Rätselraten bei den Mittelmeermächten und in Washington in Bezug auf eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Putin und Haftar. Was Haftars Gegenspieler in Tripolis angeht, so scheint für den Augenblick die von der Uno gestützte Nationale Einheitsregierung (GNA) Fayez Sarrajs ihren tripolitanischen Gegner, die Nationale Rettungsregierung Ghwells, ausgeschaltet zu haben.
Sie hat dadurch ihre Position in Tripolis wieder verstärkt. Doch ihr steht nun auch wieder ein durch seinen Sieg in den Erdölhäfen gestärkter Haftar entgegen. Wer sich der Erdölgelder bemächtigen kann, hat gute Aussichten den Sieg zu erringen. Und wer über die besseren Siegeschancen verfügt, dürfte auch in der Lage sein, sich der Unterstützung durch Russland zu versichern.