Je grösser die Not, desto lauter ertönt in Zeitungsartikeln und Reden der Ruf, es möge die „Zivilgesellschaft“ aktiv werden. Sie gilt als Idealgemeinschaft wacher Menschen, geniesst hohes Ansehen und soll es richten, wenn die staatlichen Institutionen versagen.
Die Lobpreisung gebietet doppelte Vorsicht. Zum einen klaffen die Meinungen weit auseinander, was „Zivilgesellschaft“ bedeutet, zum andern stellt sich das Problem ihrer Legitimation. Wer von der „Zivilgesellschaft" spricht, wirft eine Nebelgranate vergleichbar mit „Service public“, „Volkswille“ oder dem „gesunden Menschenverstand“.
Die Definitions-Palette reicht mit Dutzenden von Schattierungen von der „Zivilgesellschaft“ als dem Raum zwischen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre bis zur Auffassung des Europäischen Rates, der Sammelbegriff umfasse alle staatlich weder ausgelösten noch gelenkten sozialen Handlungen von Einzelnen oder Gruppen. Das deckt die freiwillige Flüchtlingshilfe genauso ab wie die im Krawall endende Demonstration.
Das zivilgesellschaftliche Engagement kann, muss aber nicht demokratischen Regeln folgen. Unter Umständen reissen Eliten die Führung an sich oder Geldgeber machen ihren Einfluss geltend. Die von bürgerlichen Tugenden oder von umstürzlerischen Zielen geleitete „Zivilgesellschaft“ sind lediglich zwei von ungezählten Varianten.
Die Gleichsetzung der „Zivilgesellschaft“ mit einer Gemeinschaft unerschrockener Bürgerinnen und Bürger, die sich fürs Allgemeinwohl beispielhaft ins Zeug legen, ist ein Veredelungsversuch mit Trompetengold.
Diese Kurz-Warnung, mit dem Modebegriff schreibend und lesend argwöhnisch umzugehen, sei ergänzt mit dem Hinweis auf zwei längere Warnungen: Saskia Richter, „Zivilgesellschaft – Überlegungen zu einem interdisziplinären Konzept“ und Jeanette Schade, „Zivilgesellschaft - eine vielschichtige Debatte“.