Analysten erwarten einen «extrem schmutzigen Wahlkampf». Wenn Trump das Messer am Hals spürt, sei er nicht zu bremsen, sagen demokratische Parteistrategen. Spürt er das Messer am Hals? Eine Auslegeordnung.
Noch hat Trumps erwartete Schlammschlacht gegen Harris und Walz nicht richtig Fahrt aufgenommen. Noch sind seine Attacken gegen Harris unkoordiniert und teils lächerlich. Sein gestriger Medienauftritt in Mar-a-Lago war eher lau. Der Rückzug Bidens und die Nominierung von Kamala Harris haben die Republikaner kalt erwischt und desorientiert. Selbst die Wahl von Tim Walz hat das Trump-Lager überrascht. (Siehe Artikel von Ignaz Staub.)
Sicher ist: Die Demokraten haben zur Zeit Wind in den Segeln. Sie wittern nach schwierigen Monaten mit Joe Biden wieder Morgenluft. Doch wie lange hält dieser demokratische Schwung an? Die Erfahrung zeigt, dass solche «Hypes» nicht ewig dauern.
Parteistrategen und Medien sind sich einig: Knapp drei Monate vor den Wahlen am 5. November ist noch alles offen. Dies ist immerhin neu. Denn mit Biden schien das Rennen schon gelaufen.
Fest steht zur Zeit nur: Kamala Harris hat ihre Position in den nationalen Umfragen verbessert. Jedoch liegt Donald Trump in den meisten der entscheidenden sieben Swing States noch immer knapp vorn, doch sein Vorsprung schmilzt.
Nationale Umfragen
Kamala Harris hat auf nationaler Ebene Donald Trump laut mehreren Umfragen knapp überholt. Gemäss Berechnungen der New York Times liegt die Demokratin Harris (Stand: 8. August) mit 48 Prozent vor Trump (47 Prozent). Lange Zeit wies Trump einen beachtlichen Vorsprung sowohl vor Biden als auch vor Harris aus. Die Trendwende kam kurz nach dem 21. Juli, nachdem sich Joe Biden zurückzogen hatte und die Demokraten Harris zur Präsidentschaftskandidatin vorschlugen.
Auch das renommierte von Nate Silver gegründete und von ABC News gekaufte Institut «FiveThirtyEight» (538) sieht Harris auf nationaler Ebene leicht vorn. Das Institut rechnet Durchschnittswerte der wichtigen Umfragen aus (Poll of Polls). Die Zahl 538 bezieht sich auf die Anzahl der Wahlmänner und -Frauen im Electoral College.
Gemäss 538 kommt Harris zur Zeit landesweit auf 45,4 Prozent und Trump auf 43,4 Prozent. Für den dritten Kandidaten, Robert F. Kennedy Jr., würden jetzt 5,3 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmen.
Auch allerletzte Umfragen sehen Harris landesweit leicht in Führung. Das angesehene britische Institut «YouGov» (mit Ableger u. a. in den USA) errechnet am 8. August in einer Erhebung für den «Economist» für Harris einen Wert von 45 Prozent und für Trump 42 Prozent. Am Freitag veröffentlichte «Ipsos»-Umfragen sehen Harris mit 2 bis 5 Prozent vor Trump.
Unbeliebter Trump
Landesweit ist Trump nach wie vor unbeliebt. 538 ermittelte (Stand: 8. August), dass der Ex-Präsident bei 51,7 Prozent der Wählerinnen und Wähler unbeliebt (unfavorable) und bei 43,2 Prozent beliebt (favorable) ist. Auch Trumps designierter Vizepräsident J. D. Vance schneidet in fast allen Umfragen schlecht bis sehr schlecht ab.
Doch auch Kamala Harris liegt, was die Beliebtheit betrifft, gemäss 538 noch immer mit 48,6 zu 43,2 Prozent im Minus. Sie hat allerdings in den letzten Tagen stark zugelegt. Einige Umfragen sehen Harris schon knapp im Plus.
Beliebt ist Tim Walz. Gemäss einer ersten Umfrage von YouGov erzielte der designierte Vizepräsident am Tag seiner Ernennung deutlich positive Werte.
Die meisten Umfragen wurden vor der Ernennung von Tim Walz zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft durchgeführt. Die Demokraten hoffen, dass seine ersten starken Auftritte sich positiv auf die Kandidatur von Kamala Harris auswirken.
Swing States, Battleground States
Wichtiger als die nationalen Umfragen sind die Erhebungen in den wahlentscheidenden sieben Swing States Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, North Carolina, Georgia, Arizona und Nevada. In diesen Staaten liegen nur wenige aussagekräftige Umfragen vor. Die meisten wurden Ende Juli/Anfang August durchgeführt – also bevor der Hype um Kamala Harris begann.
Am Samstag veröffentlichte die New York Times Umfragen aus Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Zum ersten Mal liegt in diesen drei wahlentscheidenden Bundesstaaten die Demokratin Harris vor dem Republikaner Trump.
Danach führt in Wisconsin Harris mit 50% vor Trump mit 46 Prozent.
Auch in Michigan liegt Harris mit 50:46% vor dem Ex-Präsidenten.
Ebenso in Pennsylvania: 50:46 für Kamala Harris.
Aus den anderen vier Swing States liegen nur ältere, wenig relevante Erhebungen vor.
North Carolina: Trump +2% (Umfrage vom 27. Juli, Institut: Morning Consult).
Georgia: Trump +0,5% (Stand: 8. August, FiveThirtyEight)
Arizona: Trump +0,4% (Stand: 8. August, FiveThirtyEight)
Nevada: Trump +1% (Umfrage vom 28. Juli, Institut: Public Opinion Strategies); Harris, Trump je 40% (Umfrage vom 2. August, Institut: Redfield & Wilton Strategies)
Misslaunig, polternd
Demokratische Parteistrategen weisen darauf hin, dass Harris und Walz etwas Positives, Konstruktives ausstrahlen – im Gegensatz zu dem stets misslaunigen, muffigen, polternden und lästernden Trump. Dies, so hoffen die Demokraten, könnte vor allem unentschiedene Wähler und Wählerinnen beeinflussen.
Mitentscheidend könnte die jetzt für den 10. September vereinbarte Fernsehdebatte zwischen Trump und Harris sein. Ob zusätzliche solche TV-Duelle stattfinden (wie Trump es möchte), ist unklar.
Die Entwicklung der geopolitischen Lage (Ukraine, Nahost, China) hat sich bisher wenig auf den Wahlkampf ausgewirkt. Wird sich das in den verbleibenden knapp drei Monaten ändern?
Mitentscheidend bei dem erwartet sehr knappen Rennen könnte auch Robert F. Kennedy Jr. sein. Er, der dritte Kandidat, gilt als schwarzes Schaf in der Familie Kennedy. Wird er eher Trump oder Harris Stimmen abjagen? Die Analysten sind sich nicht einig.