Das Werk von Annelies Štrba hat stilistisch eine erstaunliche Bandbreite. Es umspannt geradezu banal wirkende Schnappschüsse von ihrem häuslichen Leben und reicht bis in freie bildnerische Gestaltungen, die in neuerer Zeit durch zeichnerische Elemente ergänzt werden.
Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur zeigt in der aktuellen Ausstellung schwerpunktmässig Werke aus der Frühzeit von Annelies Štrba. Sie setzen mit schwarzweissen Fotoleinwänden im Format 100 × 150 cm ein. Diese Fotoleinwände beruhen auf Fotos von ihrem Familienleben und sind handwerklich gesehen Meisterwerke. Annelies Štrba hat sie eigenhändig in ihrem heimischen Fotolabor angefertigt. Sie waren für ihre erste Ausstellung im Jahr 1990 in der Kunsthalle Zürich bestimmt.
Intuition und Selbstgespräch
In dem schön gestalteten Begleitband zur Ausstellung in Winterthur schreibt der Kunsthistoriker Guido Magnaguagno, der von 1980 bis 2000 Kurator im Kunsthaus Zürich war, über die damalige Ausstellung in der Kunsthalle: «Die Ausstellung war von Anfang an heftig umstritten. Die Fotoszene bemängelte, da hätte jemand, sträflich unbedarft, einfach das Familienalbum vergrössert. Schattenfotografie, Unschärfen. Ein Teil der Museumswelt kritisierte die Übermacht des Privaten, warf ihr ‘Missbrauch’ der eigenen Kinder als Sujets vor und die schreiende Unordnung des Haushalts, und so floh man vor der menschliche Nähe und Wärme in eisige Distanz.»
Als Annelies Štrba anfing, von ihrem familiären Leben Fotos zu machen und diese oft in stundenlanger Arbeit nachts in der Dunkelkammer auszuarbeiten, verfolgte sie aber nicht das Ziel einer Ausstellung. Vielmehr war dies eine Beschäftigung, die ihren Wert in sich selbst hatte. Sie folgte ihren Intuitionen wie in einer Art Selbstgespräch.
Das Ganze fand in einem Umfeld statt, in dem sie und ihr Partner, der Schmuckkünstler Bernhard Schobinger, eine Galerie betrieben und in einem Kreis von Künstlern eingebunden waren. Innerhalb dieses Umfelds entwickelte Annelies Štrba ihre ganz eigenen Sichtweisen und ihren unverwechselbaren Stil. Auch wenn man ihre Arbeiten nur oberflächlich kennt, wird man sie jederzeit wiedererkennen.
Dominanz der Ideen
Die Ausstellung in der Fotostiftung besticht durch die klugen Zusammenstellungen und Gruppierungen der Bilder und Themen. Dabei wird wieder einmal deutlich, wie pragmatisch das Verhältnis von Annelies Štrba zur Fotografie ist. Auf der einen Seite verfügt sie über grosse technische und handwerkliche Fähigkeiten, auf der anderen Seite ordnet sich die Kamera vollkommen ihren Ideen unter. Das ist ihre ganz bewusste Handschrift.
Sie verwendet auch Videoaufnahmen und hatte keine Scheu, von der analogen Fotografie in die digitale Technik zu wechseln. Ganz im Gegenteil: Die Bearbeitung am Bildschirm bringt ihre kreativen Potenziale gesteigert zur Geltung. Und neuerdings benutzt sie für ihre Aufnahmen nur noch das Smartphone.
Das Werk von Annelies Štrba umfasst mehrere umfangreiche Bildbände. Dazu kommen zahlreiche Ausstellungen, und überhaupt beeindruckt sie durch ihre überbordende Produktivität, die einen merkwürdigen Kontrast zu der scheinbaren Lässigkeit bildet, mit der Štrba ihre Motive auswählt und aufnimmt. Bei genauerem Hinsehen allerdings zeigt sich, dass die Bilder insbesondere von ihren Töchtern, aber auch von ihrer Enkelin, sorgfältig inszeniert und kunstvoll komponiert sind.
In der Ausstellung in Winterthur gibt es gegen Ende eine Werkgruppe mit Märchenbildern. Alle zeigen Mädchen, die im Wald, auf Wiesen oder auf Kanapees ruhen – scheinbar in tiefen Schlaf versunken. In ihren Prinzessinnenkleidern wirken sie wie aus der Zeit gefallen. Durch die Verfremdung der Farben und Überlagerung mehrerer Belichtungen verwandeln sich die Fotografien in Traumbilder.
Der letzte Raum ist dem Thema der schlafenden Kinder gewidmet. Damit schliesst die Fotostiftnug an die ersten Bilder von Annelies Štrba an. Das Schlafzimmer und das Bett sind nicht nur Orte des Schlafes, sondern sie drücken in ganz besonderer Weise Geborgenheit aus. Auch hier handelt es sich um einen Gemütszustand, den Annelies Štrba auf ihre Weise zum Ausdruck bringt.
Annelies Štrba, «Bunt entfaltet sich mein Anderssein». Fotostiftung Schweiz, Winterthur, bis 13. August 2023
Begleitend zur Ausstellung erscheint die Publikation Annelies Štrba – «Bunt entfaltet sich mein Anderssein», herausgegeben von Fotostiftung Schweiz im Verlag Lars Müller Publishers, 2023. Mit einer Einführung von Peter Pfrunder und Texten von Teresa Gruber und Guido Magnaguagano, erhältlich im Museumsshop oder unter www.fotostiftung.ch/e-shop