Mit der Geburt Jesu Christi verhielt es sich so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt. Noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte es sich, dass sie schwanger war vom heiligen Geist. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht blossstellen wollte, erwog, sie in aller Stille zu entlassen.
Matthäus ist der Evangelist der Träumenden. Und seine Advents- und Weihnachtsgeschichte ist eine Traum-Geschichte. Auf den ersten Blick ist sie karger als diejenige des Lukas. Es fehlt der geheimnisvolle Bote, der beim ahnungslosen Mädchen Maria erscheint und ihm die Geburt eines Sohnes verkündet. Wir suchen vergeblich nach dem Besuch Marias bei der ebenfalls schwangeren Elisabeth. Da steht nichts von dieser sinnlichen Begegnung voller Weiblichkeit und Erwartungsfreude, bei der das Kind Johannes im Bauch seiner Mutter zu hüpfen beginnt.
Nein, bei Matthäus finden wir keine zukunftsträchtigen Frauen, deren Jubel durch die Welt schallt, während ihre Männer schweigen. Und vom beschwerlichen Weg Marias und Josefs von Nazareth nach Bethlehem lesen wir bei Matthäus ebenso wenig wie von den Hirten auf dem Felde, die sich verstört zum Kind in der Krippe aufmachen – und dann staunend vor ihm niederknien. Von alldem berichtet uns nur Lukas.
Matthäus erzählt eine Männergeschichte
Matthäus erzählt von der Geburt Jesu ganz anders. Keine Frau kommt bei ihm zu Wort – ja, eigentlich verschwinden die Frauen aus seiner Geschichte. Seine Weihnachtserzählung ist eine reine Männergeschichte. Maria kann zwar auch in seinem Bericht nicht ganz fehlen. Aber als Subjekt begegnet sie uns da nur als die rätselhaft schwanger Gewordene und als die Gebärende. So erwähnt Matthäus nur kurz die schwangere Maria, um sich dann gleich Josef, ihrem Verlobten, zuzuwenden.
Josef leidet. Er wird umgetrieben von zermürbenden Zweifeln. Er, der Rechtschaffene, der Gerechte, er versteht die Welt nicht mehr. Die für ihn unerklärbare Schwangerschaft seiner Verlobten kränkt ihn zutiefst. Erschüttert sein Vertrauen. Wirft ihn aus der Bahn. Ganz knapp deutet dies der Evangelist Matthäus an:
Josef aber, der gerecht war und sie nicht blossstellen wollte, erwog, sie in aller Stille zu entlassen.
Für einen Augenblick lässt der Evangelist es offen, wie Josef aus dieser Krise herausfindet: Wie wird er mit dieser Kränkung umgehen? Wird er seine Wut und Enttäuschung doch noch an Maria auslassen? Überlässt er seine schwangere Verlobte, die er nicht geschwängert hat, ihrem ungewissen Schicksal?
Das stille Drama der Güte
Hier deutet sich eine Verwicklung an, die sich im griechischen Drama oder in der nordischen Saga zu blutigen Exzessen ausgewachsen hätte – zu einer Geschichte von Schwur, Treue und Verrat, von Misstrauen, Rache und Untergang.
Joseph aber, so heisst es, ist gerecht. Er hat ein gütiges Herz. Er liebt offenbar das arme Mädchen zu sehr, als dass er es ins Unglück stossen könnte. Aber neben der Untreuen kann und will er dennoch nicht leben. So nimmt er sich vor, sich heimlich aus dem Staub zu machen. Damit gälte er in der Öffentlichkeit wohl als der Vater des ungeborenen Kindes. Maria würde wegen der zu frühen Schwangerschaft wohl nicht bestraft werden, da sie ja bereits mit Joseph verlobt war. Die Zeit würde allmählich die Wunden heilen.
Weihnachtsbotschaft – zuerst an Josef gerichtet
Doch dann geschieht das Merkwürdige. Aufgewühlt legt sich Josef schlafen. In dieser Nacht träumt er von einem Engel, der zu ihm sagt:
Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen, denn was sie empfangen hat, ist vom heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk aus seiner Not und Schuld erretten.
Was löst dieser Traum im gequälten Josef aus? Versteht er die Botschaft? Vom heiligen Geist ist die Rede. Von dieser wunderbaren Schöpferkraft, die wir weder zu erfassen noch zu deuten vermögen, sondern der wir uns nur öffnen können. Von einem Kind ist die Rede, dem er den Namen geben wird und das seine Zuwendung braucht, sein Da-Sein und seinen Schutz. Und von Not und Schuld ist die Rede, die zu unserem Leben gehören – und die dennoch nicht das ganze Leben bestimmen sollen.
Der Traum führt zum Handeln
Ja, was geht in Josef vor in dieser Nacht. Was löst der Traum in ihm aus? Davon erzählt uns Matthäus nichts. Und es wird niemals wieder die Rede davon sein, was Josef sich gedacht habe in diesen nächtlichen Stunden. Und niemals, so jedenfalls das Matthäusevangelium, wird Josef auch nur ein einziges Wort darüber verlieren.
Dennoch wird klar, dass dieser Traum etwas bewegt. Denn nach dieser Nacht überwindet Josef seine Zweifel und die unausgesprochenen Vorwürfe gegenüber Maria. Er sieht diese rätselhaft verfahrene Situation neu. Er erkennt, dass die Kränkung seiner Männlichkeit weniger ins Gewicht fällt als das Leben dieser Frau und ihres Kindes. Und so nimmt er Maria zu sich – und wird ihr gütiger Beschützer und treuer Begleiter.
Die verkannte, marginalisierte Figur des Josef
Wie weit dieses schlichte und kraftvolle Verhalten Josefs für die nachfolgenden Generationen verständlich wurde, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls erlitt der Träumer Joseph in den folgenden Jahrhunderten eine eigenartige Abwertung. Es fällt auf, wie in Legenden, Geschichten, Liedern und vor allem in der Malerei die Figur des Josefs ein Gepräge bekommen hat, das sich in der Bibel so nicht zeigt. Als greiser Mann am Rande – neben der jungen schönen Frau in der Mitte – wird er meist vorgeführt, mehr als Zudiener denn als grossherziger und überlegener Beschützer des Jesuskindes.
Anders als auf den kunstvollen Weihnachtsbildern vieler alter Meister ist Josef im Matthäusevangelium aber nicht ein in sich gekehrter, grüblerischer, zögerlicher Mensch. Er ist vielmehr ein Mann, der Träume wahrzunehmen vermag, der sie zu deuten weiss und der durch sie zu beherzten Entschlüssen fähig wird.
Der tätige, visionäre Träumer
Seine zweite wichtige Tat ist so wenig selbstverständlich wie die erste. Nach der Geburt Jesu, nachts im Traum, erscheint ihm erneut ein Bote Gottes und befiehlt:
Steh auf, nimm die Mutter und das Kindlein mit dir und flieh nach Ägypten, und bleib dort, bis ich’s dir sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
Josef zögert keinen Augenblick, bei Nacht aufzubrechen und die weite Reise nach Ägypten anzutreten.
Der Mann Josef gehört zum Wunder des Weihnachtsgeschehens: Er ist ein Träumer nicht im Sinne der Weltabgewandtheit, sondern im Sinne eines Mannes, der – von Gott berührt – visionär zu denken und zu handeln versteht. Dank der Weite seines Herzens wird er zum Träger und Wegbereiter des göttlichen Lichts auf Erden.
Weltdimension in der Weihnachtsgeschichte
Neben Josef treten die Sterndeuter, die Männer aus der Fremde, die den Lauf der Gestirne kennen. Am Himmel, in Sphären, die weitab von den Belanglosigkeiten des Alltags liegen, entdecken sie ein Licht, das sie veranlasst, den neuen Weltenherrscher zu suchen.
Als Jesus in Betlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes zur Welt gekommen war, da kamen Sterndeuter aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen.
Ihr Weg führt sie zuerst einmal zum Palast des Herodes. Denn wo anders als im Hause des einflussreichsten Mannes des Landes liesse sich der neugeborene König finden? Herodes ist umgeben vom der Aura der Mächtigen. Der Einflussreiche lädt die fremden Männer zu sich ein und gewährt ihnen nicht nur jovial eine Audienz. Nein, sein ganzes Interesse gilt ihrem Vorhaben. Denn er will – er muss – wissen, wo sein potentieller Rivale geboren wurde.
Als der König Herodes davon hörte, geriet er in Aufregung und ganz Jerusalem mit ihm. Und er liess alle Hohen Priester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa (...) Darauf rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und wollte von ihnen genau erfahren, wann der Stern erschienen sei. Und er schickte sie nach Betlehem mit den Worten: Geht und forscht nach dem Kind! Sobald ihr es gefunden habt, meldet es mir, damit auch ich hingehen und ihm huldigen kann.
Der Mächtige fürchtet entthront zu werden. Es ist seine bodenlose Angst, ohne das ihn schützende Königtum nackt in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit zu stürzen.
Despotenmacht und weihnächtliches Licht
Mit welchen Gefühlen die Weisen den prunkvollen Palast verlassen und sich erneut auf die Suche nach dem Sinn ihres Lebens machen, das entzieht sich unserem Wissen. Aber erst in dieser Nacht, da der Stern über der Hütte des Neugeborenen stehen bleibt und die drei Gelehrten ihren Blick vom Himmel weg auf das ganz Irdische richten, erst als sie das Göttliche im verletzlichen, bedürftigen Leben gefunden haben: Erst da wird ihnen die Nacht zur Erleuchtung. Und auch sie werden zu Träumenden:
Weil aber ein Traum sie angewiesen hatte, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.
Die Männergeschichte des Matthäus lässt die brutale Gewalt und das unsinnige Blutvergiessen nicht aus. Der Kindermord zu Bethlehem – die grausame Tat eines ichsüchtigen Machthabers – gehört mit zur Weihnachtsgeschichte des Matthäus.
Herodes ist der einzige der fünf Männer in der matthäischen Weihnachtsgeschichte, den das göttliche Licht nicht zu erreichen vermag. Angstvoll verhärtet, den Blick nur auf sich selbst gerichtet, wird er zum Schlächter, zum Vernichter des jungen Lebens.
Das Göttliche im verletzlichen Leben
Das Dunkel der Welt wird mit der Heiligen Nacht nicht aufgehoben. Aber Gottes Weisheit, das Gute, setzt sich dennoch durch – trotz aller Bedrohungen, trotz aller Menschenverachtung und Grausamkeit. Im Evangelium des Matthäus setzt es sich durch in den Herzen und Sinnen einiger Männer, die zu träumen vermögen und die ihre Träume zu deuten wissen.
Und so springen sie plötzlich über ihren Schatten, lassen sich berühren von der Not eines Menschen neben sich, widerstehen dem Reiz der Macht und erkennen im wunderbaren, aber verletzlichen Leben das wahrhaft Göttliche.
Maja Zimmermann-Güpfert ist reformierte Pfarrerin am Berner Münster. Ihr Beitrag ist die bearbeitete Fassung einer Predigt, die sie in der Vorweihnachtszeit 2012 gehalten hat. Die zitierten Texte (kursiv) stammen aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 1 und 2.