Sein knapper Sieg begann sich am Wochenende abzuzeichnen. Plötzlich wurde Gianfranco Fini, der führende Berlusconi-Gegner, von seinen eigenen Leuten desavouiert. Plötzlich knickten einige Fini-Leute ein und wollten nicht mehr gegen Berlusconi putschen.
Sechs der 37 Abgeordneten von Finis Partei „Futuro e Libertà“ (FLI) verlangten nun plötzlich eine politische Lösung. Wenn Berlusconi zu namhaften Reformen bereit sei, sagten sie, würden sie ihm das Vertrauen aussprechen.
Die sechs Fini-Leute, angeführt von Silvano Moffa, trafen sich mehrmals mit zehn Berlusconi-Abgeordneten. Die Gruppe nennt sich „Die Tauben“. Sie erklärten sich bereit, Berlusconi eine neue Chance zu geben, wenn er „wichtige institutionelle und soziale Reformen“ einleitet und das Wahlgesetz revidiert.
Fini vor einem Scherbenhaufen
Einige der FLI-Tauben stimmten zwar dann doch gegen Berlusconi, doch nicht alle. Dies trug zu Berlusconis dünnem Sieg bei. Der Totgesagte erhebt sich von der Bahre. Doch er jubelt nicht. Er sprüht vor Hass auf seine Gegner.
Für Gianfranco Fini ist das Ergebnis ein herber persönlicher und politischer Rückschlag. Fini, der schon als Ministerpräsident oder gar späterer Staatspräsident gehandelt wurde, steht vor einem Scherbenhaufen. Es gelang ihm nicht einmal, seine eigenen Leute bei der Stange zu halten.
Fini, der einst treue Berlusconi-Anhänger, hatte im Oktober seinem einstigen Chef die Treue gekündigt und eine eigene Rechtspartei gegründet: „Futuro e Libertà per l‘Italia“ (FLI). Damit verlor Berlusconi die Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Die Gegner des Ministerpräsidenten, die seine 16jährige Herrschaft als Cauchemar empfinden, begannen endlich Hoffnung zu schöpfen. Letzte Woche waren sie fast euphorisch. Sie rechneten aus, dass sie eine Mehrheit von mindestens zehn Stimmen haben würden. Doch dann kamen der Cavaliere und seine „Freundlichkeiten“.
“Geh zu deinen Bunga-Bunga-Girls“
Die letzten Stunden vor der Abstimmung verlaufen dramatisch und chaotisch. Es geht zu wie in einem Tollhaus. Fellini hätte seine Freude gehabt. Vor dem Parlament halten Demonstranten Fotos mit halbnackten jungen Frauen in die Höhe und schreien: „Geh zu deinen „Bunga Bunga-Girls“ und lass uns in Ruhe“.
Im Innern der Parlamentsgebäude wird die Financial Times verteilt, in der Berlusconi zum Rücktritt aufgefordert wird. Halbstündlich rechnen Journalisten aus, wie viele Stimmen jedes Lager erhalten würde. Jetzt demonstrieren vor dem Parlament Mitglieder der Partei „Italien der Werte“. Auf Luftballons sind Kühe abgebildet. Darunter der Slogan: „Gegen Berlusconis Kuhhandel“. Drei weibliche Abgeordnete, alles Berlusconi-Gegnerinnen, stehen kurz vor dem Gebären. Die Journalisten belagern sie: „Werden sie an der Abstimmung teilnehmen können?“. Wieder wird gezählt. Am Vorabend scheint festzustehen, dass sieben Abgeordnete sich noch nicht festgelegt haben.
Dann die Meldung, dass die Schwangere Federica Mogherini nicht an der Abstimmung teilnehmen kann. Über Radio ruft sie eine weibliche Abgeordnete des Berlusconi-Lagers auf, sich der Stimme zu enthalten. Das wäre Fairplay, sagt sie. Das würde in Deutschland so gehandhabt. Jetzt werden vor dem Parlament falsche 500 Euro-Noten mit dem Porträt von Berlusconi verteilt – in Anspielung auf die behaupteten Schmiergeldzahlungen. Dann letzte Krisensitzungen. Fini versucht die FLI-Tauben zu überreden, nun doch gegen Berlusconi zu stimmen.
Hochschwangere ins Parlament gebracht
Am Dienstagmorgen gleicht das Zentrum Roms einer belagerten Stadt. Die Strassen zu den Parlamentsgebäuden, dem Palazzo Montecitorio (Abgeordnetenhaus) und dem Palazzo Madama (Senat) sind gesperrt. Tausende Polizisten sind stationiert. Jeder Hinterbänkler steht im Scheinwerferlicht.
Zuerst die Abstimmung im Senat. Dass Berlusconi dort, in der kleinen Kammer, gewinnen würde, stand von vornherein fest. 162 Senatorinnen und Senatoren sprachen ihm das Vertrauen aus, 135 votierten gegen ihn. Doch es genügt, in einer der beiden Kammern zu verlieren, um zurücktreten zu müssen.
Im Abgeordnetenhaus geht es um jede Stimme. Berlusconi verlässt den Saal, als ihn Antonio Di Pietro attackiert und sagt, der Ministerpräsident sei im Ausland eine Lachnummer. Tumulte, Getöse. Die Rede des FLI-Fraktionsvorsitzenden wird von den Berlusconi-Leuten ausgebuht. Dann gegen 11.00 Uhr betritt die hochschwangere Federica Mogherini doch noch das Parlament – unter riesigem Applaus der Linken. Auch Giulia Bongiorno, die in wenigen Stunden gebären soll, befindet sich im Saal.
…und die Sekretärin trägt die Aktentasche
Vor der Abstimmung umgarnte Berlusconi noch einmal die Abgeordneten und versprach bei einem Sieg schnelle Reformen. Seltsam: Kein Ministerpräsident war in Italien so lange an der Macht wie Berlusconi: heute sind es 2932 Tage. Da hätte er Zeit gehabt, etwas zu bewegen, Reformen einzuleiten, das Land voran zu bringen. Er hat kaum etwas erreicht. Er hat das Land wie eine Ich-AG geführt. Und jetzt plötzlich da er in der Klemme sitzt verspricht er das Blaue vom Himmel, Reformen, neue Gesetze – und viele Abgeordnete glauben ihm.
Es gibt auch andere Gründe für seinen Sieg. Manche Deputierten haben kein Interesse an eventuellen Neuwahlen. Es gibt in Europa keine Abgeordneten, die derart hohe Diäten kassieren, wie in Italien. Auch Hinterbänkler fahren mit riesigen schwarzen Limousinen durch die engen Gassen Roms. Sie speisen in den teuersten Restaurants, und die Sekretärin, natürlich im Deux-pièces, trägt ihnen die Aktentasche.
Ein Mitglied der grossen Kammer, des Abgeordnetenhauses, verdient im Monat 16‘000 Euro, ein Senator 18‘000. Dazu kommen viele tausend Euro Spesen – und viele, viele Privilegien. Die Parlamentarier fliegen im Inland gratis, fahren gratis Zug, sind bei jeder Theaterpremière dabei, haben einen Ehrenplatz im Fussballstadion. Und wenn ein Onorevole im Restaurant erscheint, werden die andern Gäste vergessen.
Will man dieses angenehme Leben riskieren. Neuwahlen jedoch bergen immer das Risiko in sich, nicht mehr gewählt zu werden – und damit die Privilegien zu verlieren. So sagen sich manche: Ich stimme für die jetzige Regierung, so habe ich mindestens bis zum nächsten offiziellen Wahltermin im Jahr 2012 meine Diäten und meine Privilegien.
“Herr Präsident, sie sind nicht mehr in der Lage zu regieren“
Am frühen Dienstagnachmittag wird abgestimmt. Der 74Jährige triumphiert. 314 Abgeordnete sprechen ihm das Vertrauen aus, 311 stimmen gegen ihn. Doch es ist ein vergifteter Sieg. Auf Berlusconi warten schwere Zeiten. Kann man mit einer solch hauchdünnen Mehrheit regieren? Mit nur drei Stimmen mehr kann man keine Purzelbäume schlagen. Zum ersten Mal witterten seine Gegner die Möglichkeit seines Sturzes. Und das gibt Appetit auf mehr. Sie werden ihn jetzt im Parlament bei jedem seiner Vorhaben bis aufs Mark bekämpfen. Oppositionsführer Pierluigi Bersani sagte kurz vor der Abstimmung: „Sie, Herr Ministerpräsident, sind nicht mehr in der Lage zu regieren“.
Berlusconi ist jetzt, mehr als zuvor, ein Gefangener der Lega Nord. Zwar hält ihr Führer, Umberto Bossi, dem Regierungschef noch die Stange, doch Bossi kann jetzt seine eigene Politik diktieren – und Berlusconi muss nachgeben.
Der Ruf nach vorgezogenen Neuwahlen wird jetzt immer lauter. Berlusconi glaubt, solche Wahlen gewinnen zu können. Laut einer jüngsten Meinungsumfrage bliebe Berlusconis Partei mit knapp 28 Prozent stärkste Formation. Die Gehirnwäsche seiner Fernsehsender zeigt noch immer Erfolge.
Die Kirche und die Wirtschaft sind gegen Berlusconi
Und dennoch: Berlusconis Stern verblasst – auch in den eigenen Reihen. Vielen seiner Parteifreunde fällt es immer schwerer, zu einem Ministerpräsidenten zu halten, der von der katholischen Kirche und dem wichtigsten Wirtschaftsverband des Landes scharf kritisiert wird. Auch innerhalb Berlusconi „Popolo della Libertà“ spricht man schon von "Zwängerei". „Soll uns doch der 74Jährige neue Wege freimachen“. Seine Popularität ist vor allem in Mittel- und Süditalien stark geschrumpft. 71 Prozent der Italiener sagten, sie hätten genug von Berlusconis Personenkult.
„Italien funktioniert nicht mehr“, sagte am Dienstag im Parlament ein Senator einer Regionalpartei. Italien braucht dringend Reformen. Berlusconi hat gezeigt, dass er dazu nicht fähig oder willens ist.
Schon haben italienische Journalisten Wetten abgeschlossen, wie lange die „Drei-Stimmen-Regierung“ überleben wird. Niemand würde nach einem Abgang Berlusconis Wunder erwarten. Das Land steckt in einer tiefen Krise, aus der es nur schwer herausfinden wird – mit wem auch immer. Aber ein Sturz Berlusconis würde das Belpaese immerhin befreien von Lethargie, Hoffnungslosigkeit und Stillstand.
Im kommenden März feiert Italien das 150jährige Bestehen. Die Abgeordneten hätten es in der Hand gehabt, dem Land schon jetzt ein Geburtstagsgeschenk zu machen: Ein Italien ohne Berlusconi. Sie haben die Chance vertan. Sie haben jetzt drei Monate Zeit, das Verpasste nachzuholen.