In Begleitung seines Geheimdienstchefs Yossi Cohen traf sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntagabend in Saudi-Arabien mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und (Noch-)US-Aussenminister Mike Pompeo, der gerade kurz zuvor noch Israel besucht hatte. Das knapp zweistündige Treffen in der Wüstengegend von Neom war zunächst geheim gehalten worden, am Montagfrüh aber gaben israelische Stellen die Nachricht frei.
Allerdings hatte da ein ominöser Tweet bereits die Runde gemacht: Koalitionspartner „Gantz spielt Politik, während (Ministerpräsident) Netanjahu Frieden schliesst“. Ein ziemlich durchsichtiger Hinweis auf das innenpolitische Gerangel zwischen den beiden Jerusalemer Spitzenpolitikern, der nun ergänzt worden war durch die Torschluss-Bemühungen von Trumps Aussenminister, die Nahostpolitik der abgewählten US-Führung als einen ihrer wichtigsten Erfolge hinzustellen.
Unrerstützung im Streit mit Iran
Und auch die saudische Führung brauchte nun offenbar eine Demonstration ihrer erneuten Bereitschaft zu einem Nahostfrieden. Erneut, weil es Saudi-Arabien war, das bereits unter König Abdallah – dem Vorgänger des jetzigen König Salman – zweimal die Arabische Liga auf ein Friedensangebot gegenüber Israel eingeschworen hatte.
Weil Israel dies völlig ignorierte, wurde man in Riad zwar vorsichtiger, aber als die Trump-Regierung anfing, von ihrem „Jahrhundertwerk“ eines Friedensplans zu reden, da war Saudi-Arabien wieder zur Stelle – als politischer, wirtschaftlicher und militärisch-strategischer Verbündeter Washingtons. Riad versprach sich dadurch weiterhin amerikanische Unterstützung im Streit mit Iran, bei seinem Konflikt mit den Huthis in Jemen sowie bei Öl- und Waffengeschäften.
Normalisieren auch die Saudis die Beziehungen zu Israel?
Der „klassische Nahostkonflikt“ in und um Palästina wurde dabei nicht vergessen, nur avancierten die Saudis diesmal etwas behutsamer als zuvor. Ohne freilich ihre Rolle zu verschweigen: Man sei weiterhin an einem solchen Frieden interessiert, meinte kürzlich der saudische Aussenminister in einem Interview, allerdings müssten die Konfliktparteien sich erst einmal selbst dazu bereitfinden, bevor Saudi-Arabien sich an einem solchen Frieden beteiligen werde.
Zu dem Zeitpunkt war längst bekannt, dass Saudi-Arabien hinter dem „drive“ nach Friedens- oder wenigstens Normalisierungsverträgen mit Israel steckt, der seit dem Sommer durch zahlreiche arabische und muslimische Staaten zieht. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Oman machten den Anfang und der Sudan bekundete Interesse. Die Liste dürfte rasch weiter wachsen, wenn die Ablösung Trumps in Washington erst einmal ohne noch grössere Probleme über die Bühne gegangen sein wird.
Israelisch-libanesische Gespräche
Hinter den Kulissen bleibt Saudi-Arabien aktiv. So erklärte der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan in einem Fernsehinterview, „die USA und ein weiterer Staat“ setzten Pakistan unter Druck, Israel anzuerkennen. Dass er mit dem „weiteren Staat“ Saudi-Arabien gemeint hatte, war Imran Khan zwar nicht bereit zuzugeben: „Es gibt bestimmte Dinge, die wir nicht sagen können. Unsere Beziehungen zu ihnen sind gut und wir wollen sie nicht verärgern.“
Anders, wenn auch ähnlich ist die Lage in Libanon: Zur Zeit des Bürgerkrieges hatten die christlich-maronitischen Führer vor Jahren einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen, der dann aber unter dem Druck der muslimischen Mehrheit und des Nachbarn Syrien nach wenigen Tagen wieder aufgekündigt wurde. Erst kürzlich kamen – durch amerikanische Vermittlung – israelisch-libanesische Gespräche in Gang: Keine Friedensverhandlungen, sondern Gespräche über den genauen Verlauf der gegenseitigen Interessengebiete in Bezug auf Erdgasvorkommen vor der gemeinsamen Mittelmeerküste.
Saudi-freundlicher libanesischer Ministerpräsident
Zähneknirschend hatte die Führung der von Iran unterstützten schiitischen „Hizbullah“ zugestimmt und die Gespräche kamen langsam in Gang. Nun war aus dem Mund des (christlichen) Präsidenten Aoun zu hören, er hoffe, dass man bei den Gesprächen Erfolge erziele. Erstaunlich, denn Aoun ist politisch liiert mit der Hizbullah.
Die neuen Töne könnten aber ihre Erklärung darin haben, dass nach fast einem Jahr totalen Chaos in der Regierung ein Mann an deren Spitze zurückgekehrt ist, der bereits zuvor Ministerpräsident war: der Sunnit Saad Hariri, Sohn des 2005 ermordeten Rafiq Hariri – der in Saudi-Arabien ein Vermögen gemacht hatte und nach dem Bürgerkrieg Regierungschef in Beirut geworden war. Die saudische Verbindung zu Sohn Saad ist sicher schwächer als sie zu dessen Vater war. Aber sie dürfte weiterhin wirksam sein.
Ambitioniertes saudisches Entwicklungsprojekt
Das Interesse Saudi-Arabiens lässt sich schliesslich wenigstens teilweise vom Ort des nächtlichen Treffens mit Netanjahu ablesen: Die Gegend von Neom ist eines der ambitioniertesten Entwicklungsprojekte, die der Nahe und Mittlere Osten je gesehen hat. Treibende Kraft dahinter ist der Kronprinz, der es sich zum Ziel gesetzt hat, zu diversifizieren und künftig nicht mehr allein auf Erdöl zu setzen. Er entschied sich für Neom im Nordwesten Saudi-Arabiens, unweit der Grenzen mit Jordanien, Ägypten und dem Irak. Ein Gebiet, das ein Fünftel grösser ist als Israel und in dem seit vier Jahren ein Zentrum für moderne Technologie, Wissenschaften und Handel entsteht.
An der Spitze des ambitionierten Grossprojektes steht der Deutsche Klaus Kleinfeld, unter anderem ehemaliger Siemens-Chef. So wie er sollen andere wichtige und „interessante“ Fachleute und Geldgeber aus aller Welt angezogen werden. Und was läge da näher, als auch Israel mit einzubeziehen?
Zufriedener Netanjahu
Die Emirate kooperieren technologisch und wirtschaftlich schon lange mit Israel und haben dies nun mit ihrem Vertrag amtlich gemacht. Saudi-Arabien wird da nicht hinterherhinken wollen. In der Grössenordnung, in der man Neom plant, könnte dies allerdings auch eine gefährliche Konkurrenz für die Emirate werden.
In Israel jedenfalls dürfte Netanjahu zufrieden sein: Die technologische und wirtschaftliche Expansion auf die Arabische Halbinsel kann Israel ja nur finanziell weiterhelfen. Netanjahu dürfte nicht allein so denken. So kam er mit einer Privatmaschine nach Neom, die Ehud Angel gehört, einem der erfolgreichsten Wirtschaftsvertreter Israels. Das Flugzeug hatte dieser Netanjahu bereits für Flüge nach Russland und Oman zur Verfügung gestellt. Er wird schon wissen, warum.