Was nützt es einer Fussballmannschaft, wenn sie Stars auf dem Spielfeld hat aber keinen guten Torhüter …? Ganz ähnlich ist es im Orchester. Dort hält der Bassist die Stellung. So jedenfalls erklärt es Hayk Khachatryan am Nachmittag vor der «Don Giovanni»-Premiere in Salzburg.
Englisch, Französisch, Russisch oder doch Deutsch? Zunächst muss die Sprache geklärt werden, in der wir uns unterhalten werden. Wir einigen uns auf Deutsch. Und im Zweifelsfall kann man immer noch auf die eine oder andere Sprache ausweichen.
Und wie soll man den Nachnamen am besten aussprechen …? Ach, lacht er, ich heisse Hayk …!
Wir sitzen bei schönstem Wetter in der Espresso-Bar, gleich gegenüber vom Salzburger Festspielhaus. Der berühmtberüchtigte Schnürlregen war gestern, und morgen ist er auch wieder angesagt. Hayk Khachatryan ist entspannt. Die Premiere von «Don Giovanni» wird um 18 Uhr beginnen und er ist mit seinem Kontrabass im Orchester dabei. Das Orchester, das ist «musicAeterna», eines der interessantesten klassischen Orchester unter der Leitung des zurzeit meistdiskutierten und spannendsten Dirigenten, Teodor Currentzis.
Daneben spielt Khachatryan aber auch im Orchester des Opernhauses Zürich, war bis August dieses Jahres Mitglied des Zürcher Kammerorchesters, zuvor schon beim Mahler Chamber Orchestra, ebenso beim Lucerne Festival Orchestra. Man verliert fast den Überblick …
Vom Gewichtheber zum Bassisten
Geboren wurde Hayk Khachatryan in Leninkan in Armenien. «Heute heisst die Stadt Gjumri», erklärt er, «aber damals war das noch Teil der Sowjetunion. Aufgewachsen bin ich aber in Eriwan. Mein Vater arbeitet im Opernhaus, meine Mama unterrichtet im Konservatorium.» Dass der Sohn sich auch musikalisch betätigen würde, lag zwar auf der Hand, und er begann Geige zu spielen. Seine Ambitionen gingen jedoch zunächst in eine andere Richtung: Sport. Gewichtheber wollte er werden. «Mein Grossvater hat mich auf die Idee gebracht und das hat auch funktioniert, ich war bei verschiedenen Wettbewerben dabei und wollte mit Sport weitermachen. Meine Eltern waren aber gar nicht einverstanden und sagten, der Sport ist ungesund und die Laufbahn viel zu kurz. Ich bin in eine Situation gekommen, in der ich alles aufgab, die Musik, aber auch den Sport.» Zu dieser Zeit brach auch der Konflikt um Berg Karabach zwischen Armenien und Aserbeidschan aus. Es war eine Kriegssituation und wer in der Sowjetunion 18 Jahre alt war, musste entweder ein Studium an einer Hochschule absolvieren oder zum Militär. «Natürlich wollte ich nicht zum Militär! Der Familienrat entschied dann, dass ich auf die Hochschule gehe und ein Onkel hat mich davon überzeugt, Kontrabass zu spielen.» So richtig toll sei es damals in Armenien nicht gewesen, Bass-Spielen zu lernen, aber ein Kontrabassist hat ihn unter seine Fittiche genommen, und Hayk arbeitete sich zur Hochschule hinauf und kam ins Jugendorchester.
Im Laufe seines Studiums kam Hayk Khachatryan schliesslich in die Schweiz nach Sion in die Tibor Varga Musikakademie. «Das ist eine kleine Hochschule nur für Streicher. Dort habe ich zwei Diplome gemacht und gleichzeitig auch schon im Nationalorchester Lyon gespielt.» 2001 kam er ans Opernhaus Zürich, 2006 ins Mahler Chamber Orchestra, 2009 zum Zürcher Kammerorchester. «Es ist wichtig, Erfahrungen in mehreren Orchestern zu sammeln. Oper, Sinfonie, Kammerorchester, das sind drei verschiedene Berufe. Der Kontrabass ist grundsätzlich ein Orchesterinstrument. Es gibt zwar auch Stücke für Solo, aber nicht so viele. Das Instrument ist immer noch in einem Entwicklungsprozess. Das passt zu mir, denn ich fühle mich nicht als Solist. Aber es ist das Fundament des Orchesters. Wenn man es mit Fussball vergleicht, ist es der Torhüter: er hält alles. Und man lernt das ganze Repertoire kennen, das ist einfach wunderbar.»
Von Dirigent zu Dirigent
Und nicht nur das Repertoire lernte er kennen, sondern auch die verschiedensten Dirigenten. «Ich habe beispielsweise zwölf Jahre im Lucerne Festival Orchestra gearbeitet. Zuerst mit Claudio Abbado, dann mit Pierre Boulez, Bernard Haitink, Andris Nelsons, Riccardo Chailly … Jeder bringt etwas anderes. Das Orchester ist ein Instrument, auf dem der Dirigent spielt. Je besser dieses Instrument ist, desto unterschiedlicher kann der Dirigent darauf spielen. Dieses Orchester war damals für eine Person kreiert worden: für Claudio Abbado. Und die Musiker sind in erster Linie wegen ihm gekommen. So ähnlich ist es jetzt mit Teodor Currentzis und musicAeterna.»
Die erste Begegnung mit Teodor Currentzis hatte Hayk Khachatryan mit dem Mahler Chamber Orchestra. «Teodor kam mit dem Pianisten Alexander Melnikow und wir haben Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 1 und 2 aufgenommen. Teodor und ich, wir haben uns sofort verstanden. So etwas habe ich noch kaum je erlebt. Dann ist Teodor auch nach Zürich ans Opernhaus gekommen, hat Schostakowitschs ‘Lady Macbeth von Mzensk’ gemacht, Verdis ‘Macbeth’ und das Rameau-Programm, das wir jetzt auch in Salzburg spielen. Schon damals wollte er, dass ich zu musicAeterna komme, aber ich hatte einfach keine Zeit, weil ich noch bei verschiedenen anderen Orchestern engagiert war. Als ich dann beim Mahler Chamber Orchestra aufgehört habe, hat Currentzis davon erfahren und insistiert, dass ich nach Perm kommen soll. Ich bin zunächst einmal zum Diaghilev Festival nach Perm gereist und es wurde klar, dass wir weiter zusammenarbeiten wollen. Als ich dann vor drei Jahren beim Zürcher Kammerorchester reduziert habe, konnte ich bei musicAeterna unterschreiben.»
Inzwischen haben sich musicAeterna und Currentzis in St. Petersburg etabliert, was es für Hayk Khachatryan auch einfacher macht, weil es nun direkte Flüge gibt. Denn Zürich ist ja doch sein Zentrum … insbesondere da er und seine Frau seit letztem Frühling neben dem Sohn auch ein kleines Töchterchen haben.
Mit Currentzis im Laboratorium
Für Hayk Khachatryan gibt es zwischen Teodor Currentzis und anderen Dirigenten vor allem einen Unterschied: «Mit musicAeterna und Teodor, das ist eine Arbeit wie im Laboratorium. Man braucht viel mehr Zeit, um kleinste Details auszuarbeiten. Jetzt, nach dem Umzug von Perm nach St. Petersburg sind wir aber freier als Ensemble, auch der Chor. In Perm waren wir Teil des Opernhauses und mussten Dienst leisten und auch in ganz anderen Produktionen spielen. Jetzt sind wir frei. Und Teodor nimmt sich für jedes Werk viel Zeit. Das hat damals auch dazu geführt, dass wir ‘Don Giovanni’ zweimal eingespielt haben, weil Teodor von der ersten Version nicht wirklich überzeugt war. Das ist schon sehr aussergewöhnlich.»
Ein Nebeneffekt ist immerhin, dass musikAeterna seither mit «Don Giovanni» sehr vertraut ist. Und bei den Salzburger Festspielen sollte «Don Giovanni» im Mittelpunkt stehen. «Geprobt haben wir genug, dann haben wir es etwas ruhen lassen und sind nach Salzburg gereist, um unsere einstudierte Musik und die Inszenierung von Romeo Castellucci einander anzupassen.»
Spielen und Zuhören
In Salzburg spielt Hayk Khachatryan zum ersten Mal. «Es ist schon sehr speziell», stellt er fest. «Die Tradition hier, viele Konservative, und auch die ganze Stimmung, das Vermächtnis Mozarts hier in dieser Stadt, das 100-Jahr-Jubiläum, das ist schon etwas Besonderes.» Und er freut sich auch, viele befreundete Kollegen aus aller Welt hier wieder zu treffen. Die «Elektra» möchte er sich als Zuschauer noch ansehen, zumal sein ehemaliger Chef in Zürich, Franz Welser Möst sie dirigiert, aber auch die «Tosca», «die wird von meinem Freund Marco Armiliato geleitet, und Anna Netrebko singt», schwärmt er schon im Voraus, «und Patricia Kopatchinskaja möchte ich natürlich auch im Konzert hören, sie ist eine gute Freundin.»
Die Zeit wird ihm in Salzburg vergehen wie im Fluge. Entweder spielt er die Musik selbst, oder hört anderen zu. Seinem kleinen Töchterchen zum Beispiel, das Salzburg ebenfalls zum ersten Mal einen Besuch abstattet …