Rezession oder Inflation, das sind die am meisten genannten Gefahren im Meer der Kommentare zur Entscheidung der Nationalbank (NB), die Untergrenze von 1.20 Franken für einen Euro mit allen Mitteln zu verteidigen. Etwas weitsichtiger ist einzig die NZZ, die dafür hier lobend zitiert wird: «Die eigentliche Bewährungsprobe wird erst dann kommen, wenn neue Verwerfungen an den internationalen Märkten zu riesigen Fluchtbewegungen führen oder die Anleger zu zweifeln beginnen, ob die SNB weiter gewillt ist, eine Untergrenze mit allen Mitteln zu verteidigen. Dann wäre es möglich, dass die SNB wider Willen zu einem riesigen staatlichen Investitionsfonds wird, enorme Kursrisiken auf ihre Bilanz nehmen und ihr Inflationsziel preisgeben müsste.»
Krisenszenario eins
So sicher wie das Amen in der Kirche werden Hedgefonds und andere Spekulanten wie man so schön sagt «austesten», wie finster entschlossen die NB ist, ihr verkündetes Wechselkursziel auch zu verteidigen. Das Spekulationsspielfeld ist nicht gerade klein; pro Tag werden weltweit rund 72 Milliarden Dollar zwischen Franken und Euro gewechselt, macht pro Monat rund 2,2 Billionen. Eine Schwankung von doch eher läppischen 1 Prozent ergibt bereits einen Interventionsbedarf von 22 Milliarden für die NB. Wenn ein paar Hedgefonds so richtig Gas geben, was mit Hebeln und Gratiszockergeld ja kein Problem ist, dann kann man eine Null hinzufügen, wir wären bei knapp der Hälfte des Schweizer Bruttoinlandprodukts. Und: Niemand weiss, wie viel Geld die NB bereits für Schwächungskäufe ausgegeben hat, da sie auch über Strohmänner am Markt handelt, wie es sich für einen echten Währungskrieg mit allen Schikanen gehört.
Krisenszenario zwei
Nochmals, nicht der Franken ist stark, der Euro ist schwach. Umso mehr Unsinn die Eurokraten anstellen (und die sind offensichtlich verdammt gut darin), umso schwächer wird der Euro. Und umso mehr Euro muss die NB aufkaufen, um den starken Franken an diese Schwäche anzupassen. Im worst case bedeutet das, dass die NB auf einem riesigen Haufen Euros sitzt, die aber bei einem Auseinanderfliegen der Eurozone schlagartig einen grossen Teil ihres Werts verlieren werden. Eine NB kann nun, im Gegensatz zu einer normalen Bank, nicht pleite gehen, aber im schlimmsten Fall kann der Franken auf diese Weise in den Untergang des Euros mit hineingerissen werden. Diese Logik hat geradezu etwas Hirnrissiges: Weil der Euro schwach ist, muss der Franken geschwächt werden, indem der schwache Euro von der NB gekauft wird. Damit wird der Franken vielleicht schwächer, der Euro aber ganz sicher nicht stärker.
Krisenszenario drei
Spekulanten sind wie wandernde Heuschreckenschwärme, sie bewegen sich schnell weiter, wenn ein Gebiet kahlgefressen ist oder nichts hergibt. Anders sieht es bei Investoren aus, die nicht spekulieren, sondern schlicht und einfach ihr Geld in einer Währung anlegen wollen, die es höchstwahrscheinlich in ein paar Jahren noch gibt. Die mussten bislang immerhin damit rechnen, wenn sie im Euroraum leben, dass sie einen zu teuren Franken kaufen und allenfalls bei einem Rückwechseln in Euro Verluste machen würden, wenn der wider Erwarten doch überlebt. Nun haben sie sozusagen eine Staatsgarantie, dass der Wechselkurs stabil bleibt. Mit anderen Worten: Wer ohne Wechselrisiko die Wahl hat, in Franken oder in Euro zu investieren, wofür wird sich der Investor wohl entscheiden? Das bedeutet, da ja doch immer noch sehr viel Geld in der Eurozone vorhanden ist, dass die nicht-spekulative Nachfrage nach dem Franken dramatisch steigen wird. Und so viel Geld kann die NB gar nicht herstellen, um diese Welle aufzusaugen.
Warum nur, warum?
Der Schweizer Wirtschaft geht es insgesamt, inklusive Export-Industrie, gut, unter dem Strich und trotz des starken Frankens wurde im ersten Halbjahr 2011 sogar mehr exportiert als im Vorjahr. In der Nettobilanz, Importe versus Exporte, brachte der starke Franken mehr Vor- als Nachteile. Einzelne Industriezweige kriegten Probleme, und natürlich der Tourismus. Der wiederum hat aber schon seit Jahren ein Strukturproblem; Hunderte von veralteten, muffigen und serviceunfreundlichen Hotels beispielsweise müssen sowieso geschlossen werden. Und selbst unternehmerfreundlichst hingewürgte Prognosen kommen beim besten Willen auf nicht mehr als 25 000 durch einen stark bleibenden Franken gefährdete Arbeitsplätze. Mindestens ebenso viele stehen ja im Finanzplatz Schweiz auf der Kippe, ohne dass jemand auf die Idee käme, unsere Banken mal wieder mit Multimilliarden zu subventionieren. Warum also hat sich die NB auf dieses Vabanque-Spiel eingelassen, bei dem die Vorteile überschaubar, die Risiken aber gigantisch sind?
Mythos Währungsrisiko
Es wird immer so getan, als sei es ein riesiges Problem für ein KMU, wenn zwischen Offerte und Bezahlung eines in Fremdwährung berechneten Auftrags Währungsschwankungen auftreten. Darüber lässt sich nur herzerweichend vor einem Publikum jammern, das offensichtlich nicht weiss, dass jede KMU, die nicht völlig bescheuert ist, einen Währungs-Swap abschliesst, also eine Art Versicherung, die zwar nicht umsonst ist, aber das Verlustrisiko deutlich minimiert. Wer das nicht tut, spart am falschen Ort, ist aber schlichtweg selber schuld, wenn ein auf einem Kurs von 1.45 Franken für einen Euro berechnetes Geschäft dann zu einem Kurs von 1.03 bezahlt wird.
Schrauben in der Maschine
Das Faszinierende an der modernen, globalisierten, vernetzten Wirtschaft ist, dass die gesamte Maschine dermassen unüberschaubar riesig geworden ist, dass eigentlich niemand so genau weiss, was passiert, wenn man unten links an einer Schraube dreht. In der Hoffnung, dass sich dann oben rechts eine Schraube in die beabsichtigte Richtung dreht. Die NB hat nun am grössten Rad gedreht, das ihr zur Verfügung steht. Man kann nur hoffen, dass dadurch nicht alle Schrauben vom Franken abfallen. Die Entscheidung, die eigene, starke und kontrollierbare Währung an eine fremde, schwächelnde und von der NB nicht kontrollierbare Währung zu koppeln, ist so gesehen wirklich nicht mutig, sondern tollkühn.