Am 9. Dezember 2004 tippte der 49 Jahre alte Journalist Gary Webb eine kurze Notiz in seinen Computer, in der er seiner geschiedenen Frau und seinen drei Kindern seinen bevorstehenden Selbstmord ankündigte, legte eine Erklärung für seine Einäscherung auf den Schreibtisch, klebte einen Zettel für die Möbelpacker, die am nächsten Tag kommen sollten, weil er das Haus räumen musste, an die Tür, sie sollten die Notrufnummer 911 anwählen, nahm die Pistole seines Vaters und schoss sich in den Kopf. Weil der erste Schuss nicht tödlich war, schoss er noch einmal.
Am 10. Oktober kommt Gary Webbs Geschichte unter dem Titel „Kill the Messenger“ mit den Darstellern Jeremy Renner, Michael Sheen, Ray Liotta und Andy García in den USA in die Kinos.
Im August 1996 hatte die San José Mercury-News Webbs Artikelserie „Dark Alliance“ veröffentlicht, die detailliert die Verbindungen der Regierung Ronald Reagans, des US-Geheimdienstes CIA und der antisandinistischen Contras zu den bolivianischen und kolumbianischen Drogenbaronen während der achtziger Jahre schilderte.
CIA, Contras & Drogen
Zwar stand in den Artikeln nichts wesentlich Neues. Schon im September 1981, nur wenige Monate nach Gründung der ersten antisandinistischen Verbände, flogen einem CIA-Kabel zufolge zwei Contra-Mitglieder die erste Drogenlieferung nach Miami. Am 17. März 1986 beschwerte sich ein Mitarbeiter Oliver Norths, des NSC-Verbindungsoffiziers zu den Contras, dass sich tatsächlich „nur wenige der sogenannten Führer der Bewegung um die Jungs im Feld kümmern… DIESER KRIEG IST FÜR VIELE VON IHNEN EIN GESCHÄFT GEWORDEN.“ (Initialen im Original) 1989 bestätigte eine Untersuchung des US-Senats unter Leitung Senator John Kerry’s, dass viele Mitglieder der aus Miami und Honduras gegen Nicaragua operierenden Contras geschäftliche Verbindungen zu den Kokain-Händlern pflegten, und dass die Regierung Reagan sogar Fluglinien für den Versorgungsnachschub in die Lager der Antisandinisten unter Vertrag genommen habe, die in enger Verbindung mit dem Drogenhandel stünden. Und 1987 schilderte die CBS-Reporterin Leslie Cockburn die kriminellen Operationen in ihrem Buch „Out of Control. The Story of the Reagan Administration’s Secret War in Nicaragua, the Illegal Arms Pipeline, and the Contra Drug Connection” auf 250 Seiten.
Doch nun leugnete die CIA plötzlich all diese dubiosen Verbindungen. Der Geheimdienst bemühte sich um Schadensbegrenzung und ging zum Gegenangriff über. Und die Zeitungen der USA, allen voran die New York Times, Washington Post und Los Angeles Times, stellten sich brav in den Dienst der Schlapphüte in Langley, Maryland, wie aus einem sechsseitigen Bericht der PR-Abteilung der CIA „Managing a Nightmare: CIA Public Affairs and the Drug Conspiracy Story“ hervorgeht.
Kampagne gegen die Enthüllung
Die PR-Abteilung der CIA „stellte sicher, dass Reporter und Nachrichtenchefs, die um Informationen nachfragten – ebenso wie ehemalige Agentur-Mitarbeiter, die die Agentur in Interviews mit den Medien repräsentierten – Kopien dieser ausgewogeneren Geschichten erhielten.“ Besonders über die eifrige Mitarbeit der Washington Post, die in zwei vernichtenden Artikeln Webbs Glaubwürdigkeit in Frage stellte, freute man sich in Maryland. „Ihre Artikel wurden besonders häufig von anderen Zeitungen aufgegriffen und halfen, was die Associated Press einen ‚Feuersturm der Reaktion‘ gegen die San José Mercury-News zu entfachen.“
Da wurde in einem billigen Wortspiel über „Das Netz, das Gary gesponnen hat“ (The Web That Gary Spun) geschrieben, dass es die Mercury-News verdiente, dass „ihr für ihre ‚dunkle Allianz‘ eingeheizt“ wurde. Mit Genuss erwähnt der CIA-Bericht Howard Kurtz, den Medien-Kritiker der Washington Post, der Webbs Bemerkung, der Contra-Krieg sei für einige der Contra-Führer ein Geschäft gewesen, herablassend-höhnisch kommentierte: „Oliver Stone sollte mal in seine Voice mail reinhören.“
Schließlich, einen Monat nach Erscheinen der Artikelserie in San José, „überwogen die beobachteten Geschichten, in denen Skepsis gegenüber der Mercury-News-Serie zum Ausdruck kam, jene, die negativ berichteten“, stellte der Autor des CIA-Reports erleichtert fest. „Die beobachtete Zahl der skeptischen Behandlung der angeblichen CIA-Verbindung wuchs bis Ende September (1996) auf das Dreifache der Artikel, die der Verbindung Glaubwürdigkeit bescheinigten. Das Anwachsen der ausgewogenen Berichte war hauptsächlich… (den Berichten) der Washington Post, New York Times und Los Angeles Times zu verdanken.“
Zusammenarbeit von CIA und Presse
Ausschlaggebend für den Erfolg sei „eine Basis bereits existierender, produktiver Beziehungen zu Journalisten, die zusammen mit einer wirkungsvollen Antwort des Direktors des Central Intelligence’s Public Affairs Staff half zu verhindern, dass die Geschichte nicht in einer völligen Katastrophe endete“, erkannten die PR-Spezialisten in ihrem Report. „Das Auftauchen dieser Geschichte stellte eine echte PR-Krise für die Agentur dar.“
Daraus schlossen die Nachrichtenfälscher, dass sie „mit Journalisten, die bereits gewillt sind, eine ausgewogene Geschichte zu schreiben, zusammenarbeiten müssen. Was diesem Einfluss einen Multiplikatoreffekt gibt, ist etwas, was mich überrascht hat”, staunte der Verfasser des Berichtes: „Dass der Beruf des Journalisten den Willen und die Fähigkeit besitzt, seine eigenen Mitglieder an bestimmte Standards zu binden.“
Der Hitz-Report
Nur zwei Jahre nach der Kampagne gegen die Mercury-News und Gary Webb, am 8. Oktober 1998, veröffentlichte CIA-Generalinspekteur Frederick Hitz einen zweibändigen Untersuchungsbericht, der nicht nur die seit langem bekannten Drogengeschäfte der Contras noch einmal bestätigte, sondern auch enthüllte, dass CIA und die Reagan-Regierung weit mehr über die kriminellen Aktivitäten der Contras gewusst hatten als jeder Journalist. Hitz nannte die Namen von über 50 Mitgliedern und Einrichtungen der Contra, die in den Drogenhandel verwickelt gewesen waren, und beschrieb detailliert, wie die US-Regierung seinerzeit diese Drogenoperationen abgeschirmt und Ermittlungen von Bundesbehörden (wie FBI oder DEA) obstruiert hatte. Dies in den Jahren als Nancy Reagan publicitywirksam ihre Kampagne gegen den Drogenmissbrauch betrieb.
Angaben in Band Eins des Berichts zufolge, heuerte Enrique Bermúdez, der Oberkommandierende der Contras, schon in der frühesten Phase des Aufbaus der Organisation den nicaraguanischen Drogenhändler Norwin Meneses an, eine Schlüsselfigur in Webbs Recherchen. 1982 sei Meneses gemeinsam mit einem weiteren Drogendealer nach Honduras geflogen, wo ihnen Bermúdez mit den Worten „das Ziel rechtfertigt die Mittel“ grünes Licht gegeben habe. (Bermúdez kehrte nach dem Ende des Contra-Kriegs nach Managua zurück, wo er am 16. Februar 1991 erschossen wurde. Der Mord wurde nie aufgeklärt.) Nach Hitz‘ Angaben war die CIA geleitet „von der alles überragenden Priorität, die sandinistische Regierung in Managua zu stürzen… Der Fokus war darauf gerichtet, diese Arbeit zu erledigen und den Krieg zu gewinnen.“ Aus diesem Grund habe die CIA dem Justizministerium und sogar der eigenen analytischen Abteilung Beweismaterial vorenthalten.
Die Veröffentlichung des Hitz-Reports half Webb nicht. Die Medien waren zu sehr beschäftigt mit Präsident Bill Clintons Monica Lewinsky-Affaire. In einem kurzen Artikel räumte die New York Times am 10. Oktober 1998 zwar ein, dass das Contra-Drogen-Problem vielleicht größer gewesen sei, als bisher angenommen, verhöhnte Webb aber auch weiterhin. Die Washington Post reagierte mit einem ähnlich kurzen Stück, und die Los Angeles Times, die zuvor 17 Reporter gegen Gary Webb eingesetzt hatte, berichtete nicht mit einem Wort über den Hitz-Bericht.
Auch eine weitere Untersuchung im Jahr 2000 des damals von den Republikanern kontrollierten Geheimdienstkomitees des Repräsentantenhauses, die zum gleichen Ergebnis wie der Hitz-Report gekommen war, konnte „die Großen Drei“, Times, Post und LA-Times, nicht dazu bewegen, Webb zu rehabilitieren.
Arbeits- und mittellos
Webb fand nie wieder Arbeit als Journalist, verdingte sich zeitweilig bei einem staatlichen Komitee in Kalifornien. Doch als dieser Arbeitsvertrag auslief, blieben weitere Aufträge aus. Seine Ehe scheiterte, er musste Schulden machen, um seine Rechnungen zu bezahlen und schließlich sein Haus verlassen, weil er die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnte.
Erst neun Jahre nach seinem Tod und im Wissen um den Beginn der Dreharbeiten für den Film „Kill the Messenger“ gestand einer jener Reporter, die sich an der CIA-gesteuerten Zerstörung von Webbs Existenz beteiligt hatten, in einem Gespräch mit der kalifornischen Radiostation KPCC-FM 89.3 die Fehler der Kollegen ein. „Wir sahen diese Serie in der San José Mercury News und fragten uns, ob das alles stimmte. Und so nahmen wir die Story unter die Lupe“, beantwortete Jesse Katz von der Los Angeles Times Fragen von Hörern, die bei der Radiostation anriefen. „Und wir taten das, wie es alle machten, die an der Sache dran waren. Heute, im Nachhinein denke ich, dass wir es übertrieben haben. Wir hatten dieses riesige Team bei der LA-Times und setzten diesen einsamen Korruptionsschnüffler irgendwie unter Druck. Wir taten wirklich nichts, um seine Story zu stützen oder zur Aufhellung der Geschichte beizutragen. Es war wirklich eine billige und geschmacklose Nummer.“
Bleibt die Frage, ob die Zeitungen nun anlässlich der bevorstehenden Uraufführung des Films endlich ihre Komplizenschaft mit der CIA in dem Cover-up der Contra-Drogen-Verbindungen eingestehen oder sich einfach der CIA-Pressestelle in einem weiteren Gegenangriff anschließen werden.