In ihrem steten Bemühen, auch Einfachstes so kompliziert wie möglich zu machen, ist es den Eurokraten gelungen, allgemeine Verwirrung in Bezug auf die Funktion des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu schaffen. Die wird noch gesteigert durch die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), unbegrenzt Staatsschuldpapiere anzukaufen, wenn ihr Zinsniveau über eine nicht deklarierte Schwelle steigt. Worum geht es eigentlich?
Der Schirm als Krücke
Der ESM soll bis zu 500 Milliarden Euro verleihen können. 80 Milliarden werden von den 17 Euro-Ländern direkt einbezahlt (perverserweise auch von denen, die Hilfe beanspruchen), für weitere 620 Milliarden werden Garantien abgegeben. Der «Gouverneursrat», also die Bosse des ESM, können jederzeit und kurzfristig Nachschuss verlangen. Ohne Mitbestimmungsrecht der Gläubiger.
Das ist die Konstruktion, was ist die Funktion? Mit Krediten des ESM soll Schuldnern unter die Arme gegriffen werden, die in der Vergangenheit unverantwortlich Kredite aufnahmen und deshalb die Risikoprämie namens Zins nicht mehr bezahlen können. Der ESM ist also kein Schirm, sondern ein Krücke für Lahme und Blinde.
Die EZB als Spielgeldbank
Die Aufgabe der Europäischen Notenbank ist es in erster Linie, die Preisstabilität innerhalb der Euro-Zone zu garantieren. Die Ankündigung, im Notfall unbegrenzt neues Geld herzustellen, mit dem Staatsschuldpapiere aufgekauft werden, widerspricht dieser Zielsetzung diametral.
Da werthaltiges Geld nicht aus dem Nichts in beliebigen Mengen hergestellt werden kann, handelt es sich hier um einen üblen Taschenspielertrick, mit dem sich die Notenbank in eine Spielgeldbank verwandelt. Der letzte Damm vor einer inflationär wirkenden Geldflut ist gebrochen.
Keine Spielregeln
Selbst bei Monopoly gibt es klare Spielregeln, die zudem während des Spiels nicht geändert werden können. Ganz anders im grossen Euro-Monopoly. Das Wichtigste bei einer Kreditvergabe sind die Spielregeln, also die Bedingungen, unter denen ein Gläubiger einem Schuldner Geld leiht. Der spanische Ministerpräsident Rajoy hat bereits in einem seltenen Anfall von Politikerehrlichkeit angekündigt, dass er im Prinzip keine Bedingungen für die bereits zugesicherte 100-Milliardenhilfe akzeptieren werde.
Und Italiens Monti wird mit dem Satz zitiert: «Im Fall einer Hilfe wird keine Troika nach Rom kommen.» Das war eigentlich überflüssig, denn niemand weiss genau, welche Bedingungen überhaupt an Kredite des ESM, der EZB, der EFSF, des ECCL oder wie die dunklen Geldquellen der Eurozone auch immer heissen, geknüpft sind.
Keine Perspektiven
Als ob diese Ausgangslage für eine Kreditvergabe nicht schon absurd genug wäre, ist sie nur der Anfang vom Übel. Die zweite Grundlage beim Geldverleihen ist, dass der Schuldner erklären muss, wie er das aufgenommene Geld wieder zurückzahlen will, damit der Gläubiger das Risiko eines Verlusts abschätzen und den Zinssatz entsprechend setzen kann.
Aber auch diese Spielregeln sind beim Finanzmonopoly in der Euro-Zone ausser Kraft gesetzt. Einer faktisch unbegrenzten Haftung für Geldsummen im Multimilliardenbereich durch die wenigen verbliebenen solventen Staaten steht ein nicht einschätzbares Risiko gegenüber, dass bewilligte Kredite nicht mehr zurückbezahlt werden.
Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts
Sein Spielraum ist beschränkt. Die Verfassungsrichter sind keine Wirtschaftsspezialisten, sie haben auch nicht das Mandat, ökonomischen Irrwitz von sinnvollen Massnahmen zu unterscheiden. Sondern sie durften lediglich entscheiden, ob die deutsche Beteiligung am Monsterschirm ESM mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist oder nicht. Letztlich waren sie genauso überfordert wie das Parlament (und die Regierung). Vom deutschen Steuerzahler, der, wenn er kann, am Schluss die Zeche zahlen soll, ganz zu schweigen. Sie mussten ein Risiko juristisch bewerten, das schlicht und einfach unkalkulierbar ist.
Deshalb haben die Richter, wie eigentlich erwartet, der deutschen Beteiligung am Rettungsschirm zugestimmt. Mit Vorbehalten zwar, aber die werden nicht helfen. Denn über Vorbehalte, Versprechen, Verträge und überhaupt alle Zusagen haben sich die Eurokraten bis heute ungeniert hinweggesetzt. Das werden sie auch in Zukunft so halten. Also ist der Weg ins völlige Desaster weiterhin frei.