Ende November verstarb F. C. Kohli, der Vater der indischen Software-Industrie, im Alter von 96 Jahren. Er hatte im Jahr 1969 die Firma Tata Consultancy Services (TCS) gegründet. Im Unterschied zu anderen Gruppen-Unternehmen des riesigen Tata-Konzerns war TCS keine eigenständige Tochterfirma. Als Stabsorganisation der Holding Tata Sons Ltd. sollte sie vielmehr diese Namenstöchter bei der technischen Verarbeitung ihrer Daten unterstützen.
Es war ein Glücksfall für Tata Sons. Denn dreissig Jahre später war TCS ein Milliarden-Unternehmen – und gehörte immer noch zu hundert Prozent der Mutterfirma. Als die Holding im Jahr 2004 dringend Kapital brauchte, um ihre Legacy-Industrietöchter – Automobile, Stahl, Chemie, Hotels – zu entschulden, brachte sie TCS an die Börse. Für ein Aktienpaket von 25 Prozent konnte sie zwei Milliarden Dollar einstreichen.
Es war aber auch ein Glücksfall für F. C. Kohli. Die private Kontrolle von TCS – und die Weitsicht des Firmenpatriarchen J. R. D. Tata gaben ihm die operationelle Freiheit, neben hauseigenen technischen Diensten auch eigene Dienstleistungen für Kunden ausserhalb der Tata-Familie zu entwickeln und anzubieten.
Mangel als Ansporn
Zu Hilfe kamen ihm dabei auch die schier unüberwindlichen Zollmauern, die das sozialistische Indien damals um sich errichtet hatte. TCS hatte einen Servicevertrag mit Burroughs Computers. Die Hauptaufgabe bestand darin, Programme zu entwickeln, die es erlaubten, ältere Computermodelle auf neuere umzusatteln, und die sogenannte Migrations-Software herzustellen.
Dafür brauchte man allerdings einen eigenen Computer. Doch nicht nur betrug der Zollsatz für dessen Einfuhr 101,25 Prozent, was den Endpreis für TCS auf damals sagenhafte 800’000 Dollars erhöhte. Zudem verknurrte die indische Regierung TCS, die ausgegebenen Devisen selber zu verdienen. Innerhalb von fünf Jahren musste sie das Doppelte der Dollarkosten durch eigene Exporte zurückbringen.
Eine weitere Hürde erwies sich für F. C. Kohli als überaus fruchtbar: Burroughs traute den Indern nicht über den Weg und verkaufte aus Sorge um ihr intellektuelles Eigentum die Maschinen ohne detaillierte Fabrikationspläne. Zudem war der Import von Ersatzteilen schlichtweg verboten. Den TCS-Ingenieuren blieb nichts anderes übrig, als den Bau und die Funktionsweise – die Software – des Computers von innen heraus zu verstehen und zu rekonstruieren sowie eigene Ersatzteile herzustellen.
Burroughs war so beeindruckt von den Leistungen ihres indischen Partners, dass sie dessen Dienste für Migrationen ihrer alten Computer in die nächste Generation in den USA in Anspruch nahm. Dies half TCS, die nötigen Devisen einzunehmen, womit sie bald einmal modernere Computer über die hohen Zollhürden nach Hause hieven konnte.
Billige indische Software-Entwickler
Die Erfahrungen mit Burroughs in den USA machten Kohli klar, dass im Ausland ein grosser Mangel an Software-Ingenieuren bestand – vor allem so billigen wie den indischen Number Crunchers. Mit dem Aufkommen von immer mehr Computerfirmen ging es nicht mehr nur um die Migration zwischen firmeneigenen Geräten, sondern solchen aus Konkurrenz-Unternehmen, zum Beispiel von einem Burroughs-Computer zu einem von IBM oder ICL.
Immer komplexere Informationsprozesse halfen TCS auch bei der hauseigenen Entwicklung neuer Lösungen. Zufälligerweise war hier die Schweiz ein wichtiges Experimentierfeld für die Firma. Sie gründete zusammen mit ehemaligen Ingenieuren von Burroughs Schweiz und Texas Instruments eine eigene Marketingfirma namens Teknosoft SA.
Teknosoft half mit, das immer noch starke Misstrauen westlicher Firmen gegenüber den Indern markant zu reduzieren. Nun konnte ein Servicevertrag mit einer Schweizer Firma unterzeichnet werden. Damit blieben Verantwortlichkeiten weiterhin der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterstellt. Der Auftrag der Schweizer Börse für ein datengesteuertes Clearing-System (SECOM) wurde zu einem Meilenstein für die Firma. Mit diesem Erfolgsausweis konnte sie nun die Lösung komplexer Prozesse mit immer grösseren Datenmengen weltweit anbieten.
Kein Selbstvermarkter
Es dauerte nicht lange und TCS gehörte zu den wichtigsten Exportfirmen des Landes. Allerdings blieb sie weiterhin unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung. Die in Indien erbrachten Dienstleistungen erschienen in keiner Handelsstatistik. Sie blieben deshalb auch unbehelligt durch die Regierung und deren Verstaatlichungs- und Besteuerungsgelüste.
Es war hilfreich, dass F. C. Kohli nicht dem Unternehmertyp entsprach, der mit seinem Produkt auch sich selbst vermarktet. Sein Name war zwar landesweit bekannt, aber nur wenige verbanden mit ihm ein Gesichtsbild. Wenn er etwas pflegte, dann war es das Bild einer Person, die kurz angebunden, wenn nicht gar knurrig war.
Er stand damit in einem markanten Gegensatz zu anderen Tata-Kronprinzen und natürlich auch zu den Namensträgern des riesigen Unternehmens. Aber so wenig er nach aussen in Erscheinung trat, so stark konnte er sich nach innen durchsetzen.
Kohlis Management-Philosophie, jeden Mitarbeiter nur nach seinen Fähigkeiten zu beurteilen, machte ihn auch personell zum Vater der indischen IT-Industrie. Ein grosser Teil der späteren IT-Unternehmer gingen durch seine harte Schule. Die meisten folgten seinem Beispiel, Mitarbeiter unabhängig von Geschlecht, Kaste oder Religion zu behandeln. Was zählte, war zuerst der Einsatz, als Zweites die Leistung. Dies war auch gut fürs Geschäft. Heute ist TCS mit einem Kapitalwert von 190 Mia. Dollar das grösste IT-Unternehmen Asiens.
Die meisten Kunden kommen, wie in den frühen Jahren, immer noch aus dem Ausland und nicht aus Indien. Es gehört zu den Paradoxien – man könnte auch sagen: den Misserfolgen – moderner Technologie, dass sie sich in Bereichen durchzusetzen vermag, die rational organisiert sind. Kommt es zu gesellschaftlichen Prozessen – Verwaltung, Bildung, Gesundheit, Demokratie, Konfliktmanagement usw. – hat sie plötzlich nicht mehr diese Durchsetzungsfähigkeit einer Naturgewalt, die man ihr oft zuschreibt. Sie ist nur so wirksam, wie es die Akteure, die sie nutzen, zulassen.
Allerdings: Auch wenn TCS das Geld im Ausland verdient, die meisten Arbeitsplätze schafft es immer noch in Indien. Es beschäftigt gegenwärtig knapp 400’000 Personen und rekrutiert jedes Jahr rund 35’000 neue Angestellte. Vor fünfzig Jahren konnte Kohli einer Firma in Kalkutta einen brandneuen Rechner billig abkaufen. Doch die kommunistische Gewerkschaft liess ihn diesen gar nicht auspacken, da sie fürchteten, er würde ihre Arbeitsplätze zerstören.