Das politische Establishment lässt die Jungen aussen vor. Dabei würde sich ein aktives Miteinbeziehen der Jugend für alle Generationen lohnen.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der neuen Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Nick Sempach wurde im Jahr 2000 geboren und lebt in Zürich. Im Sommer 2019 schloss er die zweisprachige Matur am RG Rämibühl ab. Momentan studiert er Recht an der Universität Zürich. Er interessiert sich für Philosophie, Geschichte, technischen Fortschritt und Sport.
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Das Vorurteil, dass die Jugend kein Interesse an Politik habe, wurde spätestens von Fridays for Future und Co. von den innenstädtischen Strassen und Plätzen hinweggefegt. Doch nach wie vor fehlt dem politischen Betrieb das Gehör für die Anliegen der jungen Generation, und um Aufmerksamkeit zu erlangen, muss derart laut geschrien werden, dass es verwunderlich ist, weshalb die Politik noch keinen Tinnitus hat –, wobei Letzteres zumindest die Untätigkeit in Sachen Klimawandel erklären könnte.
Doch wer nicht hören will, der muss bekanntlich fühlen. Die Kantonsratswahlen in Zürich und anderen Kantonen haben die Untätigkeit von Mitte-Rechts in Sachen Klimawandel zurecht abgestraft, was dazu führt, dass nun sogar die SVP, die den Klimawandel zuvor mehrmals als pseudowissenschaftliche Strategie der „Linken und Netten“ zur Erschaffung einer „grünen Kommandowirtschaft“ tituliert hatte, zurückrudern muss und noch schnell vor den Wahlen versucht, den Klimawandel auf ihre Partei-Agenda zu hieven. Das gelingt jedoch eher schlecht als recht – Zuwanderung führt zu einem grösseren Wasserverbrauch? Ernsthaft? Gut, immerhin versucht hat man es.
Auch die FDP erfährt zurzeit schmerzlich, dass der freie Markt vielleicht doch nicht alles regelt, und eine Befragung der Parteibasis hat nun also ergeben, dass die Partei grüner werden solle. Es ist allemal schön zu sehen, dass nackte Zahlen auch von denen verstanden werden, die über kein Musikgehör verfügen. Das neue politische Engagement der Jugend hat deshalb unbestritten einen Einfluss auf den Ausgang der nationalen Wahlen, aber es ist bedauerlich, dass es erst eines solchen Aufschreis bedarf, um von den älteren Generationen gehört und erhört zu werden.
Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen, erklärt auf Anfrage, dass der Sprung nach Bern für viele junge Politiker beinahe ein Ding der Unmöglichkeit sei: „Bekanntheit, Zeit und die sogenannte Ochsentour sind dort meistens die Faktoren, welche uns zurückbinden.“
Das Durchschnittsalter der Nationalräte liegt denn auch bei 52 und das der Ständeräte gar bei 58 Jahren. Nur gerade zehn Ratsmitglieder sind – in beiden Kammern zusammen! – jünger als 35. Über die Zukunft unseres Landes bestimmen folglich mehrheitlich Personen, die noch mit VHS aufgewachsen sind. Eine ganze Generation wird von der Politik vernachlässigt, während in Bern ergraute Politiker über die Altersvorsorge und über andere zukunftsweisende Inhalte diskutieren, die sie selbst niemals betreffen werden und von denen sie nicht den Hauch einer Ahnung haben, was man ihnen teilweise noch nicht einmal übelnehmen kann: Wie soll jemand, dessen einzige Erfahrung mit Videospielen Pong war, über E-Sport bestimmen? Mit dem Tempo und der Menge der Veränderungen in den letzten Jahren können die etablierten, älteren Politiker schlicht und ergreifend nicht mehr mithalten. Deshalb braucht es frischen Wind in der Politik, der die Schweiz mit neuen Ideen durchs digitale Zeitalter navigiert, und es braucht Leute am Ruder, die in den rapiden Veränderungen auch eine Fülle an Chancen sehen. Dazu braucht es die Jungen, denn die momentan Regierenden sind noch kaum aus dem Hafen herausgeschifft und drohen bereits zu kentern.
Doch wie verjüngt man die Politik? Die Jungparteien, die bloss in den grossen, ideologischen Fussstapfen der Mutterparteien gehen und – da sie keine Regierungsaufgabe haben – oftmals noch ferner von jeglichem Realismus Politik machen, sind dazu nicht in der Lage.
Eine Möglichkeit bestünde in der Einführung einer Quote. Von einer solchen „Lösung“ ist jedoch abzusehen, da sie das Prinzip einer Demokratie verletzt: Sie ist antidemokratisch und deshalb gefährlich.
Viel sinnvoller wäre ein Perspektivenwechsel unter den Regierenden: Es liegt in der Verantwortung der etablierten Parteien, die Jugend sinnvoll in die bereits bestehenden Parteistrukturen und in die Politik einzubinden, statt sie auszugrenzen. Das ewig-gestrige Argument, dass die Jungen einfach noch nicht reif genug für einen Platz im Bundeshaus seien, zieht einfach nicht, und die Art und Weise, wie gestandene Politiker und deren Anhänger mit den Anliegen der Jugend umgehen, beweist sogar eher das Gegenteil.
Konkret braucht es ein System, in welchem die Jungen ihren Platz in den etablierten Parteien bekommen, anstatt einfach in ideologische Jungparteien abgeschoben zu werden. Eine solche Eingliederung der Jungen in die Politik würde viel mehr bringen als das heutige System, in welchem alle Jungparteien ihre eigenen Listen haben. Denn da sich Jungparteien selbst als Parteien ohne Regierungsaufgabe zu sehen scheinen, haben sie es viel schwerer, ernsthaft gewählt zu werden; vor allem von Leuten, die älter als dreissig sind. Eine solche Verjüngung würde dazu führen, dass die Politik endlich sensibler für die Anliegen und Ideen der Jugend würde. Hierdurch könnten die Anliegen der Jugend tatsächlich sinnvoll diskutiert werden und die Jungparteien müssten nicht – wie das heute der Fall ist – mit ihren Ideen völlig übers Ziel hinausschiessen, um überhaupt gehört, wenn auch nicht ernst genommen, zu werden.
Letztlich ist zu hoffen, dass eine tatsächliche Verjüngung der Politik endlich dazu führen sollte, dass die grösste Schweizer Partei nicht mehr Werbung mit Nazisymbolik machen kann und dass allgemein weniger Panikmache im Wahlkampf betrieben wird. Nicht etwa, weil die Jungen aus der SVP (mit Ausnahme von Benjamin Fischer, der sowieso viel zu eloquent für seine Partei ist) weniger polemisch und populistisch wären, sondern weil der grossartige Vorteil der „Generation Internet“ darin liegt, dass man mit etwas Medienkompetenz alle Aussagen einfach nachprüfen kann. Nur an einem Punkt ist man selbst mit Hilfe des Internets überfragt: Seit wann ist Nettsein etwas Negatives?
Andri Silberschmidt antwortet auf die Frage, was er sich für die Zukunft der Schweizer Politik wünsche, Folgendes: „Die Politik in Bern ist mittlerweile von einem ständigen Wahlkampf geprägt. Heisse Eisen werden oft liegen gelassen oder werden während der politischen Diskussion Opfer von Grabenkämpfen. Dies müssen wir unbedingt ändern! Wir wünschen uns in Zukunft eine mutigere Politik, welche die junge Generation in ihren Lösungen berücksichtigt und die grossen Herausforderungen nicht auf die lange Bank schiebt.“
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch