Ein Roman, der einen nicht mehr loslässt. Er trägt den Titel «Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles», stammt vom Mexikaner Álvaro Enrigue und liest sich auf Deutsch, dank der hervorragenden Übersetzung von Carsten Regling, so spannend wie im spanischen Original.
Álvaro Enrigue, 53-jährig, ist ein bei uns kaum bekannter, mehrfach preisgekrönter Romancier und Literaturdozent. Er lebt und lehrt in New York und hat sich für seinen jüngsten Roman intensiv mit der Geschichte der Apachen befasst.Entstanden ist ein ebenso wuchtiger, packender wie informativer Roman, der einen Bogen schlägt von 1836 bis in unsere Tage, reale historische Personen mit fiktiven zusammenbringt und in verschiedenen Erzählsträngen die Welt der Apachen bis zu ihrem Zusammenbruch schildert.
Die Entführung
Die Schauplätze des dreiteiligen Buches, in der «gran apacheria», einem grossen Gebiet im Norden Mexikos und im Süden der USA gelegen, beginnt mit der Geschichte einer Entführung: ein Apachenkommando kidnappt die junge mexikanische Witwe Camila; Oberleutnant José Maria Zuloaga soll einen Suchtrupp zusammenstellen und sie zurück in die USA bringen. Ein abenteuerliches Unterfangen mit überraschendem Ausgang. Im zweiten Teil wird die komplexe Geschichte der Apachen-Vernichtung durch US-amerikanische und mexikanische Truppen erzählt. Im Zentrum der Ereignisse steht der legendäre Häuptling Gerónimo. Er versteht es über Jahrzehnte, die übermächtigen Gegner in Schach zu halten und ihm werden die Worte zugeschrieben, die Enrigue zum Titel seines Romans genommen hat. Neben erfundenen Figuren treten reale Angehörige des Militärs auf, es findet ein grausamer, undurchsichtiger Krieg statt, es wird verhandelt und hintergangen, Ehrenmänner treffen auf verlogene Unterhändler. Es geht zu wie im Western-Film, nur dass man oft nicht sagen könnte, wer die Guten und wer die Bösen sind.
Literarisch gebrochen werden diese Geschichten durch ein paar autobiografische oder autofiktionale Szenen: Der Autor reist mit seiner Familie von New York in die «gran apacheria», lässt die spektakuläre Landschaft auf sich einwirken und besucht historische Stätten wie das Grab Gerónimos. Im dritten Teil schliesslich wird die Camila-Geschichte zu Ende erzählt, wobei sich, in immer schnelleren, drängenden Rhythmen, die anderen Motive des Romans ins Erzählwerk einbringen und bestens einfügen.
Krimi und Chronik
Seinen vielschichtigen, komplexen Stoff bearbeitet Enrigue mit verschiedenen Stilmitteln, die dem Leser einiges an Aufmerksamkeit und Konzentration abverlangen. Die einzelnen Erzählstränge verknäulen und vermischen sich, und die wichtigen Personen treten in immer neuen Konstellationen und Perspektiven auf. Lesen sich die Camila-Passagen wie ein Filmdrehbuch oder wie ein Krimi der Sonderklasse mit starken, schrägen Charakteren und suggestiven Landschaftsbeschreibungen, so ist der zweite Teil eher im Stil einer Chronik, eines historischen Epos geschrieben. Die uns zeitlich am nächsten kommenden Abschnitte des Romans, der Ausflug des Autors mit Familie an die Orte des Geschehens, haben die Form des Reiseberichts, was noch einmal ein anderes Licht auf die – inzwischen untergegangene, höchstens noch als touristisch besuchte Gedenkstätte präsente – Apachen-Kultur wirft.
Des Autors Sympathie gehört eindeutig den Indianern (dem Überlebenskünstler Gerónimo), was ihn aber nie dazu verleitet, sie zu idealisieren oder zu mythisieren. Enrigues Indianerhäuptlinge sind keine Winnetous. Anderseits geraten ihm die US-amerikanischen, mexikanischen, militärischen Protagonisten nicht zu Karikaturen. Ein fein dosierter Sarkasmus, ein gelegentlich behutsam in den Stoff gewirkter hinter- und untergründiger Humor, der die vielen gewalttätigen und grausamen Szenen kontrastiert, verleihen dem Roman Wärme und Eleganz, was den Lesegenuss noch einmal zu steigern vermag.
Álvaro Enrigue: Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Blessing Verlag, 2021.