Die Ausgangslage ist klar. Am 31. Juli müsste Argentinien wie vereinbart eine Rate von 539 Millionen Dollar an seine Gläubiger überweisen. Also an die 93 Prozent, die in zwei harten Verhandlungsrunden auf rund zwei Drittel ihrer Forderungen von über 100 Milliarden verzichteten. Falls nicht, ist mal wieder Staatsbankrott, zumindest Ausschluss von den internationalen Finanzmärkten. Mit möglichen gravierenden Auswirkungen auf das weiterhin schrecklich instabile internationale Finanzsystem, bekannt als der Schmetterlings-Effekt.
No risk, no fun
Das Geld liegt bereits auf einer US-Bank, kann aber, Stand heute, nicht ausbezahlt werden. Denn ein Hedge Fund hat letztinstanzlich in den USA das Recht erstritten, seine Forderung zum ursprünglichen, dem Nominalwert, ausbezahlt zu bekommen, immerhin 1,5 Milliarden. Argentinien weigert sich, beziehungsweise kann nicht. Wie entsteht ein solches Schlamassel, und was haben die USA damit zu tun?
Argentinien hatte in der Vergangenheit Staatsschuldpapiere teilweise nach US-Recht und in Dollar begeben – um ihre Sicherheit und Seriosität zu betonen und um damit letztlich weniger Zinsen zahlen zu müssen. Ende 2001 erklärte das Land mal wieder Staatsbankrott und stellte die Schuldenzahlungen ein. In zwei Verhandlungsrunden 2005 und 2010 verzichteten die meisten Gläubiger auf den grössten Teil ihrer Forderungen, darunter auch viele Kleinanleger. Andere hatten schon vorher aufgegeben und ihre Argentinienpapiere zu einem Bruchteil des Nominalwerts verkauft: lieber Kleingeld als gar nichts.
Diese wurden von grossen Hedge Funds nach der Devise «no risk, no fun» aufgekauft. Das Risiko bestand darin, in millionenteuren und langwierigen Rechtshändeln die Auszahlung des Nominalwerts (unter Verzicht einer Teilnahme an den Umschuldungsverhandlungen) durchzusetzen. Vor US-Gerichten, die durch die Art der Ausgabe Argentiniens zweifelsfrei dafür zuständig sind. Das Vergnügen besteht darin, dass nach gewonnenem Prozess ein Profit von bis zu tausend Prozent auf das eingesetzte Kapital möglich ist. Theoretisch.
Erpresser gegen Erpresser
Diese Hedge Funds blockieren nun die Auszahlung der nächsten Rate an die verzichtenden Gläubiger, weil das Gläubigerbevorzugung wäre, bekämen sie nicht gleichzeitig ihr Geld. Argentinien spricht von Geierfonds. Die Regierung beschimpft sie in ganzseitigen Inseraten, sie wollten das Land aus Geldgier in den nächsten Staatsbankrott treiben. Gleichzeitig droht das Gaucho-Land damit, halt die nächste Staatspleite zu erklären. Dann könnten sich die Hedge Funds ihre Forderungen wieder an die Wand nageln.
Gleichzeitig schürt die korrupte und unfähige Regierung von Cristina Fernández de Kirchner kräftig die Stimmung gegen die verhassten Gringos, die sich mal wieder imperialistisch in innerlateinamerikanische Angelegenheiten einmischen. Populistisch geschickt, aber in diesem Fall bar jeder Grundlage, da Argentinien vor seinem letzten Staatsbankrott dummerweise sogar seine Landeswährung einseitig an den Dollar band und selbst den Rechtsstand USA für seine Schulden wählte.
Showdown
Die Uhr tickt, ein klassischer Showdown nach Wildwestmanier. Wer zuerst blinzelt, hat verloren. Eigentlich müsste dazu Musik von Ennio Morricone gespielt werden, während die Kamera, Schnitt und Gegenschnitt, auf die Augen von Henry Fonda und Charles Bronson überlebensgross fokussiert.
Aber die beiden sind schon lange tot, und in diesem Showdown gibt es keinen Guten (Bronson) und keinen Bösen (Fonda), und niemanden ereilt sein gerechtes Schicksal. Die Hedge Funds haben eine völlig legale Hochrisikospekulation getätigt und behaupten, damit die Zahlungsmoral von Schuldnerstaaten zu verbessern. Diese sollten nicht einfach Staatspapiere ausgeben, im Wissen darum, sie dann sowieso nie zurückzuzahlen.
Argentinien behauptet, es bemühe sich nach Kräften, eine einvernehmliche Lösung zu finden, was mit fast allen Schuldnern auch gelungen sei. Die aktuelle Regierung könne ja nichts dafür, dass ihre Vorgänger das Geld sinnlos verröstet hätten, und schliesslich leide in erster Linie die Bevölkerung bei einem nächsten Staatsbankrott noch mehr als ohnehin schon. Dass die Camarilla um die Familie Kirchner samt ihren Vorgängern die 1,5 Milliarden aus dem zusammengerafften Privatvermögen zahlen könnte, erwähnt Fernández de Kirchner allerdings nicht.
Huhn oder Ei?
Tatsache ist, dass argentinische Regierungen nicht nur einen unbezahlbaren Schuldenberg von über 100 Milliarden Dollar angehäuft, sondern den grössten Teil dieser Kredite auch nicht wertschöpfend verbraten haben: in Form von Wahlgeschenken, sinnlosen Prestigeprojekten, zu einem guten Prozentsatz in Form von Korruption, Vetternwirtschaft und milden Gaben zur Pflege von Seilschaften. Ein paar Dollar sind auch bei jedem Argentinier angekommen. Der entweder ein völliger Trottel ist, den man entmündigen sollte – oder aber pausenlos bewusst Regierungen gewählt hat, die dieses Schlamassel zu verantworten haben, wie er letztlich selbst.
Da ist guter Rat teuer. Dass vor der Deadline alles Imponiergehampel aufgeführt wird, das wir aus dem Primatenreich kennen, ist normal. Entweder einigt man sich in letzter Sekunde auf einen Kompromiss, also die Hedge Fonds kriegen nur einen Teil ihrer Forderungen. Oder man einigt sich nicht, dann gibt’s das Sequel «Argentinischer Staatsbankrott, reloaded».
In beiden Fällen gibt es aber, und darin besteht die argentinische Tragödie, einen klaren Verlierer. Das ist nicht die Camarilla um die x-te korrupte und unfähige Regierung. Das sind auch nicht die Hedge Fonds, die haben sich natürlich mit Gegengeschäften weitgehend abgesichert, um einen Totalschaden zu vermeiden. Es ist die überwiegende Mehrheit der argentinischen Bevölkerung. Sie ist zwar nicht schuldlos, aber es beelendet immer, wenn Menschen wie Du und ich mit all ihren Kräften, meistens durch harte Arbeit, ihr kleines Glück anstreben – und darum gebracht werden.