Zwar hatte praktisch niemand diese Installation gesehen, denn sie stand im "Centre Culturel Suisse" im Pariser Marais, genauer an der 32-38, rue des Francs-Bourgeois, wo man zuerst einen Impasse finden und dann hinunter gehen muss, um den Ausstellungsort der Schweizer Kulturinstitution zu finden. Es handelt sich also um einen Ausstellungsort, der in Paris von Eingeweihten besucht wird. Schweizer Parisbesucher gehen so gut wie gar nicht dort hin, da es in Paris soviel Faszinierendes zu sehen gibt.
Wie gesagt, diese Installation hatte praktisch keiner gesehen. Trotzdem ereiferte sich die ganze Schweiz darüber. Diese Elemente, die die Schweiz "in gewissen Aspekten in einem unvorteilhaften Licht zeigen", sollten nicht nach Aussen getragen werden. Schon gar nicht von einer Schweizer Kulturinstitution. Und dann die Behandlung - in der Installation- vom (damaligen) Bundesrat Blocher. Eine Schande ! Man diskutierte auf der Strasse, beim Abendessen, am Stammtisch, in Komissionen und im Parlament. Das Resultat dieses moralisch entrüstet aufgereckten Zeigefingers war eine pekuniäre: Der Pro Helvetia wurden die Mittel um 2 Millionen gekürzt. Was damit erreicht werden sollte war unklar: Weniger Nest beschmutzende Aktivitäten im Ausland ?
Inzwischen hat der in Paris lebende Hirschhorn mehrere internationale Preise gewonnen. Er hat in Boston, New York, Sao Paolo, Wien, Düsseldorf, Toronto und im Centre Pompidou ausgestellt. Und jetzt repräsentiert er offiziell die Schweiz an der prestigeträchtigsten Ausstellung der Welt: Der Biennale von Venedig mit seiner Installation "Crystal of Resistance", die offiziell so beschrieben wird:
"Das Grundmotiv der Arbeit ist der Kristall in seiner Schönheit, seiner Strenge und Offenheit. Über das Motiv des Kristalls will Thomas Hirschhorn zu einer Form finden, die es ermöglich, Neues, noch nicht Dagewesenes zu denken. Zentral steht dabei der Begriff der Wahrheit - eine Wahrheit, die den Tatsachen und den Meinungen zu widerstehen vermag. Für Thomas Hirschhorn stellt sich in der Kunst die Aufgabe, Form zu schaffen und diese in Auseinandersetzung und Konflikt mit der Tatsachenwelt zu behaupten; er begreift Kunst als Widerstand, als Widerstand an sich."
Das klingt irgendwie stimmig, wenn man die Vorgeschichte berücksichtigt. Diese Installation von Tausenden zusammengetragenen Objekte, alle mit Hirschorns bevorzugten Werkstoff, dem braunen Klebeband, zusammengehalten, ist auch eine zur Materie gewordene Demonstration seines Widerstands gegen eine Vereinnahmung durch seinen früheren Tormentator und jetzigen Auftraggeber. Und da nimmt Thomas Hirschhorn kein Blatt vor den Mund.
Hirschhorn: Ich bin nicht hier als offizieller Vertreter der Schweiz. Gar nicht. Ich bin hier als Vertreter meiner selbst. Ich bin nur mir und meiner Vision verpflichtet.
Meisterleistung Schweizer Diplomatie
Doch auch diese Proteste gegen eine Fassade der Harmonie werden geschmeidig integriert. Offenbar tut die offizielle Schweiz etwas, was sie gut kann: die Verneigung vor einem Menschen, den sie vorher verteufelt hatte, ohne das Gesicht zu verlieren.
Die Rede von Urs Staub vom Bundesamt für Kultur zur Eröffnung des Schweizer Pavillions war eine Meisterleistung Schweizer Diplomatie. Er sprach die vergangenen Tumulte nicht an und doch waren sie stets präsent. Er vollführte sprachliche Pirouetten und Sprünge mit einer tänzerischen Virtuosität erinnernd an Nureev in seinen besten Zeiten. Er dribbelte, täuschte und preschte vor wie Ronaldinho. Und er sprach vom Künstler Hirschhorn auch mit echter Herzlichkeit und Wertschätzung. Doch er erinnerte ihn daran, dass, auch wenn er meine, nie die Schweiz, sondern immer nur sich selbst zu vertreten, er halt doch, wo immer er im Ausland ausstelle, als Schweizer wahrgenommen werde und somit ein Aushängeschild für ein Land sei, dessen Pass er immer noch trage.
Hirschhorn schaute finster bei diesen Worten.
Offizielle Umarmung
Doch warum hatte die Kunstkomission Hirschhorn ausgewählt ?
Staub: Ja warum? Er war schon lange im Gespräch. Und dann faszinierte uns sein Konzept. Die Idee, dass sich alle Erfahrungen zu einem inneren Kristall verdichten, der wie ein Seismograph zur Bewertung neuer Erfahrungen dient und somit auch zur Entscheidung: Wann widersetze ich mich wem und wie?
Überzeugt Sie die Umsetzung ?
Staub: Absolut. Er hat sie mit der gewohnten Hartnäckigkeit, Sorgfalt und Willenskraft betrieben. Es ist wirklich eindrücklich.
Die offizielle Umarmung wurde von Bundesrat Didier Burkhalter vollendet, der noch am Morgen weder den Künstler noch sein Werk kannte. Beim Besuch der Installation, hatten die beiden Herrn offenbar einen Draht zueinander. Der Kulturminister, der vorher eine engagierte Rede in drei Sprachen auf die hohe Tradition der freien Expression in der Schweiz gehalten hatte, die Freiheit zur eigenen Meinung in der Rede und in der Kunst - man beachte auch hier die Konnotation -, zeigte sich beeindruckt von Mann und Werk:
Burkhalter: Ich habe gerade Herrn Hirschhorn als gradlinigen und ehrlichen Menschen kennen gelernt, der seine Visionen mit Passion verfolgt. Ich verstehe seine Haltung in der Kreation nur sich selbst und seinen Intentionen verpflichtet zu sein und diese in seiner Weise und allein umsetzen zu wollen. Auch ich schreibe, allerdings nun nur noch selten, und kenne diesen einsamen Prozess.
Und die Installation ?
Burkhalter: Beeindruckend. Und so viele Eindrücke. Einige, wie die sehr starken Fotos, haben mich sofort berührt. Andere, da bin ich sicher, werden in mir wirken und später als Gedanken oder Assoziationen hervorkommen.
Das ist Demokratie
Freut sich Hirschhorn ob soviel offizieller Anerkennung ? Da lacht er schallend und wischt dieses eitle Ansinnen mit einer Handbewegung weg: "Wissen Sie, momentan beschäftigt mich Anderes; wird der Boden hier regelmässig gewischt? Kommt nichts weg? Funktionieren alle Lichter..."
Auch Thomas Hirschhorn ein Bergkristall ?
Übrigens zeigten sich die Italiener sehr beeindruckt von Auftreten Didier Burghalters in Venedig. Dass ein Schweizer Bundesrat Hand in Hand mit seiner Frau allein durch die ‚Giardini’ spazierte, unfassbar. Hier ist das Deplazieren eines Unter-Staatssekretärs schon eine grössere Affaire. Man erinnere sich an Vittorio Sgarbis Besuch am Filmfestival von Locarno: Fünf offizielle Wagen, vier Bodygards, diverse SekretärInnen und Hilfskräfte, und drei Stunden Verspätung.
"Das ist Demokratie", wurde angesichts des attraktiven Bundesratspaares anerkennend gemunkelt.
P.S. Sgarbi übrigens hat getreu seinem Ruf die Biennale mit einem Skandal bereichert. Zur Eröffnung des von Ihm gestalteten italienischen Pavillions, liess er zwei Pornodarsteller auftreten. Der Skandal waren weniger die Darsteller, als die Tatsache, dass die meisten sie nicht sehen konnten. Dabei hätte eigentlich genug Platz sein müssen, denn die Künstler, deren Werke drinnen ausgestellt waren, blieben aus Protest der Eröffnung fern.