Weil sie nicht Krieg führen und keine Schlachten gewinnen können, greifen sie zu einem anderen Mittel: zum Spektakel.
Terroristen sind nicht Feldherren, sie sind Regisseure. In ihren „Stücken“ ertönt allerdings nicht Theaterdonner und fliesst nicht Theaterblut, sondern rattern reale Kalaschnikows und verlieren reale Menschen reales Blut. Gerade dadurch können Terroristen der nachwirkenden öffentlichen Rezeption ihrer Aufführungen sicher sein. Solche Aufführungen brauchen einen Plot, und wie es scheint, kursieren in der einschlägigen Szene entsprechende Skripts dazu. Bei Amedy Coulibaly, einem der Attentäter von Paris, wurde das Buch von Malika El-Aroud gefunden, einer islamistischen Hetz-Harpyie, die auch zeitweilig im freiburgischen Düdingen wohnte: „Die Soldaten des Lichts“. Wie schon der Titel erahnen lässt, ein Propagandawerk übelster Mixtur - eine Tunke aus Erlösungssehnsucht, Befreiungspathos, Gewaltkitsch. Die autobiografische Geschichte handelt von der Märtyrerromanze zweier zum Islam „Bekehrter“, welche die Welt aus der Finsternis retten wollen. Dabei werden Mordtaten durch Mystifizierung des Opfers gerechtfertigt, will heissen: überall erscheint „der“ Islam als „das“ Opfer, also kann eigentlich überall gemordet werden. Der Barmherzige wird’s schon richten. Schreiben sei ihr Dschihad, verkündete El-Aroud in einem Interview: „Schreiben ist auch eine Bombe.“ Oder zumindest eine Lunte. Gut denkbar, dass solche Machwerke sich als Rollenlieferanten für die Performance von Bluttaten verwirrter junger Männer eignen. Jedenfalls ist die Bombe noch nie menschlicher gewesen als in der Gestalt des Terroristen.
Die Position der Schwäche macht den Terroristen stark
Terroristen, schreibt der israelische Historiker Yuval Noah Hariri kürzlich im englischen „Guardian“, kämpfen aus einer Position der Schwäche heraus, und genau das macht sie stark. [1] Sie praktizieren eine Art von Tai Chi, nutzen die Kraft des Gegners zu ihren Gunsten. Je mächtiger der Gegner, desto wirkungsvoller lässt sich dessen Potenz gegen ihn selbst richten – vor allem dann, wenn er falsch reagiert. Terroristen kalkulieren damit. Wenn der wütende Feind sein massives Waffenpotenzial ausspielt, kann dadurch ein viel grösserer Sturm ausgelöst werden, als ihn der Terrorist mit seinen relativ schwachen Mitteln je herbeizuführen vermöchte. Geradezu exemplarisch demonstriert dies die Irakintervention der USA nach dem 11. September. Der „Theatercoup“ - Attacke auf das World Trade Center – führte zu einer – wie sich jetzt immer klarer herausstellt - falschen Reaktion der Bushregierung: Gegenterror des „Shock and Awe“, retrospektiv gesehen nicht nur eine politische Fatalität, sondern eine völkerrechtswidrige Tat, insofern als man sie mit falschen Gründen absegnete und so die Weltöffentlichkeit hinters Licht führte. Aus terroristischer Sicht die bestmögliche Konsequenz: Weltmacht am Pranger, Chaos im Nahen Osten.
Die Politik spielt mit
Exekutionen, Entführungen, Enthauptungen Unschuldiger sind infame Taten. Die Verurteilung fällt leicht. Vor allem unter Politikern, die notgedrungen das Spiel der Terroristen mitspielen müssen und entsprechend theatralisch auftreten. Fast zeitgleich zum Blutbad in Paris massakrierten Mitglieder von Boko Haram in Baga, Nigeria, 2000 Menschen. Viele Spitzenpolitiker reisten nach Paris zur Demonstration gegen den Terror. Das ist vordergründig ehrenwert. Aber warum nicht auch an anderen Orten der Welt gegen den Terror demonstrieren? Weil das Spektakel in Paris den Politikern den Platz an der Sonne der Öffentlichkeit optimal sicherte. Genau das will auch der Extremist. Mit welchem ideologischen Brimborium er sich rechtfertigt – Kalifat, globale Umma, Krieg gegen die Ungläubigen - , er spielt mit im Kampf um Aufmerksamkeit, um Prime Time, Einschaltquote, Schlagzeilenplatz. Erinnert man sich noch: Vor einem Jahr wurden in Nigeria 200 Schülerinnen von Boko Haram entführt. Die Welt war kurz entsetzt, Michelle Obama hatte ihren Betroffenheits-Auftritt vor einem „Bring back our girls“- Plakat. Spektakel auch hier. Die Mädchen sind bis heute nicht nach Hause zurückgekehrt. Der nigerianische Autor Helon Habila stellte kürzlich in einem Interview bitter fest: „Wenn Terroristen in den USA, England oder Deutschland 200 Schülerinnen verschleppt hätten, hätte doch die ganze westliche Welt ihre Armeen samt Drohnen zu ihrer Befreiung geschickt.“ [2]
„Die Gesellschaft des Spektakels“
Seit einiger Zeit schon läuft eine Debatte über die „intrinsische“ Gewalttätigkeit des Islam im Besonderen, der Religion im Allgemeinen. [3] Neben den Fragen nach der religiösen und politischen Motivation der islamistischen Gewalt wäre vielleicht auch ein dritter Beweggrund näher zu bedenken, nämlich jener des medialen Resonanzraums – etwa der Social Media -, in dem die Schreckenstaten ihren wohl noch nie dagewesenen Widerhall finden. Die - fast ausschliesslich – jungen islamistischen Gewalttäter, die oft ohne Aussicht auf eine „zivile“ Zukunft leben, scheinen im Medium des Terrors eine willkommene Gelegenheit zu erblicken, die Aufmerksamkeit zumindest für die berühmten Warholschen 15 Minuten auf sich zu ziehen, indem sie eine blindwütige Bluttat begehen. Das ist Nihilismus, der sich zur Märtyrershow aufplustert. Und er wird so weltbühnentauglich. Auf abartige Weise attraktiv. Er bedient die heute überall verbreitete Wollust, zu schauen und beschaut zu werden. Man fühlt sich unweigerlich erinnert an die „Gesellschaft des Spektakels“ des französischen Philosophen und „Situationisten“ Guy Debord, der ja sowohl auf die Studentenbewegung 1968 wie auf die Postmodernisten einen grossen Einfluss ausgeübt hatte. Zynischerweise könnte man die islamistischen Terroristen heute als die gelehrigsten Schüler Debords bezeichnen. Ihr Berserkertum gehorcht der Logik des Spektakels. Ohne die Gewissheit, dass immer eine entgeisterte Weltöffentlichkeit zusieht, wären ihre Taten das, was sie an sich sind: sinnlose Gewalteruptionen von hochexplosiven Nullen.
Die Attacke auf das staatliche Gewaltmonopol
Ein anderer, beunruhigenderer Aspekt ist die bisher für selbstverständlich gehaltene Errungenschaft moderner liberaler Gesellschaften: Gewaltlosigkeit. Je weniger politische Gewalt in einer Gesellschaft herrscht, desto grösser die traumatisierende Wirkung einer punktuellen Gewalttat. 17 Menschen im „friedlichen“ Paris zu töten erweist sich als weit effektvoller – „spektakulärer“ - als 2000 Menschen im politisch aufgewühlten Nigeria. Das ist die zynische Arithmetik. Die Legitimität des Staates beruht auf seiner Garantie, den öffentlichen Raum von politischer Gewalt frei zu halten. Natürlich kennen auch moderne Gesellschaften Gewalt, häusliche an Frauen und Kindern, Krawall auf der Strasse, Hooliganismus im Fussballstadion. Dabei werden die viel häufigeren „normalen“ Gewaltformen als weniger staatsbedrohlich wahrgenommen als die sporadischen „anomalen“ Schreckenstaten. Wie Harari vermutet, liegt das daran, dass erstere die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols implizite akzeptieren, der islamistische Terror dagegen diese Legitimität explizite und fundamental attackiert, und damit das Nervenzentrum offener Gesellschaften trifft. Harari zieht zum Vergleich die mittelalterliche Gesellschaft herbei. In ihr gingen politische und soziale Händel oft nicht ab ohne ein gewisses Mass an brachialem Einsatz. In der Tat wies die Hau-und-Stech-Kompetenz einen aus, in der Politik mitmischen zu können. Städte, Klöster, Kirchen, Zünfte, Adelsfamilien hielten sich bewaffnete Verbände, die nötigenfalls Machtvorteile sichern konnten. Hier hätte Terror, wie wir ihn heute kennen, kaum einen Platz gefunden.
Aleatorik des Schreckens
Mit ihren „Spektakeln“ schrecken uns also die heutigen Terroristen aus dem Selbstverständnis auf, solchen Zeiten entronnen zu sein. Wir haben uns in offenen Gesellschaften derart an den gewaltfreien Diskurs gewöhnt, dass uns der Preis dafür nicht mehr bewusst ist: seine Verwundbarkeit. Paradoxerweise macht gerade die vom Staat verbürgte Sicherheit ihn verletztlicher gegenüber dem Terror. Das nutzt der Terrorist gnadenlos aus. Seine Totschlagargumente sorgen speziell in Staaten, die sich in der Sicherheit des gewaltfreien Diskurses wiegen, für optimalen Schrecken. Jede blutige Tat verhöhnt den Staat: Schau, du bist nicht im Stande, deine Bürger zu schützen! – Kürzlich äusserte David Cameron eine der üblichen Communique-Plattitüden: „Der Islam ist eine Religion des Friedens (..) Terroristen sind keine Muslime, sondern Monster.“ Bessere Public Relations hätte er den Terroristen nicht erweisen können. Denn sie wollen dämonisiert werden. Sie wollen Hauptakteure im Weltgruselkabinett sein. Und sie wollen, dass wir zuschauen. Je mehr der Geist des Spektakels in unseren Schädeln Platz greift, desto mehr triumphiert der Terrorist mit seiner Aleatorik des Schreckens.
[1] Yuval Noah Harari: The theatre of terror, the guardian, 31. Januar, 2015
[2] Süddeutsche Zeitung, Nr.28, 4. Februar, 2015
[3] Siehe im Besonderen auch den Beitrag von Urs Meier in diesem Journal: Eine Debatte über die Freiheit, journal 21, 14. Januar 2015