Nach Bologna will nun auch Mailand auf dem gesamten Stadtgebiet «Tempo 30» einführen. Damit soll die Verkehrssicherheit erhöht und der grassierenden Luftverschmutzung begegnet werden.
Vor allem im Winter lasten oft gelbliche Nebel auf der lombardischen Hauptstadt. Die Feinstaub-Emissionen liegen deutlich über dem von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Höchstwert. Mailand liegt in einer Region, die zu den am stärksten industrialisierten Gebieten gehört. Verschlimmert wird die Lage, weil die Stadt von den Alpen und dem Apennin umschlossen ist. Deshalb wird sie wenig mit starken Winden «durchlüftet».
Einen wesentlichen Anteil an der Luftverschmutzung hat der Verkehr. Die Agglomeration mit ihren 4,3 Millionen Menschen hat eine der grössten Autodichten Europas. Auf den Autobahnen rund um die Stadt verkehren neben Personenwagen fast pausenlos schwere mit Diesel betriebene Lastwagen.
Radikale Geschwindigkeitsbegrenzung
Der Kampf gegen den Feinstaub hat zwar Früchte getragen. So wurde die Industrie gezwungen, ihre Emissionen zu filtern. Ab und zu werden in der Innenstadt Sonntagsfahrverbote eingeführt. Doch die Massnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die vorgeschriebenen Grenzwerte zu erreichen.
Laut der Umweltorganisation «Legambiente» sind die Autos zu 44 Prozent für die schlechte Luft verantwortlich. Jetzt will man dem Smog mit einer radikalen Geschwindigkeitsbegrenzung für Autofahrer zu Leibe rücken.
Ab kommendem Januar
Am vergangenen Montag hat der Stadtrat von Mailand (Consiglio comunale) den Bürgermeister und die Stadtregierung aufgefordert, in fast der ganzen Stadt Tempo 30 einzuführen. Noch ist nichts entschieden, doch das Vorhaben hat grosse Chancen, angenommen zu werden. Auch deshalb, weil Giuseppe Sala, der «grüne» Bürgermeister von Mailand, dem Anliegen positiv gegenübersteht. Die Verordnung soll ab Januar des nächsten Jahres gelten.
Damit wäre Mailand die zweite grosse italienische Stadt, die Tempo 30 einführt. Entschieden ist bereits, dass ab dem kommenden Juni auf dem fast ganzen Stadtgebiet von Bologna nicht schneller als mit 30 km/h gefahren werden darf. Die Geschwindigkeitsbegrenzung soll sich keineswegs nur auf das historische Zentrum der Stadt beschränken. Nur auf einigen wenigen Hauptverkehrsachsen gilt dann Tempo 50. In einigen Wohnquartieren soll sogar «Tempo 10» eingeführt werden.
Kampf gegen Verkehrsunfälle
Mit der Massnahme soll nicht nur der Feinstaub reduziert, sondern vor allem auch die Verkehrssicherheit erhöht werden. Laut einer Statistik des italienischen Automobilclubs ereignen sich 70 Prozent der Verkehrsunfälle in städtischen Gebieten. Zu den Hauptursachen gehört überhöhte Geschwindigkeit. 44 Prozent der Unfälle mit tödlichem Ausgang ereignen sich in den Städten.
Marco Mazzei, «grüner» Stadtrat von Mailand und passionierter Velofahrer, erklärt, Tempo 30 schütze nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern «verbessert auch die Luftqualität und das Wohlbefinden in der Stadt».
Hunderte Radarkameras
Auch Turin, die italienische Stadt mit der grössten Luftverschmutzung, hat sich grundsätzlich für Tempo 30 ausgesprochen. Allerdings ist noch offen, wann dies geschehen soll.
Die Einführung von Tempo 30 kostet viele Millionen. Verwendet wird das Geld für Aufklärungskampagnen, bauliche Veränderungen in den Strassen, neue Strassenschilder – und Hunderte Radarkameras.
Kritik von ganz rechts
Natürlich stösst die flächendeckende Einführung von Tempo 30 nicht nur auf Begeisterung. Vor allem rechtspopulistische Kreise machen dagegen mobil. Infrastrukturminister Matteo Salvini twitterte am vergangenen Montag: «Ich erinnere den Bürgermeister und die Sozialdemokraten daran, dass die Menschen in Mailand auch arbeiten möchten.»
«Ja, wir möchten auch arbeiten», hiess es in einer Antwort in den sozialen Medien. «Aber wir möchten auch gesund bleiben und nicht im Verkehr umkommen.»
40 Minuten früher aufstehen
In einem Mailänder Lokalradio rechnete ein besorgter Bürger vor: «Am Morgen brauche ich über anderthalb Stunden, um mit dem Auto zur Arbeit zu gelangen. Bei Tempo 30 müsste ich 40 Minuten früher aufstehen.» Beklagt wird allgemein, dass viele das Auto brauchen, weil der öffentliche Verkehr ungenügend ist.
Der Stadtrat von Bologna ist sich bewusst, dass die Einführung von Tempo 30 umstritten ist. Eingefahrene Gewohnheiten seien eben schwer zu ändern. «Aber es ist wahrscheinlich der richtige Weg, um Unfälle zu reduzieren und die Sicherheit zu erhöhen.»
In Rom, der Hauptstadt, ist die Einführung von «Tempo 30» kein Thema. Das sei auch nicht nötig, witzelt ein Römer. «In der Innenstadt ist das Verkehrschaos derart gewaltig, dass ohnehin nur im Schritttempo gefahren werden kann.»