Der am Donnerstag von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) an die 35 Mitglieder ihres Gouverneursrats übergebene jüngste Bericht über das iranische Nuklearprogramm war mit grosser Spannung erwartet worden, weil die israelische Regierung alarmierende Meldungen in die Welt gesetzt hatte. Danach seien US-Geheimdienste zu der Erkenntnis gelangt, dass Iran „überraschende und bedeutende Fortschritte“ auf dem Weg zur Atombombe gemacht habe. Laut Verteidigungsminister Ehud Barack könne Israel mit einem Präventivschlag nicht zuwarten, bis die Iraner ihre derzeit noch verwundbaren Uran-Anreicherungsanlagen angriffssicher in tiefen Bunkern untergebracht haben.
Der IAEO-Bericht stützt dieses Szenario nicht. Zwar hat Iran seit Mai mehr als tausend zusätzliche Gaszentrifugen in den ins Gebirge gesprengten Hallen bei Fordo aufgestellt. Von diesen neuen Schleudern laufen aber erst 696. Insgesamt stehen in Fordo jetzt 2140 Zentrifugen. Der Grossteil der Uran-Anreicherung findet weiterhin in den zwei Anlagen von Natanz mit ihren 9330 Zentrifugen statt.
Bisher produzierten die iranischen Isotopentrennanlagen 6876 Kilo auf 3, 5 bis fünf Prozent angereichertes und 189,4 Kilo auf 20 Prozent angereichertes Uran-Hexafluorid. Theoretisch liessen sich damit sechs Atomsprengsätze herstellen – das Material müsste aber auf mindestens 90 Prozent mit dem spaltbaren Isotopen U-235 angereichert werden, wohin noch ein weiter Weg ist.
Monatlich stellt Iran im Schnitt 14,8 Kilo auf 20 Prozent angereichertes Uran her. Die Kurve ist leicht steigend. Wenn alle seit Mai in Fordo installierten Zentrifugen laufen, hätte dies eine Verdoppelung der Produktionskapazität zur Folge. Die Inspektoren der IAEO stellten aber eine Reihe von technischen Rückschlägen fest, die auf Pannen, Ersatzteilprobleme oder Sabotageakte hindeuten.
Obgleich vorerst kein Grund zur Panik wegen des iranischen Nuklearprogramms besteht, bleibt die Frage nach dessen Finalitäten unbeantwortet. Die erzeugte Menge von angereichertem Uran übersteigt bei weitem den Bedarf einer angeblich rein friedlichen Nutzung. Bis wohin will die iranische Führung diesen Unfug treiben, für den das Land mit schmerzhaften Sanktionen der UNO bestraft wird? Die pathetische Beteuerung des geistigen Oberhaupts der Islamischen Republik, Ali Khamenei, am Gipfel der blockfreien Staaten in Teheran, wonach die Entwicklung von Atomwaffen eine „grosse und unverzeihliche Sünde“ darstelle, wirkt nicht ganz glaubhaft.
Zweifel an den hehren Absichten Teheran weckt auch der Bau eines Schwerwasserreaktors in Arak, der zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium verwendet werden könnte. Der IAEO-Bericht stellt fest, dass die Bauarbeiten trotz des vom Weltsicherheitsrat ausgesprochenen Verbots weitergehen und vor Ende 2013 abgeschlossen sein sollen.
Besonders schlechtes Licht auf den Umgang der Iraner mit der Transparenz wirft ihr offensichtliches Bemühen, frühere Experimente mit Atomwaffenkomponenten zu verheimlichen. Westliche Geheimdienste sind sich ziemlich sicher, dass in einer Militäranlage bei Partschin südlich von Teheran Supersprengstoffe als mögliche Atombombenzünder getestet wurden. Diese Experimente wurden schon vor Jahren eingestellt, doch die iranischen Behörden weigern sich beharrlich, den IAEO-Inspektoren Zugang zu den leeren Hallen zu gewähren.
Anfang des Jahres zeigten sich die Iraner zwar bereit, das Gelände nach verbotenen Tätigkeiten durchsuchen zu lassen. Sie zogen aber die Verhandlungen über ein „strukturiertes Herangehen“ der IAEO mit immer neuen Vorwänden in die Länge. Aufnahmen mittels Satelliten dokumentierten, dass mittlerweile zwei Gebäude verschwanden, andere gründlich mit Flüssigkeiten ausgewaschen wurden. Sogar reichlich Erde wurde abgetragen, um alle Spurenelemente zu entfernen. Zuletzt bedeckten die Iraner die verbliebenen Hallen mit rosafarbenen Plachen; vermutlich um die Reinigungsarbeiten zu vor den Kameras der Satelliten zu verbergen.
„Trotz des am 12. Januar begonnenen intensiven Dialogs zwischen der Agentur und Iran wurden keine konkreten Ergebnisse erzielt“, heisst es im IAEO-Bericht, der an den Weltsicherheitsrat geht. Sein Inhalt erfreut weder die iranische noch die israelische Führung.