Ein erstes Ergebnis hat der am vergangenen Wochenende vollzogene Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC) schon gezeitigt: Die israelische Militärjustiz eröffnete ein Dutzend Verfahren wegen möglicher Kriegsverbrechen im jüngsten Gaza-Feldzug. Generalanwalt Danny Efroni macht kein Geheimnis daraus, dass diese Untersuchungen palästinensischen Klagen beim Haager Tribunal die Spitze brechen sollen.
Netanyahus Gegenzüge
Denn das Statut des ICC sieht Prozesse nur für Fälle vor, bei denen ein Staat nicht fähig oder nicht willens ist, von seinen Bürgern begangene schwere Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord selber zu ahnden.
Der Beitritt Palästinas zum Weltstrafgerichtshof wird in 60 Tagen rechtskräftig – zwei Wochen vor den vorgezogenen Wahlen in Israel am 17. März. Premierminister Benjamin Netanyahu wird die Empörung zahlreicher Mitbürger nutzen, um seine Mehrheit im Parlament auszubauen. Er lobte die israelischen Verteidigungskräfte als die „höchstmoralische Armee der Welt“ und schwor, „niemals einen israelischen Soldaten vor ein internationales Gericht zerren zu lassen“.
Geringer Druck auf Israel
Dennoch ist jetzt in Israel eine hitzige Debatte über den Umgang mit dem Kriegsrecht ausgebrochen. Viele Offiziere befürchten eine Schwächung der Kampfmoral, wenn der Staat seine Soldaten nicht umfassend schützt. Nach dem vorletzten Gazakrieg 2009 wurden ganze vier israelische Armeeangehörige wegen Verfehlungen vor Gericht gestellt. Die höchste verhängte Strafe war dreieinhalb Monate Haft.
Nach den Kampfhandlungen des abgelaufenen Jahres, die 50 Tage dauerten, legten im Gazastreifen tätige Hilfswerke der israelischen Militärjustiz rund 120 Berichte über Verletzungen der Genfer Konventionen vor. Nur ein Zehntel davon war dem Generalanwalt eine Untersuchung wert.
Die israelische Regierung kann den Prozeduren des Weltstrafgerichtshofs mit einiger Ruhe entgegensehen. Seit Palästina am 29. November 2012 von der Uno-Generalversammlung als „Staat mit Beobachterstatus“ anerkannt wurde, erfüllt das unfertige Gebilde zwar die Kriterien, als 123. Mitglied dem Weltstrafgerichtshof beizutreten. Anklagen müssen aber von der Chefanklägerin des ICC, Fatou Bensouda, gut geheissen werden. Die frühere Justizministerin des afrikanischen Kleinstaats Gambia entscheidet dann über die Eröffnung eines Prozesses.
Das Kalkül von Mahmoud Abbas
Ein wichtiges Wort mitzureden hat der Weltsicherheitsrat, dessen fünf ständige Mitglieder (USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien) von ihrem Vetorecht Gebrauch machen können. Der bedrängte Präsident der Palästinensischen Behörde, Mahmoud Abbas, ist sich dieser Hindernisse natürlich bewusst. Offenbar geht es ihm in erster Linie darum, auf der weltweiten Sympathiewelle für die Sache der Palästinenser zu surfen und den politischen Druck auf Israel zu verstärken.
Israel ist wie die USA kein Mitglied des ICC und daher nicht dessen Regeln unterworfen. Zwar hat US-Präsident Bill Clinton das Römer Statut am 31. Dezember 2000 als letzte Amtshandlung unterzeichnet, gefolgt von seinem damaligen israelischen Kollegen. Beide nutzten das Stichdatum, um bei der Ausgestaltung des Tribunals mitzumischen. George W. Bush „tilgte“ aber die Unterschrift Clintons und auch Israel hat das Römer Statut nie ratifiziert.
Taktische Stümperei oder Deal hinter den Kulissen?
Abbas rechtfertigt den Beitritt zum ICC damit, dass der Uno-Sicherheitsrat die Palästinenser „fallen liess“. Er bezieht sich auf einen Resolutionsentwurf, der die Räumung aller besetzten Gebiete bis Ende 2017 forderte. Bei der Abstimmung am 30. Dezember verfehlte der Antrag die erforderliche Mehrheit um eine Stimme. Wenn die Palästinenser zwei Tage gewartet hätten, wäre die Resolution mühelos durchgekommen, denn am 1. Januar wechselten fünf Ratsmitglieder. Die neue Zusammensetzung ist überwiegend pro-palästinensisch. Malaysia ersetzte Südkorea, Venezuela Argentinien.
Versierte Diplomaten glauben nicht an eine Stümperei der Palästinenser-Führung. Sie sind überzeugt, dass es zwischen den USA und arabischen Ländern eine Absprache gab. Letztere wollten Barack Obama davor bewahren, unwillig ein Veto zugunsten Israels einlegen zu müssen. So wurde ein Konflikt mit Washington vermieden, der den Palästinensern keinen Deut genützt hätte.
Obamas milde Reaktion
Obama bedankte sich artig auf seine Weise. Die Kritik der US-Regierung am gescheiterten Vorpreschen von Abbas in der Uno fiel sehr milde aus. Das State Department stellte bloss fest, dass der Beitritt Palästinas zum Weltstrafgerichtshof „stark die Atmosphäre beschädigt, in der die Menschen letztlich Frieden schliessen müssen“.
Eine Kürzung ihrer Beiträge zum Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) und dem Haushalt der palästinensischen Behörde erwägen die USA derzeit nicht – laut Presseberichten zur grossen Enttäuschung von Netanyahu, der seinerseits Hamas-Vertreter wegen Kriegsverbrechen anklagen will.
Der israelische Premier setzt Hamas mit dem „Islamischen Staat“ in Syrien und im Nordirak gleich. Der Palästinenser-Führung in Ramallah wirft er Komplizenschaft mit Hamas vor. Die Sprecherin des US-Aussenamtes, Jen Psaki, stellte dazu kühl fest, dass in der palästinensischen Übergangsregierung kein einziger Minister sitze, der Hamas angehört.