Syrien hat am 14. September das Verbot der Anwendung, Hrerstellung und Lagerung chemischer Waffen ratifiziert. Die Mitgliedschaft trat in einem beschleunigten Verfahren 30 Tage später in Kraft. Ihren Verpflichtungen entsprechend lieferte die syrische Regierung dem Überwachungsorgan der C-Waffen-Konvention (OPCW) einen detaillierten Bericht von mehr als 700 Seiten, in dem sie alle in ihrem Besitz befindlichen chemischen Kampfstoffe, deren Grundsubstanzen, die Misch- und Abfüllanlagen sowie die Munition deklariert.
23 Standorte deklariert
Die OPCW mit Sitz in Den Haag behandelt den Bericht als vertrauliche Angelegenheit, konnte aber nicht verhindern, dass einige Daten an die Öffentlichkeit gelangten. Danach deklarierten die Syrer 23 Standorte, auf denen sich 41 Anlagen befinden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um 18 Fabriken chemischer Kampfstoffe, zwölf Waffenlagern, acht Fahrzeugen zum Füllen von Munition und drei Hilfsdiensten.
Vielleicht haben die Syrer nicht die ganze Wahrheit preisgegeben. Bisher hat jedoch noch keines der anderen 189 Mitglieder der C-Waffen-Konvention Zweifel an der Vollständigkeit der Angaben geäussert.
1290 Tonnen Chemie-Kampfstoffe
Laut ihrer Bestandsaufnahme verfügen die syrischen Streitkräfte über rund 1000 Tonnen chemischer Kampfstoffe, die unter die Kategorie 1 des C-Waffen-Verbots fallen: die Nervengase Sarin, Soman, Tabun und VX sowie ätzende Substanzen wie Senfgas und Lewisite. Diese Produkte haben keinerlei zivile Verwendungszwecke und sind daher international geächtet.
Neben den C-Waffen der Kategorie 1 deklarierte Damaskus den Besitz von 290 Tonnen ebenfalls verbotener Kampfstoffe der Kategorie 2, zu denen Amiton und BZ gehören. Ein Teil der in der Kategorie 2 aufgelisteten Chemikalien findet auch zivile Verwendung („dual use“), etwa zur Herstellung von Insektiziden. Ihre Kontrolle ist daher komplizierter. Vom C-Waffen-Verbot ganz ausgenommen sind Substanzen mit vorübergehender lähmender Wirkung, die von der Polizei zur Kontrolle gewalttätiger Demonstrationen und von Aufruhr eingesetzt werden dürfen. Da waren sich alle Regierungen bei den Verhandlungen über die 1994 fertiggestellte Konvention einig
Brachiale Mittel zur Zerstörung der Einrichtungen
In ihrem Bericht an die OPCW deklarierte die syrische Regierung 1230 Stück speziell für den Einsatz chemischer Kampfstoffe geschaffene Munition. Dabei handelt es sich um Artilleriegeschosse, Mörsergranaten, Raketen und Bomben, die mit einem Zerstäubermechanismus ausgestattet sind. Diese Munition sei aber nicht gefüllt, erklären die Syrer.
In einer gemeinsamen Aktion haben die Waffenexperten der OPCW und der UNO nun die Misch- und Abfüllanlagen in 39 der 41 deklarierten Produktionsstätten zerstört. Mit Baggern, Kreissägen und anderen brachialen Mitteln wurden die Einrichtungen unbrauchbar gemacht, wie OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü am Donnerstag meldete.
Erfolglose Verhandlungen mit den Aufständischen
Zu zwei der von Syrien angegebenen C-Waffen-Fabriken konnten die Inspektoren aus Sicherheitsgründen nicht vordringen. Sie befinden sich nämlich in umkämpften Gebieten, offenbar am Rand der Stadt Safira südlich von Aleppo, wo westliche Geheimdienste schon vor langer Zeit ein bedeutendes Produktions- und Lagerzentrum chemischer Waffen ausgemacht haben. Verhandlungen mit den Aufständischen über eine Waffenruhe während der Arbeiten des Inspektorenteams blieben erfolglos. Die syrische Regierung versichert jedoch, dass die tödlichen Gemische und ihre Trägerwaffen in andere deklarierte Stätten verlegt worden seien.
Alle syrischen C-Waffen-Bestände einschliesslich ihrer Ausgangsprodukte müssen bis zum 30. Juni 2014 unschädlich gemacht werden. Am 15. November wird das Führungsgremium der OPCW in Den Haag zusammentreten, um über einen von Syrien vorgeschlagenen Plan zur Vernichtung des gesamten C-Waffen-Arsenals zu beraten. Für die Umsetzung des in Etappen unterteilten Plans hat der Weltsicherheitsrat dem UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon die Rekrutierung von bis zu 100 Fachleuten genehmigt.
Wie kamen die C-Waffen nach Syrien?
Die USA und Russland ziehen im Moment am gleichen Strang, aber mit unterschiedlichen Zielen. Die Frage, wie die C-Waffen nach Syrien gelangten, wird dabei ausgeklammert. Für Syrien war der Besitz chemischer Waffen ursprünglich ein Abschreckungsmittel gegen Israel, das Atomwaffen besitzt und auch der C-Waffen-Konvention nicht beigetreten ist. Die Sowjetunion belieferte ihren Verbündeten im Nahen Osten mit dem nötigen Material. Dazu gibt es Aussagen von russischen Fachleuten, die damals für die sowjetische Rüstungsindustrie arbeiteten.
Nach dem Ende der Sowjetunion führte die Russische Föderation die Zusammenarbeit mit Syrien weiter. Die Syrer wurden mit russischer Hilfe fähig, die chemischen Kampfstoffe selber zu erzeugen. Wenn Sprecher der russischen Regierung jetzt erklären, Moskau liefere Damaskus keine chemischen Waffen, so stimmt das streng genommen. Die Russen haben nur leere Geschosse nach Syrien verschifft, was billiger und gefahrloser ist als der Transport einsatzfähiger Munition. Der todbringende Inhalt wird seit 1993 mit technischer Unterstützung der Russen in Syrien selbst hergestellt.
Noch kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs bezog Syrien ungiftige Grundsubstanzen für seine C-Waffen aus Deutschland und Grossbritannien für angeblich friedliche Zwecke. Die Serienproduktion der relativ komplizierten Trägerwaffen überstieg aber die industrielle Kapazität der Syrer. Für die Russen war die Lieferung von ungefähr tausend Stück Munition ein Klacks. Sie haben nach dem Abschluss der C-Waffen-Konvention den Besitz von fast 40.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe deklariert, von denen sie bisher erst 57 Prozent vernichtet haben.