Doch die Genfer Friedensverhandlungen sind seit April unterbrochen. Uno-Vermittler Staffan de Mistura hält formal an einer Wiederaufnahme Ende August fest. „Nächste Woche wird entscheidend“, erklärt er, doch niemand glaubt daran.
Putin und Erdogan ziehen nicht am gleichen Strick
De Mistura will eine Bewegung in den festgefahrenen Fronten durch das Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen türkischem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan diese Woche in Sankt Petersburg erkennen. Doch die beiden starken Männer redeten hauptsächlich über die ramponierten Handelsbeziehungen. Der Syrienkonflikt wurde nur am Rande besprochen.
Putin und Erdogan seien sich in den Fragen eines Waffenstillstands in Syrien, der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung und einer politischen Lösung näher gekommen, sagte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusogli nach dem Gipfel. Einzelheiten nannte er keine, und das hat seinen Grund.
Aleppo als Lackmusprobe
Moskau und Ankara vertreten in den Grundfragen weiterhin gegensätzliche Positionen. Russland unterstützt die syrischen Kurden und will diese an den Friedensverhandlungen beteiligen. Die Türkei widersetzt sich vehement jeder Aufwertung kurdischer Organisationen, ob sie im eigenen Land, im Irak oder in Syrien beheimatet sind. Die türkische Regierung fordert auch die Absetzung des syrischen Präsidenten Baschar al-Asad, der von Russland und Iran tatkräftig unterstützt wird.
Die Lackmusprobe für die Möglichkeit sinnvoller Verhandlungen ist der Umgang mit der humanitären Katastrophe in der einst grössten Stadt Syriens, Aleppo. Der östliche Teil Aleppos wird von Aufständischen gehalten, den westlichen kontrollieren die Regierungstruppen. Die syrische und die russische Luftwaffe führen Dauerangriffe gegen den Ostteil, in dem rund 300 000 Zivilisten eingeschlossen sind. Die Zerstörung der Wasserleitungen und des Stromnetzes bringt die Bewohner der ganzen Stadt in Todesgefahr.
Beratungen der „humanitären Taskforce“
Angesichts des drohenden Völkermords haben die Russen jetzt vorgeschlagen, die Luftangriffe jeden Tag drei Stunden lang einzustellen, um den internationalen Hilfswerken die Versorgung der Zivilbevölkerung mit dem Nötigsten zu erlauben. Die Verantwortlichen der Uno haben diesen Vorschlag zurückgewiesen. Sie sagen, dass für den Transport und die Verteilung ausreichender Hilfsgüter jeweils mindestens 48 Stunden erforderlich seien.
Der Leiter der Uno-Nothilfe für Syrien, der Norweger Jan Egeland, gab am Donnerstag bekannt, dass die Russen bereit seien, ihren Vorschlag nachzubessern. Er machte seine Aussage nach Beratungen der von der Syrienkonferenz eingesetzten „humanitären Taskforce“, der auch Russland und die USA angehören. Diese Gruppe tritt regelmässig hinter geschlossenen Türen im Genfer „Palais des Nations“ zusammen.
De Misturas enttäuschte Erklärung in Genf
Eine weitere „Taskforce“ unter dem Vorsitz der USA und Russland beschäftigt sich mit der Wiederherstellung der gebrochenen Waffenruhe. Washington und Moskau verhandeln auch über einen militärischen Datenaustausch, um ihren Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und andere Dschihadistengruppen abzustimmen. Die Kanäle zwischen den Kriegsparteien und ihren ausländischen Unterstützern bleiben offen und werden auch intensiv genutzt. So lange jedoch kein politischer Wille aller Seiten besteht, den Krieg zu beenden, werden sich die Gespräche im Kreis drehen.
Vor der Presse in Genf bedauerte Staffan de Mistura am Donnerstag, dass die mögliche Wiederaufnahme der politischen Verhandlungen über die Zukunft Syriens erneut alle Kriegsparteien zum Versuch verleitet, ihre militärischen und logistischen Stellungen zu verbessern. „Umgekehrt hält kein Waffenstillstand und keine militärische Deeskalation, wenn sie nicht von einem politischen Prozess begleitet werden“, sagte de Mistura. Für die derzeitigen brutalen Kämpfe machte er jene Kräfte verantwortlich, „die nicht wollen, dass die Friedensverhandlungen zum Ziel führen.“ Wer das ist, liess der Berufsdiplomat offen.