Mit raffiniert konzipierten Kampagnen und Neuheiten sorgt Swatch seit ihrem Bestehen, das heisst seit bald drei Jahrzehnten, immer wieder für Aufsehen. Und dies gelang auch wieder diesen Herbst mit den neusten Kollektionen, die auf den Markt kamen. Im Vordergrund steht eine Digitaluhr, die Swatch Screen 2011. Versuche im Digitalbereich hat es schon einmal gegeben. Der neue Zeitmesser weicht jedoch in vielfacher Hinsicht von den bisherigen Modellen grundlegend ab. Jung, frech, provozierend kommt die Uhr daher, so wie man es in gewohnter Weise von einer Swatch erwartet. Verblüffend auffallend und neu ist die Form. Das klassische runde Zifferblatt mit Analoganzeige ist einem oval-rechteckigen Touchdisplay für die LCD-Zeitangabe gewichen. Die Uhr bringt das digitale Zeitalter an das Handgelenk. Die verschiedenen Funktionen (zwei Zeitzonen, Datum, Chrono, Timer, Wecker usw.) werden durch ein leichtes Antippen des geschwungenen Displays aus Kunststoffglas blitzschnell aktiviert. Die farbige LCD-Anzeige mit grossen arabischen Ziffern sowie die integrierte Hintergrundbeleuchtung prägen die moderne Form der Uhr. Noch keine Swatch war so unübersehbar als Plastikuhr erkennbar wie dieses neue Modell. Kunststoff ist schliesslich das eigentliche Markenzeichen der Swatch. Noch nie wurde dieser Kunststoff in so vollendeter Schönheit und Eleganz zu einer Uhr geformt.
Mit der Swatch Touch 2011 zeichnet sich im Gesamtbild eine gewisse Wende ab. Wie weit hier bewusst oder gar unbewusst strategisches Denken wegweisend war, bleibe dahingestellt. Mutig jedenfalls wurde das klassische Swatch-Styling zeitgemäss aufgefrischt. Bei Swatch wird nicht verschwiegen, dass mit der neuen Technologie ein direkter Bezug zur neuen Kommunikationsepoche und ihrer Generation, zur BlackBerry-, iPad-, iPhone- oder Tablets-Generation, gewagt wurde. Weltweit sei die Uhr auch sogleich zur bestverkauften Swatch-Uhr geworden, zu einem eigentlichen Leaderprodukt. Nicht ausgeschlossen wird zudem bei Swatch, dass in Zukunft die digitale Zeitangabe vermehrt berücksichtigt werde.
„Es gibt neue Methoden und Arten der Zeitmessung, die wir dem Kunden nicht vorenthalten dürfen“, sagte schon 1983 Ernst Thomke, der damalige Swatch Chef. Und er mahnte: „Heute müssen die Bedürfnisse der Konsumenten von morgen erkannt werden“. Die Swatch-Hersteller sind dieser Firmenphilosophie bis heute nahtlos treu geblieben. Das beweisen sie mit einer weiteren Neuheit, die ebenfalls für eine Belebung des Weihnachtsgeschäfts beitragen dürfte. Es handelt sich um die Kidrobot-Kollektion. In Zusammenarbeit mit der berühmten amerikanischen Designerspielzeug- und Lifestyl-Marke ist ein äusserst farbenfrohes, faszinierendes Produkt entstanden. Die acht Gent-Modelle werden mit den lustigen Dunnys geliefert. Dunny, das sind beliebte und ebenfalls berühmte hasenähnliche, 7,6 cm grosse Figuren aus Vinyl von Kidrobot. Acht internationale Künstler haben jeweils Kidrobot-Swatch-Modelle mit den dazugehörenden Dunny im passenden Design gestaltet.
Ein gesellschaftliches Phänomen
Die Swatch wurde vor 30 Jahre Jahren entwickelt. Am 1. März 1983 wurde in Zürich die erste Kollektion aus zwölf Modellen vorgestellt. Sie löste sogleich eine Begeisterungswelle aus. Die Uhr war über Nacht zu einem begehrten Modeartikel geworden. Das äussere Erscheinungsbild widerspiegelt laufend den gesellschaftlichen Wandel. Der Stil zeugt von der Modernität der Zeit. Sie ist viel mehr als nur ein Zeitmesser. Sie vermittelt ein neues Lebensgefühl, Lebensfreude. Sie ist Ausdruck einer Lebensphilosophie, sie weckt Emotionen.
Die Swatch ist zu einem eigentlichen gesellschaftlichen Phänomen geworden. Rasch erlangte sie Statussymbol. Sie wirkt heute beinahe so vornehm wie eine Edel-Marke. Dank ihrer einmaligen Technologie und ihrer Konzeption, ihres unverwechselbaren Stils und unabhängig von ihrer niedrigen Preisklasse (Basismodelle noch heute unter 100 Franken) fand sie einen Platz im oberen Segment. Wenn ein Michel Parmigiani, ein Meister der Uhrmacherkunst und Gründer der gleichnamigen Luxus- und Prestigemarke, nicht zögerte, wie er mir einmal sagte, die Swatch, der „Haute Horlogerie“ zuzuordnen, so spricht das für sich.
Der Wunderzeitmesser ist aber auch ein Massenprodukt, das so konzipiert ist und so angeboten wird, als sei es für jede Persönlichkeit massgeschneidert worden. Vielleicht die einzige Uhr auf der Welt, die sich sogar ohne Werk, aber mit gleichem Erfolg verkaufen liesse... Die Vielfalt und Vielzahl der Swatch-Kreationen lassen sich heute kaum noch überblicken. Pop Swatch, Maxi Swatch, Swatch Chrono (die erste multifunktionale Swatch), Swatch Scuba (für Taucher), Swatch Irony, Swatch Beat (Internet-Zeit-Einteilung) Flik-Flak, (die Swatch für Kinder) u.a.: Alles Namen, die auf die ungewöhnliche Entwicklung der verrücktesten Uhr hinweisen. Momentan werden monatlich eine bis vier Kollektionen auf den Markt gebracht, wie es bei Swatch heisst.
Bald eine halbe Milliarde
Die Swatch wird in einem hochmodernisierten, vollautomatischen Fabrikationsprozess hergestellt. Montage und Nachkontrolle entfallen. Schalen und Werk bilden eine geschlossene Einheit. Wenn die Uhr an der Endstation der Fertigungstrasse im Eta-Werk in Grenchen abgenommen wird, ist sie funktionstüchtig, ganggenau, wasserdicht, verkaufsbereit. Der ungewöhnliche Erfolg widerspiegelt sich auch in den Produktionszahlen. Das Superding war noch kein Jahr im Laden, und die erste Million wurde gefeiert. Im Herbst 1985, nur zweieinhalb Jahre nach der Markteinführung, wurde die 10-millionste Swatch produziert. 1988 waren es bereits 50 Millionen Stück. Am 7. April 1991, die Uhr war noch nicht zehnjährig, konnte der legendäre, charismatische Swatch-Chef Nicolas Hayek (1928 – 2010) die 100-millionste Uhr entgegennehmen. Im Jahr 2006 konnte die Zahl von 333 Millionen Stück bekanntgegeben werden. Und wie viel sind es heute? Nun, neue Produktionszahlen werden bei Swatch gegenwärtig nicht kommuniziert, wie in Biel präzisiert wird. Wann die halbe Milliarde gefeiert wird, bleibt also ein wohlgehütetes Geheimnis.
Im Laufe der Jahre wurde ein weltumspannendes Verkaufsnetz aufgebaut. Etwa 900 Swatch Store sind heute weltweit in Betrieb. 1996 hat Nicolas Hayek den ersten Megastore an der Fifth Avenue in New York eingeweiht. Im Jahr 2000 wurde die Swatch-Boutique an der Place Vendôme in Paris eröffnet. Swatch steht eben auch für „Luxus für alle“. Neben diesen Läden, die nur Swatch gehören, gibt es unzählige weitere Verkaufspunkte.
Swatchmania
Auf grosse Aufmerksamkeit stossen immer wieder die Spezial Swatch, die zum Valentinstag, zum Muttertag, zu Weihnachten usw. angeboten werden. Es sind Uhren, die von berühmten Künstlern kreiert wurden und deren Originalität und Einmaligkeit die Herzen der Sammler höher schlagen lassen. Längstens ist eine regelrechte Swatchmania ausgebrochen. Sammler und Fans haben im „Swatch the Club – all over the World“ ihr Zuhause gefunden.
Ganze Sammlungen wurden aufgebaut, wie jene des Innerschweizer Ehepaars Peter und Linda Blum. Nach dem Tod des Industriellen hat sich Linda Blum entschlossen, sich von der Sammlung zu trennen. Sie bestand aus insgesamt 4363 Swatch, darunter die allerersten Testmodelle, zahlreiche Prototypen und mehrere Uhren, die von Künstlern geschaffen wurden wie kiki Picasso, Keith Haring, Alfred Hofkunst, Sam Francis usw. Die Sammlung wurde Ende November vom Auktionshaus Phillips de Pury in Hongkong versteigert. Ein chinesischer Sammler erhielt den Zuschlag. Er bezahlte laut Pressemeldungen umgerechnet 6,14 Mio. Franken.
Kind der Krise
In allererster Linie ist die Swatch ein Kind der Krise. Die schweizerische Uhrenindustrie steckte in den 70er Jahren in einer tiefen Krise. Verkrustete Managements, verpasste technologische Entwicklungen und Fehlentscheidungen (die eigens erfundene und konzipierte Quarzuhr wurde anfangs den Japanern überlassen!), ein unheilvolles Selbstbewusstsein, das viele Zukunftswege verbarrikadierte und allgemeine wirtschaftliche Probleme brachten das regelmässige Ticken ins Stocken und Stottern. Die grössten Uhrenkonzerne waren am Ende. Einerseits die Allgemeine Schweizerische Uhrenindustrie AG/ASUAG mit Sitz in Biel, ursprünglich der führende Rohwerkhersteller, andererseits die Société Suisse de l’Industrie Horlogère SSIH (bekannt als Omega-Tissot Gruppe). Beide waren im höchsten Grade verschuldet
Die ASUAG hatte noch ein Befreiungs-Ass bereit. Ende der 70er Jahre war es den Ingenieuren der Eta in Grenchen (SO) gelungen, die flachste Uhr der Welt zu produzieren (knapp zwei Millimeter!) und sich den Japanern wieder überlegen zu zeigen. Delirium Tremens hiess die Uhr. Die ihr zugrunde liegende, in allen Bereichen absolut neuartige Technologie öffnete neue Möglichkeiten. Die Zeit der Erneuerung war auf allen Ebenen angebrochen. Im Herbst 1979 erteilten die ASUAG-Konzernleitung und das Präsidium dem Entwicklungs- und Forschungsteam der ETA einen Projektauftrag. Die Vorgabe war präzis: Entwicklung einer möglichst kostengünstigen Quarz-Uhr mit vereinfachtem Antriebs- und Zeigerstellmechanismus, Kunststoffgehäuse von einer Seite montierbar mit einer einheitlichen Basis für Damen- und Herrenmodelle. Höchste Qualität bei tiefstem Preis galt als oberstes Gebot. Die Herausforderung war gewaltig. Eine neue Uhrentechnologie war gefragt, neue Produktionsverfahren für einen komplett neu konzipierten Uhrentyp mussten geschaffen werden. Und es brauchte neue Marketingstrategien.
An der Spitze des Entwicklungsteams bei der Eta stand Ernst Thomke, der frühere Mechanikerlehrling im Hause, der anschliessend Naturwissenschaft studierte, in der Krebsforschung und der Pharmabranche tätig war. Zurück in der kranken Uhrenindustrie entpuppte er sich als erfolgreicher Gesundheiler. In einer Rekordzeit von zwei Jahren brachte er mit seinem Team die Swatch zur Produktionsreife. Mitte 1981 hatte die Uhr praktisch ihre Form gefunden und auch der Name stand fest: Swatch, für Swiss Watch.
Zugpferd für Gruppe und Branche
Die ASUAG war allerdings nicht mehr zu retten. Es war auch nicht mehr entscheidend. Die Banken hatten inzwischen in beiden Gruppen das Sagen. Die Weichen waren gestellt. Und als die Hayek Engineering AG in Zürich, den Auftrag erhalten hatte, die angeschlagene ASUAG-Gruppe (und die SSIH) unter die Lupe zu nehmen, war die Swatch bereits in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase. Hayek hatte die Bedeutung des in Planung befindlichen neuen Produkts sofort erkannt. Die Swatch wurde als „wesentlicher Bestandteil der Vorwärtsstrategie“ bezeichnet. Auch die Zukunftslösung war Hayek klar. Die Schlussfolgerung seiner Crash-Studie lautete: Zusammenlegung der beiden Gruppen. Die Fusion wurde 1985 effektiv. Die neue Gesellschaft hiess Société Suisse de Microelectronique et d’Horlogerie/SMH (Gesellschaft für Mikroelektronik und Uhrenindustrie AG), die später in Swatch Group AG umgetauft wurde. Der Name der preisgünstigsten Uhr wurde somit zum Namen des grössten schweizerischen und weltweit führenden Uhrenkonzerns mit 19 Marken unter ihrem Dach, darunter Prestige- und Luxusuhren wie Breguet, Blancpain, Omega, Longines, Rado - um nur diese zu nennen. Hayeks Uhrenimperium war innen und aussen perfekt. Der Berater, Weichensteller und Pionier wurde bald zum eigentlichen Konzernchef und (mit der ganzen Familie) zum weitblickenden Besitzer der neu aufgebauten Gruppe an deren Spitze heute die Tochter, der Sohn und ein Enkel stehen. Nicolas Hayek wusste auf geniale Art und Weise die Swatch als Weltmarke mit einzigartiger und einmaliger Ausstrahlung zu positionieren. Sie wurde zum leistungsstarken Zugpferd der Gruppe und der gesamten Branche.
Zeichen der Zeit erkannt
Die Uhrenindustrie wurde aus dem Dornröschenschlaf aufgeschreckt. Für die gesamte Branche begann eine neue Zukunft. Produktion, Beschäftigung und Exporte erreichen laufend neue Rekordzahlen. Auch in Zeiten der Stärke des Frankens und der Schwäche der Wirtschaft hält in der Uhrenindustrie der Aufschwung (vorerst jedenfalls) noch weitgehend ungebrochen an. Von Januar bis Oktober dieses Jahres haben die Exporte gegenüber der Vorjahresperiode um nahezu 20 Prozent zugenommen und über 15 Mrd. Franken erreicht. Ein neues Rekordergebnis wird in Aussicht gestellt. Der Umsatz der Swatch-Gruppe erreichte in den ersten neun Monaten dieses Jahres 3,36 Mrd Fr., über 11 Prozent mehr als in der Vergleichszeit des Vorjahres (zu konstanten Wechselkursen um über 27 Prozent). Der Bruttogewinn war gar um 24,5 Prozent auf 425 Mio. Fr. angestiegen. Umsatzzahlen für die Swatchuhren werden nicht veröffentlicht. Der weltweite Leader der Uhrenbranche wagt einen positiven Ausblick - allerdings begleitet von einer Einschränkung: Ein „anhaltend starkes Wachstum in allen Segmenten und Regionen“ wird in Aussicht gestellt, das aber durch die „ungehemmte Spekulation auf den Schweizer Franken“ doch gebremst wird, wie es bei Swatch heisst.