Noch 1950 war das Gebiet südlich der Hauptstrasse Luzern–Kriens weitgehend unverbaut. Einzig der Schienenstrang der heutigen Zentralbahn und die Strasse nach Horw, welche die Allmend mit der von Armin Meili projektierten Kaserne von den Sportplätzen und der Messehalle trennte, lassen im Rückblick die folgende Bebauungsgeschichte erahnen.
Eine Zeitreise
1955 setzte das erste Autobahnstück der Schweiz im Westen eine Begrenzung, die bis heute besteht und im Grunde zum städtebaulichen Problemfall geworden ist. Nach 1990 füllten gesichtslose Industrieanlagen das Feld zwischen der Autobahn und dem Bahntrassee und liessen Metastasen bis zum Horwer Seebecken wuchern.
Nach 2010 erfolgten die ersten chirurgischen Eingriffe, die Hoffnung auf Heilung keimen lassen. So wurde die Strecke der Zentralbahn bis zur Allmend in den Boden verlegt. Das aufgegebene Trassee wurde zum lauschigen und inzwischen rege frequentierten Rad- und Flanierweg ausgebaut. Ein Teil des Industriegürtels wurde für die Errichtung des Campus für Musik freigegeben. 2008 zog die Musikschule der Stadt in den ehemaligen Schlachthof ein, der vom Luzerner Büro TGS Architekten umgebaut wurde: der erste Baustein des neuen, der Musik und dem Theater gewidmeten Zentrums, das den Namen Südpol erhielt.
Kampus Südpol
Die Musikhochschule war in über die ganze Stadt verstreuten Gebäulichkeiten untergebracht, unter denen die ehrwürdige Villa im Dreilindenpark der attraktivste Standort war. Das erschwerte die Planung der Unterrichtseinheiten und war für Dozentinnen und Dozenten mit einem beträchtlichen Reiseaufwand verbunden.
Nach zahlreichen Anläufen gelang es 2012, in unmittelbarer Nachbarschaft zur städtischen Musikschule ein Grundstück für den Neubau der Musikhochschule zu reservieren. Aus dem Architekturwettbewerb ging 2014 das junge Luzerner Büro Konstrukt hervor, das sich mit dem renommierten Zürcher Team Enzmann Fischer zusammengeschlossen hatte. Dieses hatte in Luzern mit dem Armeeausbildungszentrum (1999) und dem Umbau des ehemaligen Postbetriebsgebäudes zur Universität (2011) prägende Artefakte schaffen können. Wenig später beteiligten sich beide Büros gemeinsam am Studienauftrag für einen neuen Hauptsitz des Luzerner Sinfonieorchesters, den sie für sich entscheiden konnten.
Orchesterhaus des Luzerner Sinfonieorchesters
Als eine Art Blickfang an der Arsenalstrasse steht der kubische, mit vertikal angeordneten Aluminiumelementen eingefasste Block, der als Probenhaus für das Luzerner Sinfonieorchester dient. Der Bedeutung nach erscheint das scharf geschnittene, kristalline Gebäude wie ein geheimnisvoller Ort für Auserwählte, die vorher über Musikschule und Studium die höheren Weihen für ein professionelles Ensemble erhalten haben.
Das Haus wird durch Betonscheiben angehoben und scheint zu schweben. An der Hülle abzulesen ist das Innere mit zwei niedrigen Geschossen und einem überhöhten Aufbau für den nicht öffentlich zugänglichen Probesaal, dessen Wände gänzlich mit Holzelementen verkleidet sind.
Das Gebäude für die Musikhochschule
67 Unterrichts- und Übungsräume, 80 Büroräume, sieben Besprechungszimmer, eine Bibliothek, ein Konzertsaal für 280 Personen, ein multifunktionaler Saal für 300 Personen, ein Klubraum für 100 Personen, ein Bistro – soweit das nüchterne Raumprogramm. Was nun hart am erwähnten Radweg in die Höhe gebaut ist, überrascht positiv, indem es trotz seines Volumens die Umgebung nicht optisch erschlägt. Dass der Block recht zierlich wirkt, ist auf die Textur der Fassaden zurückzuführen, die wie ein Gewebe den ganz in Beton gegossenen Körper verhüllt. Mit hellen Klinkerelementen sind verschiedene Muster gestrickt worden. Zusätzlich sorgen die unterschiedlichen Fensteröffnungen für visuelle Bewegung.
Der Grundriss ist in fünf Bahnen unterteilt, von denen die mittlere eine luftige Halle generiert, die sowohl Aufenthaltsflächen anbietet als auch mit skulptural anmutenden Treppenelementen die fünf Stockwerke verbindet. Auf beiden Seiten der Halle sind schalungsroh belassene Betonwände hochgezogen, welche schmale Kammersysteme ausscheiden. Diese dienen einerseits als Schleusen für die unterschiedlich grossen Übungslokale und Säle, kaschieren andererseits die Aufzüge und die Haustechnik.
Am edelsten ist der Konzertsaal «Salquin» ausgestattet, der eine vom Kern losgelöste Einfassung erhielt. Ein ausgeklügeltes Beleuchtungskonzept ermöglicht unterschiedliche Lichtstimmungen, wobei das Licht durch eine opake Schicht, die durch horizontale Stäbe rhythmisiert wird, sanft in den Raum gestreut wird. Multifunktional hingegen ist die Blackbox «Kosmos», der zweite Hauptsaal, der absichtlich nackt belassen wurde. Über diesen beiden Haupträumen erstreckt sich die grosszügige Bibliothek von Stirnwand zu Stirnwand. Auf der anderen Seite bilden das Bistro mit dem dunklen Jazz- und Clubraum eine Einheit.
Ein genialer Wurf ist die Signaletik (Konzept: Hi – Megi Zumstein & Claudio Barandun, Zürich; Ausführung: Megi Zumstein). Für die Schriftzüge ist eine eigene Schrift entwickelt worden. Für die Oberflächen der plastischen Lettern wählte Zumstein die Lackierungen ausgewählter Instrumente wie etwa eines Konzertflügels, eines Cellos, einer elektrischen Gitarre.
Und eine Zugabe
Bei Konzerten ist es üblich, dem Publikum eine Zugabe zu schenken. Das taten die Architekten ebenfalls, auf ihre Weise. In den schmalen Schichten mit den Schleusen und Aufzügen schufen sie insgesamt vier vertikale Hohlräume, die sie Klangtürme nannten. Was sich darin abspielen soll, ist den Musikerinnen und Musikern überlassen. Man kann darin üben und die besonderen Klangeffekte geniessen, aber es gibt auch die Möglichkeit, Klangforschung zu betreiben, was explizit auch zum Auftrag einer Hochschule gehört.
Fotos: Journal 21, Fabrizio Brentini