Können traditionelle Herrschaftssysteme einen demokratischen Staat gefährden? In Südafrika beschäftigt diese Frage derzeit das Parlament und die Gesellschaft. Der „Traditional Court Bill“ will die moderne Justiz mit Stammesgerichten verknüpfen, denen in Südafrika immer noch zahlreiche Dorfgemeinschaften unterstehen. Allerdings sei der Entwurf „verfassungswidrig“.
Nachwehen der Apartheid
Können die Menschen in ländlichen Regionen heute zwischen einem modernen oder einem traditionellen Gericht wählen, stünden sie nach der Absegnung des Gesetzes unter der Macht eines traditionellen chiefs. Rechtsexperten schlagen Alarm.
Vergangene Woche hielt das Parlament erstmals öffentliche Anhörungen ab. Seitdem der „Traditional Court Bill“ 2008 erstmals ins Plenum gebracht wurde, sorgte es für grosse Aufregung. Nach einem Aufschrei der Zivilgesellschaft wurde er fallengelassen, doch zu Beginn des Jahres nahm ihn das Parlament erneut auf. Diesmal scheint Justizminister Jeff Radebe überzeugt: Der Entwurf werde nicht wieder zurückgezogen.
Zusammen mit dem Congress of Traditional Leaders erntete er heftige Kritik. Sindiso Minisi-Weeks von der University of Cape Town sagt: „Das Gesetz verstösst gegen die Verfassung. Es beraubt 17 bis 21 Millionen ländlichen Menschen ihrer Rechte als südafrikanische Bürger.“ Das Rechtssystem in den überwiegend schwarz besiedelten homelands sei vom Apartheid-Regime installiert worden. Obwohl 18 Jahre Demokratie herrschten, werde diese mit dem neuen Gesetz durch ein ebenso repressives System ersetzt.
Frauen benachteiligt
Die Führerin der oppositionellen Democratic Alliance warnt: „Das Gesetz untergräbt die Demokratie, schafft eine Paralleljustiz und diskriminiert Frauen.“ Die grösste Gegnerin traditioneller Gerichte wurde Frauenministerin Lulu Xingwana. Laut ihr gründe der Entwurf auf kulturellen Praktiken – „aber nicht alle davon sind gut für unsere Bürger, vor allem für Frauen.“
Als Beispiele nennt sie die Zwangsheirat, die in manchen Zulu-Gemeinden gang und gäbe ist, oder die Praxis, bei der verwitwete Frauen automatisch an den Bruder des Verstorbenen weitergereicht werden. Der „Traditional Court Bill“ halte ein patriarchalisches System am Leben. Xingwana appellierte daher an das Unterhaus, von dem bald eine Entscheidung erwartet wird, das Gesetz nicht abzusegnen.
Patriarchalische Herrscher
Untypisch für einen Gesetzesentwurf in Südafrika ist die breite Masse, die sich dagegen verschworen hat. Die Gegner kommen diesmal sowohl aus der Inkatha Freedom Party und der Democratic Alliance als auch aus der Regierungspartei, dem African National Congress, selbst. Zu den Frauenbewegungen gesellten sich jüngst auch Gewerkschaften dazu. Zu den Strafen, die ein traditioneller Herrscher verhängen darf, zählen unter anderem Zwangsarbeit. Die Federation of Unions of SA sagte letzte Woche, dies verstoße gegen einen freien Arbeitsmarkt.
Der ideologische Einfluss traditioneller Führer ist ungebrochen. Über jede der neun grössten ethnischen Gruppen Südafrikas herrschen Könige und zahlreiche chiefs. In letzter Zeit wird diesen zunehmende Korruption nachgesagt. In der Region KwaShongwe verkaufte ein chief Landrechte an ein Minenunternehmen und 19 Menschen wurden ohne Entschädigung zwangsumgesiedelt.
Könige und Chiefs – Ideale der Apartheid
Am meisten Kopfzerbrechen macht der Regierung der Zulu-König Goodwill Zwelithini. Auf Kosten der Steuerzahler will er seinen Palast für 1,8 Mio. Euro erneuern lassen. Sein Sprecher verteidigte das Projekt: „Warum sollte es für unseren König schlecht sein, wenn auch Prinz Harry Millionen Pfund verprasst?“ Nolundi Luwaya, Forscherin für ethnische Studien, kritisiert die Regierung sarkastisch: „Vielleicht erkennt das demokratische Südafrika endlich das Ideal der Apartheid, demzufolge es keine schwarze Gemeinde ohne ihre chiefs gibt. Sie werden ihnen von der Regierung aufgezwungen.“