Die bunt und flächig gemalten Bilder irritieren. Sie erzählen scheinbar klar von schwarzen Menschen in Innenräumen, aus denen man aufs Meer blickt. Doch das Wesentliche geschieht nicht im Bild, sondern im Hintergrund.
Auf den ersten Blick könnte man glauben, man sehe Harmloses oder gar Idyllisches vor sich: Adrett gekleidete schwarze Menschen treffen sich in modern und nüchtern ausgestatteten Innenräumen oder draussen mit Blick auf das Meer. Die Szenen erinnern an theatralisches Bühnengeschehen. Die Menschen unterhalten sich, berühren sich und gehen verschiedenen Tätigkeiten nach, die wir nur schwer einzuordnen vermögen. Es könnte um Geschäfte, aber auch um Freizeit und Entspannung gehen. Die flächig gehaltenen Malereien sind bunt. Die Farben leuchten. Die Erzählweise wirkt schlicht, plakativ und beinahe naiv. Eine Szene, «The Cabin» betitelt, zeigt einen Kellner und einen Passagier. Eine andere spielt, mit Ausblick auf die stürmische See, auf Deck. Gewiss: Es handelt sich um eine Kreuzfahrt mit lauter Schwarzen als Teilnehmer. Der Titel dieser Bilderserie lautet «Le Rôdeur».
Dabei mag Lubaina Himid an ein zweifaches Publikum denken – an die weisse Mehrheit, welche die europäisch-westliche Kunstwelt noch immer weitgehend prägt, sicher aber auch an ihre eigene schwarze Umwelt, deren Angehörige in den Bildwelten nur selten in dieser selbstverständlichen und prominenten Weise als Protagonisten in Erscheinung treten. Der Zyklus «Le Rôdeur» wird zur Demonstration des politischen und kulturellen Selbstbewusstseins der Schwarzen in der europäisch-westlichen Gesellschaft. Der Lausanner Ausstellungstitel «So Many Dreams» gewinnt auf diese Weise einen klaren Sinn: Es sind wohl erst Träume, was Lubina Himid schildert.
Rückgriff auf Picasso und Hogarth
Diese Strategie prägt auch andere Werke Himids, die in der Lausanner Ausstellung zu sehen sind und die auch zeigen, wie sich die Künstlerin mit ihren Werken in die Geschichte der europäischen Kunst einschreibt. Damit unterstreicht sie die Wichtigkeit selbstbewusster Präsenz der Schwarzen in Kunst und Kultur. 1984 schuf sie die Installation «Freedom and Change», die Umkehrung von Picassos bekanntem Werk «Zwei Frauen laufen am Strand» (1922). Picasso zeigt das Rennen zweier leichtbekleideter weisser Frauen mit opulent-sinnlichen Formen. Himid macht daraus zwei bekleidete Schwarze. Ihre Kleider bestehen aus wiederverwendeten zusammengeklebten Stoffstücken. Was bei Picassso fehlt: Die Frauen führen vier kleine Hunde an der Leine. Und sie lassen, freudig und befreit tanzend, zwei winzige, halb im Sand vergrabene Männer hinter sich. Das zweite Beispiel, die Installation «A Fashionable Marriage» (1984–1986), bezieht sich auf William Hogarths um 1745 entstandene bitterböse Gesellschaftssatire «The Marriage à la Mode» und dabei auf die Szene «The Countess’s Morning Levé».
Lubaina Himid – da zeigt sich, dass ihr die Theaterwelt vertraut ist – baut die zahlreichen Personen der Szenerie in Pappfiguren nach. Die beiden Schwarzen, die Hogarth in Dienerfunktionen zeigte, gewinnen in ihrer Version an Statur und Kraft. Vor allem gibt Lubaina Himid dem lasziven Liebespaar Hogarths neue Gesichter: Ihre Installation zeigt – allerdings dezent und erst bei nahem Hinzutreten erkennbar – eine Affäre zwischen Roland Reagan und Margaret Thatcher.
Theatralik als Prinzip
Subtil ist die Subversion auch in der Installation «Old Boat, New Money», eine Gemeinschaftsarbeit Lubaina Himids mit der Musikerin und Komponistin Magda Stawarska-Beavan. Die an die Wand gelehnten schmalen Holzlatten zeichnen in wunderbar poetischem Rhythmus die Bewegungen einer Woge nach. Dazu erklingt eine das Meereswogen simulierende Tonspur. Die Holzlatten sind an den unteren Enden mit schönen kleinen Muscheln verziert. Es sind Kauri-Muscheln, eine traditionell-afrikanische Währung, die längst von Dollars abgelöst wurde. Himid dazu: «Hier spreche ich über die Währung, mit der gefangene Afrikaner bezahlt wurden. Über den Reichtum, der mit Sklaven gemacht wurde. Und über die Reisen über den Atlantik mit den riesigen Sklavenschiffen.»
Die Zusammenarbeit Himids mit der aus Polen stammenden, in England tätigen Komponistin Magda Stawarska-Beavan beschränkt sich nicht auf diese Installation. Tonspuren der Musikerin sind integraler Bestandteil vieler Werke Himids, die so die enge Begrenzung ihrer Arbeit als bildende Künstlerin aufbricht und hin zur Bühnenkunst ausweitet. In diesem Zusammenhang lassen sich auch die bemalten, in den Räumen verteilten Handkarren sehen. Sie verweisen auf den Thespiskarren als Merkmal nomadisierenden Tourneetheaters.
Musée cantonal des Beaux Arts, Lausanne. Bis 5. Februar. Katalog (englisch oder französisch) 30 Franken.