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Wenn wir also keine neue, sondern überhaupt eine Aussenpolitik brauchen, fragt sich nun: welche? Hier ist zunächst zu unterscheiden zwischen Mitteln und Zielen von Aussenpolitik. Die EU-Mitgliedschaft beispielsweise ist kein Ziel, sondern ein Mittel schweizerischer Aussenpolitik. Ziel ist die Förderung schweizerischer Interessen. Interessen im weiten Sinn - nicht im engen, unmittelbaren, zu einem bestimmten Zeitpunkt via breiteste Vernehmlassung bestimmten Sinn, was unweigerlich zum kleinsten gemeinsamen Nenner führt.
Allein schon die Geographie, geschweige denn gemeinsame Werte, Geschichte und vieles andere gebietet uns, eine offene Aussenpolitik zu führen. Keine autistische, Was-gehen-uns-eure-Fehler-an-Politik, welche in breiten Kreisen der Schweiz derzeit Urstände feiert. Dies leider nicht mehr nur bei den herrli(bergs)chen Patrioten auf der nationalistischen Rechten, sondern bis weit in Kreise hinein, welche traditionellerweise eine offene Schweiz befürworten.
Europa - vor kurzem noch im Parteiprogramm des Freisinns
Die heutigen Exponenten der im 19. Jahrhundert revolutionären und bis vor kurzem staatstragenden Partei sind daran zu erinnern, dass der EU-Beitritt, und damit eine breite Europapolitik im vorerwähnten Sinne, bis vor wenigen Jahren noch in ihrem Parteiprogramm stand. Dort hinein geschrieben von "Radikalen", welche sich hüteten, bei jeder europäischen Grippe - die es durchaus auch schon vor der gegenwärtigen Eurokrise gab - gleich den verängstigten Quarantänenclub der AUNS zu verstärken.
Ein ganz konkretes aber historisches Beispiel, was breite, über den Moment hinausdenkende Aussenpolitik hätte bewirken können, ist das schweizerische Agrarstatut. Als die Schweiz dem GATT, der Vorgängerorganisation der heutigen Welthandelsorganisation WTO, 1966 als Vollmitglied beitrat, wurde die Landwirtschaft auch in diesem multilateralen Rahmen noch bilateral verhandelt.
Die zahlreichen Ausnahmen vom freien Agrarhandel, welche die Schweiz so aushandelte, wurden damals als grosse Erfolge gefeiert. Der kleine, selbstversorgende David gegen die Agrargoliathe. Die Folgen tragen wir noch heute. Der damalige Schutz hat auch unproduktive Strukturen in der schweizerischen Landwirtschaft überleben lassen, welche nun umso härteren internationalen Winden - so im momentan hoch gepriesenen Freihandelsvertrag mit China - und in unausweichlich gewordenen künftigen Wirtschaftsverträgen mit der EU und den USA ausgesetzt sein werden.
Auf historische Perspektiven versteifen
Das alles bedeutet keineswegs, dass Aussenpolitik undemokratisch sein muss. Die direkte Demokratie mit Bezug auf die Ergebnisse von Aussenpolitik ist bekanntlich gut ausgebaut. Gegenüber aller Innenpolitik fällt indessen ein grosser Unterschied ins Gewicht.
Aussenpolitik wird mit Ländern und Organisationen betrieben, welche ihre eigenen Überzeugungen und politischen Wege haben. Sie muss also erstens vorausschauend und zweitens geduldig geführt werden. Beides ist für die Schweiz schwer möglich, solange wir institutionell nur unvollständig in den Prozess des ständigen politischen Gebens und Nehmens auf internationaler Ebene eingebunden sind. Schwer möglich auch, solange wir uns aussenpolitisch auf primär historische ("Neutralität", "fremde Richter" usw.) und innenpolitische ("Vögte in Brüssel", "Kavallerie aus Deutschland" usw.) Perspektiven versteifen.
Sinnkrise der Armee
Auch was unsere Sicherheitspolitik betrifft müssen wir uns in Zukunft international vernetzen. Bekanntlich leidet die Armee der neutralen Schweiz speziell unter der Sinnkrise nationaler Streitkräfte in einem nachhaltig befriedeten Europa. Wenn nicht die Landesgrenze verteidigen, was dann? Dass sich das auch Rekruten fragen, weiss dieser Chronist als ehemaliger stolzer und gallonierter Gebirgsfüsel aus den Erzählungen eines Sohnes, welcher kürzlich und freiwillig als 10-monatiger Durchdiener kaum sinnvolle, dafür viel Wachtarbeit verrichtete.
Auch hier ist zwischen Weg und Ziel zu unterscheiden. Die Mittel einer sinnvolleren schweizerischen Sicherheitspolitik können sowohl engere und direkte Militärkooperation im Rahmen der heute flexiblen NATO-Strukturen sein.
Ziel ist es, dem schweizerischen Milizheer durch sinnvolle internationale Kooperation, welche auch der Schweiz zugute kommt, wieder einen Daseinszweck zu geben. Wer hier aufschreit, weil er der meiner Meinung nach falschen Überzeugung ist, die Schweiz brauche überhaupt keine Armee, handelt zumindest logisch. Unverständlich ist aber wenn hier Neutralitätsgeheul ausbricht. Wenn man, wie der Schreibende, an einer glaubwürdigen schweizerischen Verteidigungspolitik festhält, dann ist auch ein grundsätzliches Ja zu schweizerischer Einbindung in die "Verteidigung des Vaterlandes" jenseits der Landesgrenzen der einzig ehrliche Weg.
So wie Schweden
Damit wäre zudem das gegenwärtige schweizerische Gripen-Dilemma gelöst. Wenn diese nicht nur als Luftpolizei für "Davos", sondern wirklich sinnvoll eingesetzt werden sollen, dann ja wohl in einem grösseren Luftraum als zwischen Emmen und Payerne. So wie das die Schweden mit ihren Gripen taten als sie die Flugzeuge zur Luftunterstützung der internationalen Militäraktion in Libyen einsetzten. Schweden, in der Vergangenheit ein ebenso traditioneller und stolzer Neutraler wie die Schweiz. Aber eben in der Vergangenheit.