«Staatsanleihen im Wert von vielen Hundert Milliarden müssen im Markt platziert werden, denn die Staaten müssen sich refinanzieren, um die Löcher, die ihnen die Banken gerissen haben, zu stopfen. In diesem simplen Spielchen verdienen sich die Banker schnell, phantasie- und risikolos nochmals krank und kranker.» So viel Eigenlob muss mal sein: das schrieb ich vor inzwischen zwei Jahren im Nachwort zu meinem Buch «Zaster und Desaster». Neben reiner Eitelkeit gibt es noch einen zweiten Grund, mich selbst zu zitieren: Offensichtlich liege ich mit meinen Prognosen nicht ganz daneben.
Ende der Fahnenstange
Von den 300 Milliarden Euro, die Finanzdienstleister Griechenland ausliehen, haben sie sich inzwischen weitgehend wieder getrennt. Wie bei den Bad Banks, in die bei der Finanzkrise I stinkende Haufen von wertlosem Derivategebastel von Zockerbanken abgeladen werden konnten, haben die Europäische Zentralbank (EZB) direkt und der Steuerzahler innerhalb der EU in Form von Rettungspaketen die finanziellen Folgen übernommen. Zum zweiten Mal in drei Jahren. Nur haben sich die Rahmenbedingungen inzwischen verändert. Durch jahrelange Misswirtschaft waren die meisten Industriestaaten schon vor der Finanzkrise I hoch verschuldet, inzwischen sind sie völlig verlumpt. Deshalb können sie nicht länger die beruhigende Rolle des «lender of last resort» spielen. Das bedeutet: Wenn alle Stricke reissen, rettet Vater Staat. Und wenn wirtschaftliche Leichgewichte wie Portugal, Irland oder Griechenland in Schieflage geraten, dann helfen Schwergewichte wie Deutschland, Frankreich oder Italien. Und über allem thronen als Gottvater die USA. Pustekuchen.
Die Sturmwarnung blinkt
Während einzelne Europa-Politiker die armen Rating-Agenturen zerschlagen oder verklagen wollen, als ob es etwas brächte, den Boten zu köpfen, nehmen die Finanzmärkte und selbst die Eurokraten verschreckt zur Kenntnis, dass auch Italien Schuldenprobleme hat. Als wäre das etwas Neues. In den USA sind offenbar die Politiker gewillt, die bevorstehende staatliche Zahlungsunfähigkeit am 2. August zum Anlass eines Showdowns nach Cowboy-Sitte zu nehmen: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Und schliesslich sind die meisten Banken zwar ihre Staatsschrottpapiere losgeworden, ihre immer noch äusserst dünne Eigenkapitaldecke kann diese Papierschiffchen aber problemlos in den Abgrund reissen, wenn sich das nächste finanzielle Unwetter entlädt. Das ist wieder einmal keineswegs «unvorhersehbar», sondern selbst für finanztechnische Laien mit etwas gesundem Menschenverstand und ohne Fernrohr bereits heute klar erkennbar.
Bella Italia
Während Italien noch brav seinen Anteil am griechischen Rettungspaket schultert, scheinen die Investoren nicht mehr so sicher zu sein, ob Berlusconi und Co. Gewähr dafür bieten, die Staatsschulden in der Höhe von 1800 Milliarden Euro (rund 120 Prozent des BIP, Platz zwei in Europa nach Griechenland, in absoluten Zahlen ein Drittel der gesamten europäischen Staatsverschuldung) verlässlich zu refinanzieren. Von zurückzahlen redet ja gar niemand, es geht nur darum, zu welchem Zinssatz Italien neue Staatspapiere los wird, mit denen alte Schuldenlöcher gestopft werden. 5,4 Prozent ist da der aktuelle Tarif, mal einfach ausgedrückt: ziemlich viel. Und eines ist klar: Eine Verdoppelung des Rettungsfonds von 750 auf 1500 Milliarden Euro, worüber offenbar die EZB nachdenkt, wird es nicht geben. Ein weiterer Indikator für die klare Krise ist, dass immer mehr Hedgefonds Wetten auf weiter steigende Zinsen für italienische Bonds abschliessen. Natürlich mit gehebelten Leerverkäufen, da auch diese finanzielle Massenvernichtungswaffe weiterhin legal ist.
Und Uncle Sam
Trotz China oder Japan sind die USA nach wie vor der Rettungsanker für Finanzschiffe bei heraufziehenden Stürmen. Natürlich gehen die Amis nicht pleite, wenn bis am 2. August keine Lösung für die staatliche Finanzkrise gefunden wird. Es werden dann lediglich Museen und Nationalparks geschlossen, die Infrastruktur bröckelt weiter vor sich hin. Aber, das kann schmerzlich werden, Staatsangestellte bekommen keinen Lohn mehr, und Empfänger staatlicher Sozialleistungen finden keinen Check mehr im Briefkasten. Ist kein Weltuntergang, kann aber einer werden. Denn mangels produktiver Industrie (ausserhalb der Landwirtschaft und ohne lediglich spekulative Gewinne im Finanzdienstleistungsbereich) ist die amerikanische Wirtschaft im Wesentlichen von Konsum getrieben. 20 Prozent des Konsums wird vom Staat alimentiert, von den berühmten Food-Stamps bis zu allen anderen Sozialleistungen für Minderbemittelte. Dieser Anker war also auch schon mal vertrauenserweckender.
Finanzmärkte sind irrational
Stellen wir uns wieder mal eine einfache Frage. Wieso kommen Börsen, Bankaktien, der Euro und der US-Dollar eigentlich ins Rutschen? Ist am Montag irgend etwas passiert, was man vergangenen Freitag nicht schon wusste? Sind Vesuv und Ätna ausgebrochen, wurde Kalifornien von einem Erdbeben heimgesucht? Nein. Was wir im Moment wieder einmal erleben, ist ein völlig irrationaler Finanzmarkt. Getrieben von Angst, Gier, Argwohn und Herdentrieb. Tausende von wohlbezahlten Analysten, Finanzkoryphäen und Chart-Spezialisten, alle Hersteller von Outlooks, Marktanalysen und Prognosen können auf die Delete-Taste drücken und alles, was sie in den letzten Monaten fabriziert haben, entsorgen.
Wenn es rutscht, dann rutscht es
Eine Weltfinanzkrise unterscheidet sich in einem Aspekt nicht von der Schieflage eines beliebigen Unternehmens. Geht es dem schlecht, kann es aus Gewohnheit, Tradition oder mangels Analysefähigkeit der Investoren noch eine Weile stehen bleiben, obwohl es eigentlich schon längst zum Untergang verurteilt ist. Aber eine einzige unbezahlte Lieferantenrechnung kann plötzlich dazu führen, dass alles ins Rutschen gerät und eine wilde Stampede einsetzt. Was genau auf den internationalen Finanzmärkten dieses Rutschen auslösen wird, ist schwer zu prognostizieren. Nennen wir es, in Anlehnung an die jüngste Finanzkrise, den Lehman-Faktor. Was aber klar ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass es bis Herbst 2011 einen solchen Faktor geben wird, liegt bei weit über 50 Prozent. Mal schauen, was wir zu dieser Prognose in zwei Jahren sagen werden.