Der dicke Wälzer von Thomas Piketty «Das Kapital im 21. Jahrhundert» liegt, meist ungelesen, auf jedem besseren Couchtisch. Kurz gefasst ein Machwerk, das aus Big Data das herausfiltriert, was die These stützen soll, dass Kapitaleinkommen schneller wachse als das Gesamteinkommen. Um das zu belegen, legt er beispielsweise bei einer zentralen Statistik das Startjahr auf 1975. Würde Piketty mit seiner Messung nur fünf Jahre früher beginnen, nämlich 1970, sähe die Kurve ganz anders, seine These nämlich nicht stützend, aus.
Allgemeiner Konsens
Alle diese Rattenfängereien stützen sich auf einen allgemeinen Konsens ab. Wenn, was richtig ist, akkumuliertes Vermögen zurzeit schneller wächst als das allgemeine Einkommen, dann entsteht dadurch eine «Gerechtigkeitslücke». Existiert diese, wobei wir die Definition des Begriffs «Gerechtigkeit» beiseite lassen, muss sie geschlossen werden. Womit? Natürlich, mit einer Sondersteuer.
Selbst der Internationale Währungsfonds ergeht sich gelegentlich in solchen Überlegungen, und viele verlumpende Staaten in der EU träumen davon, dass doch nur eine teilweise Enteignung von 10 Prozent des in Europa vorhandenen Privatkapitals die Schuldenlast der Staaten auf die ursprünglich heilig versprochenen 60 Prozent des BIP senken würde.
Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, die nicht über ein Vermögen von 10 Millionen oder (viel) mehr verfügt, hört den süssen Klang dieser Pfeifen gerne. Und natürlich spielen gerne immer neue Rattenfänger die gleiche Melodie. Aktuell ein 27-jähriger frischgebackener Assistenzprofessor der London School of Economics. In einem Interview im «Tages-Anzeiger» fordert Gabriel Zucman eine Sondersteuer von 30 Prozent. Auf alle Schweizer Exporte.
Aber hallo
Nach dieser Logik sollen alle Schweizer Exporteure, also letztlich die gesamte Schweizer Bevölkerung, mit einer drakonischen Strafsteuer belegt werden, weil einige einheimische Finanzinstitute das Geschäftsmodell «Beihilfe zu Steuerhinterziehung» noch nicht aufgegeben haben. Falls dem Jungprofessor die Zahlen nicht geläufig sein sollten: Bei Exporten von knapp über 200 Milliarden Franken im Jahre 2013 wären das satte 60 Milliarden Franken. Einfach mal so.
Wieso alle Schweizer Exporteure mit Steuerhinterziehung zu tun haben sollten, wer denn die 30 Milliarden bekäme und wer die Schweiz mit welchen Mitteln dazu zwingen würde, sie zu erheben – um solche Peanuts muss sich doch ein Professor nicht kümmern. Gleichzeitig räumt Zucman ein, dass die Steueroasen innerhalb der USA ein viel grösseres Problem als die Schweiz darstellen. Und dass durch völlig legale Steueroptimierung von multinationalen Konzernen viel mehr Steuersubstrat verloren geht als durch Steuerhinterziehung von reichen Privatpersonen.
Alles geht
Nehmt’s den Reichen weg und gebt’s den Armen. Die Reichen können es verschmerzen, und die Armen sind wenigstens weniger arm, und gerecht wäre es erst noch. Diese Forderung ist fast so alt wie die Menschheit. Dass solche Umverteilungsübungen nie wirklich die gewünschten Ergebnisse zeitigten, beeindruckt viele nicht weiter. Genauso wenig wie die Tatsache, dass wir in Europa weitgehend bereits in Umverteilungsmaschinen sitzen, bei Staatsquoten von durchschnittlich 50 Prozent des BIP.
Am wenigsten, dass die umverteilenden Staaten offensichtlich unverantwortlich und nicht wertschöpfend mit dem Umverteilungssubstrat umgehen und zudem unbezahlbare Schulden obendrauftürmen. Und dass schliesslich, wenn man den offiziellen Statistiken Glauben schenken will, der Anteil an relativ Armen oder zumindest Armutsgefährdeten an der Gesamtbevölkerung ständig zu- und nicht abnimmt.
Wegnehmen, das weiss man aus der gesamten Geschichte, ist der einfache Teil. Sinnvoll umverteilen, wertschöpfend anwenden, das ist der schwierige Teil. Deshalb bleiben sowohl Piketty wie Zucman sehr vage und wolkig, nachdem sie tapfer aus Big Data angeblich Belege herausdestilliert haben wollen, dass eine weltweite Sondersteuer von 10 Prozent oder eine Strafsteuer von 30 Prozent für die Schweiz eine gute und gerechte Sache sei.
Der Zeitgeist
Natürlich wird es niemals eine solche Weltsteuer und sicherlich auch keine Sonderstrafsteuer für die Schweiz geben. Aber die Gefahr besteht darin, dass diese Rattenfänger den Zeitgeist bedienen. Deshalb steht Pikettys 700-Seiten-Wälzer in der englischen Ausgabe auf den vorderen Rängen von Amazon, aktuell auf Platz 63. Aller verkauften Bücher!
Damit hat die sogenannte Wirtschaftswissenschaft einen neuen Tiefpunkt erreicht. Machwerke wie das von Piketty werden von Nobelpreisträgern wie Paul Krugman als «Meisterwerk» gewürdigt. Dummschwätzer wie Zucman findet Plattformen, um ihren hanebüchenen Unsinn unwidersprochen zu verzapfen.
Am schlimmsten aber ist: Kontrollkraken wie Fatca oder Automatischer Informationsaustausch, die Forderung nach völliger Abschaffung von Bargeld, der hemmungslose Zugriff von Staaten auf die finanziellen Verhältnisse ihrer Bürger, die zu Untertanen schlimmer als bei Orwell herabgestuft werden – all das findet unter Beifall aller Linken statt. Die sich ansonsten nicht einkriegen, wenn das Stichwort NSA, Totalüberwachung, Totalkontrolle heisst. Das alles ist wohl spätmarxistische Dialektik.
Oder deutsch und deutlich die Verabschiedung vom aufklärerischen Diskurs und sein Ersatz durch geradezu mittelalterliche Glaubensbekenntnisse. Unter dem Deckmantel pseudowissenschaftlicher Datenhuberei.