Der unbefristete Streik war von der Gewerkschaft ZNP (Bund der Polnischen Lehrer) schon lange angekündigt worden. Zwar fanden diverse Verhandlungsrunden mit der Regierung statt, blieben aber erfolglos. Obwohl die Gewerkschaftsführung die Hauptforderung einer massiven Lohnerhöhung etwas reduzierte, kam es zu keiner Einigung. Nach Angaben der Gewerkschaft hatten die Lehrpersonen in fast vier Fünftel der Schulen einem Streik zugestimmt.
Streik war absehbar
Am vorletzten Montag war es dann so weit. Über 15’000 Vorschulen, Grundschulen und Mittelschulen wurden bestreikt. Der Streik dauerte die ganze Woche unvermindert weiter an. Nach Angaben des Ministeriums war knapp die Hälfte aller Schulen betroffen, nach Zählung der Gewerkschaft über drei Viertel.
Einen speziellen Konfliktpunkt stellten die Examen an den Gymnasien dar. (In Polen sind die Gymnasien eine Vorstufe zum Lyzeum). Diese dauerten von Mittwoch bis Freitag. Die Regierung und die Schulverwaltung wollten diese Examen unbedingt durchführen, sie rekrutierten dafür auch schulfremdes Personal. Mit wenigen Ausnahmen konnten sie auch durchgeführt werden. Die streikenden Lehrpersonen versuchten nicht, diese zu verhindern, halfen sogar zum Teil selber mit.
Lehrer unterbezahlt und frustriert
Dass ausgerechnet die Lehrpersonen eine der grössten Streikaktionen in diesem Jahrhundert durchführen, ist kein Zufall. Polen kennt zwar durchaus eine Streiktradition – man denke nur an die Solidarnosc-Bewegung. Aber seit der Wende und vor allem seit dem wirtschaftlichen Aufschwung sind grössere Streiks selten geworden. Sie beschränken sich vor allem auf Staatssektoren, wo die Löhne weniger gestiegen, die Gewerkschaften aber relativ stark geblieben sind.
So haben zum Beispiel im Gesundheitsbereich Streiks von Krankenschwestern stattgefunden. Die Lehrpersonen haben sich bisher weitgehend zurückgehalten, der letzte grosse Streik wurde vor über 25 Jahren durchgeführt. Man hat sich eher individuell arrangiert, beispielsweise mit Zusatzverdiensten wie Nachhilfestunden die mageren Löhne aufgebessert. Das war auch aufgrund einer relativ geringen Anzahl von 18 Pflichtlektionen möglich. Trotz Erhöhungen in den letzten Jahren blieben die Grundlöhne tief. Sie machen je nach Qualifikation und Anstellungsbedingungen rund 55 Prozent bis 80 Prozent des Durchschnittslohnes aus.
Dass nun den Lehrpersonen der Kragen geplatzt ist und sie der Gewerkschaftsführung mit ihren relativ radikalen Forderungen so zahlreich gefolgt sind, hängt mit mehreren Faktoren zusammen. So stiess die überhastete und einseitige Schulreform der nationalkonservativen Regierung von 2016 auf wenig Gegenliebe. Zudem ermutigten die sozialen Verbesserungen der Regierung, etwa die grosszügigen Kinderzulagen, die Lehrpersonen, auch für sich eine wirklich spürbare Verbesserung zu fordern. Der deplatzierte Spruch eines Spitzenpolitikers des Regierungslagers, es gäbe ja für Lehrer kein Zölibat, führte denn auch umgehend zu bissigen Kommentaren im Netz.
Bevölkerung gespalten
Der Streik war in den Medien und in der Politik das beherrschende Thema und liess die Emotionen hochgehen. Umfragen zeigten, dass der Streik in der Bevölkerung etwa gleichviel Unterstützung wie Ablehnung fand. Das ist etwas überraschend, stellen doch die Streiks für viele Eltern eine Belastung dar. Zwar sind die Schulen verpflichtet, Kinder aufzunehmen und zu beschäftigen, wenn sie nicht zu Hause bleiben können. Aber auch so ist Stress angesagt, vor allem wenn die Streiks länger andauern sollten. In den sozialen Netzwerken gab es ebenfalls eine deutliche Spaltung. Einerseits harsche Kritik an den Lehrern, anderseits Verständnis für ihre schwierige Lage und ihr Engagement.
Insgesamt wird das Schulwesen eher positiv bewertet. Die Qualität der Schulen wurde zum Beispiel in einer Umfrage schon vor 10 Jahren mehrheitlich als gut eingeschätzt. Allerdings fielen die Resultate letztes Jahr etwa weniger positiv aus; die umstrittene Schulreform dürfte da bereits ihre Spuren hinterlassen haben.
Bei den direkt Betroffenen sieht das allerdings etwas anders aus. In einer letztes Jahr publizierten internationalen Studie gaben nur 33 Prozent der Viertklässler an, gerne zur Schule zu gehen. Im Durchschnitt aller Länder war es immerhin die Hälfte. Dieses nicht gerade berauschende Ergebnis dürfte mit dem noch weitgehend traditionellen Schulstil zusammenhängen. Pauken und Examen haben einen hohen Stellenwert. Dazu gibt es neben engagierten und kompetenten auch unmotivierte und ungeeignete Lehrpersonen, kein Wunder bei den Anstellungsbedingungen.
Die Reaktion der Politik
Die Regierung versuchte, den Streiks mit einer Art Doppelstrategie zu begegnen. Einerseits anerkannte sie, dass die Lehrpersonen besser entlohnt werden sollten, wies aber die Hauptforderung der Gewerkschaft – 30 Prozent mehr Lohn – als unerfüllbar zurück. Angeboten wurde eine Erhöhung von insgesamt knapp 15 Prozent 2019 und weitere Erhöhungen in den nächsten Jahren. Das war ihr letztes Angebot kurz vor dem Streik, und dabei blieb sie bis jetzt auch. Sie konnte damit allerdings nur die im Schulwesen relativ unbedeutende Gewerkschaftssektion der Solidarnosc auf ihre Seite ziehen, die auch sonst die herrschenden Nationalkonservativen der PiS (Recht und Gerechtigkeit) unterstützt.
Anderseits versuchte das Regierungslager, die Gewerkschaft ZNP zu diskreditieren. Es warf ihr vor, auf Kosten der Kinder egoistisch zu handeln, gar nicht wirklich kompromissbereit zu sein, nicht zuletzt aus politischen Motiven. Damit schuf sich die Regierung natürlich keinen Goodwill bei ihrem Gegenpart. Sie konnte aber damit rechnen, bei ihren Anhängern und den Unentschiedenen Punkte zu sammeln. Das ist der PiS vor den stark polarisierten Wahlen ins Europaparlament von Ende Mai besonders wichtig. Sie hat nicht zuletzt deswegen Ende Februar ein neues teures Paket von sozialen Reformen angekündigt, nachdem sie wegen diverser Affären unter Druck geraten war.
In den Umfragen hat die PiS wieder etwas Boden gut gemacht. Aber sie liegt in der Wählergunst nicht weit vor der KE, der Europäischen Koalition, einem breiten Oppositionsbündnis. Die Oppositionsparteien unterstützten den Lehrerstreik. Allerdings konnte die grösste Oppositionspartei, die PO, (Bürgerverständigung), nicht besonders glaubwürdig auftreten. Als sie die Regierung stellte, hatte sie die Lehrerlöhne auch nicht deutlich erhöht.
Wie weiter ?
Der Streik geht diese Woche weiter. Der Gewerkschaftschef Slawomir Broniarz forderte Verhandlungen unter Einbezug eines Vermittlers, um den zentralen Konfliktpunkt, die Lohnfrage, zu lösen. Er hielt an der Erhöhung von 30 Prozent fest. Allerdings deutete er an, man könnte diese stufenweise über das ganze Jahr hinweg einführen.
Premierminister Tadeusz Morawiecki hat seinerseits angekündigt, dass ein Runder Tisch nach den Ostertagen stattfinden soll. Dabei müssten die Probleme des Schulwesens grundlegend zur Diskussion gestellt werden und unter Einbezug aller Beteiligten neue Lösungen gesucht werden. Auch die Gewerkschaften sagten eine Teilnahme zu, betrachten dies aber als längerfristige Initiative und nicht als Ersatz für direkte Lohnverhandlungen.
Wie sich der Konflikt entwickelt, ist noch nicht absehbar. Der Streik dürfte noch einige Zeit weitergehen, bis ein für alle Seiten tragfähiger Kompromiss zustande kommt.