Der Krieg mit seinen Toten, Zerstörungen und Flüchtlingsströmen ist zurück in Europa. Im Nahen Osten herrscht die Barbarei. Die meisten Täter haben keine Strafe zu befürchten. Der Weltstrafgerichtshof hat seine erhoffte Abschreckungswirkung nicht erlangt, und auf eine überirdische Gerechtigkeit ist auch kein Verlass.
Seit 2002 besteht der Internationale Strafgerichtshof (ICC), doch seine Erfolge sind bescheiden. Bisher wurde nur ein früherer Kriegsherr aus der Demokratischen Republik Kongo rechtskräftig verurteilt. Gegen 36 mutmassliche Kriegsverbrecher aus mehreren afrikanischen Staaten laufen Untersuchungen und wurden Haftbefehle erlassen, darunter gegen den sudanesischen Staatschef Omar Al-Baschir und den Präsidenten Kenias, Uhuru Kenyatta. Das hat dem ICC den Vorwurf eingebracht, nur auf dem Schwarzen Kontinent aktiv zu werden. Fatou Bensouda, Chefanklägerin des ICC und frühere Justizministerin Gambias, hält solche Kritik für unfair. „Die afrikanischen Staaten haben selbst um das Eingreifen des ICC gebeten“, erklärte sie in einem Interview. „Wenn Sie sich die Verfassung der Afrikanischen Union ansehen, werden Sie feststellen, dass auch dort vom Kampf gegen die Straflosigkeit die Rede ist und davon, dass ihre Mitglieder unterstützt werden müssen, Verantwortlichkeit zu gewährleisten.“
Militärisch sinnlose Zerstörung Dresdens
Etwa sechs Millionen Todesopfer hat der „afrikanische Weltkrieg“ gefordert, dessen Epizentrum in der rohstoffreichen Demokratischen Republik Kongo und um die Grossen Seen liegt. Die Massaker, Massenvergewaltigungen und die Rekrutierung von Kindersoldaten gehen weiter, doch das Hauptaugenmerk der Öffentlichkeit wendet sich derzeit der Gewalt im Nahen Osten und in der Ukraine zu. Der syrische Bürgerkrieg mit seinen 190.000 Toten und mehr als neun Millionen Flüchtlingen, die israelischen Luftangriffe auf den Gaza-Streifen und zuletzt die Gräueltaten des „Islamischen Staates“ im Norden des Iraks pflügen die ganze Region um. Hinter der Gewalt zur Durchsetzung politischer oder wirtschaftlicher Ziele stehen Machtmenschen. Doch die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam. In Kambodscha dauerte es 35 Jahre, bis jetzt zwei der noch lebenden Anführer des Terrorregimes der Roten Khmer verurteilt wurden.
Die ersten Anläufe zu einer Weltjustiz, die der Straffreiheit von Verbrechern in Uniformen oder Nadelstreifenanzügen ein Ende setzen soll, reichen auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Der Siegeszug der Faschisten liessen diesen Bemühungen keine Chance. Neue Normen stellten nach dem Zweiten Weltkrieg die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio auf. Die Korrektheit der Verfahren konnte aber nicht einen Makel beseitigen: Die Sieger richteten über die Verlierer. Kriegsverbrechen der Alliierten, wie die militärisch sinnlose Zerstörung Dresdens durch Bomberverbände Grossbritanniens, der USA und Kanadas im Februar 1945, blieben tabu.
Ohne die USA, Russland, China, Israel, Indien
1993 und 1994 schufen die Vereinten Nationen Kriegsverbrechertribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda. Erstmals halten keine Siegermächte, sondern unparteiische Juristen aus verschiedenen Ländern Gericht über die Verantwortlichen des Blutvergiessens auf dem Balkan und des Völkermords in Ruanda. Die Prozesse sind noch längst nicht abgeschlossen.
Den eigentlichen Durchbruch erzielte die Weltjustiz am 17. Juli 1998, als eine überwältigende Staatenmehrheit auf einer Konferenz in Rom die Statuten eines Internationalen Strafgerichtshofs annahm. Nur sieben Staaten stimmten dagegen, darunter die USA, China und Israel. Der ICC wurde in Den Haag eingerichtet und war 2002 einsatzbereit, nachdem 60 Staaten die Römischen Statuten ratifiziert hatten.
Mittlerweile sind dem Weltstrafgerichtshof 122 Staaten beigetreten. Unter den Mitgliedern befinden sich alle EU-Staaten und die Schweiz, nicht aber die USA, Russland, China, Indien und Israel. Palästina, dessen völkerrechtlicher Status von der UNO aufgewertet wurde, erwägt den Beitritt. Die Palästinenser könnten dann die israelischen Bombenangriffe gegen den Gaza-Streifen und die Ausweitung der jüdischen Siedlungen in der Westbank aufs Tapet bringen.
Kontraproduktiver Strafgerichtshof?
Der ICC ist unabhängig von der UNO, aber durch zahlreiche Fussangeln mit der Weltorganisation verknüpft. So können Kriegsverbrecher aus Ländern, die dem ICC nicht beigetreten sind, nur durch einen Beschluss des UNO-Sicherheitsrats an den ICC überwiesen werden. Dies geschah im Fall des sudanesischen Präsidenten Al-Baschar.
Regierungen, die mit einem der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats verbündet sind, haben hingegen vom ICC nicht viel zu befürchten. Völlig immun sind die USA, Russland und China, denn sie können jeden Beschluss durch ihr Veto blockieren.
Seit einiger Zeit werden Anklagen gegen regierende Kriegsverbrecher und Massenmörder sogar als kontraproduktiv hingestellt. Mit diesem Argument verhinderte Russland im Sicherheitsrat eine Resolution, die dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Asad die Einschaltung des Weltstrafgerichts androhte. Es leuchte doch ein, dass sich Asad noch brutaler an die Macht klammern würde, wenn ihm als einzige Alternative eine Gefängniszelle in Den Haag bleibt.
Muss man also zwischen einem ungewissen Frieden und der Gerechtigkeit wählen? Die Befürworter einer Weltjustiz lehnen diese Sichtweise ab. Sie sehen im Gegenteil die Aufarbeitung schwerer Kriegsverbrechen, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genoziden und Aggressionen sowie die Bestrafung der Hauptverantwortlichen als unerlässliche Grundlagen eines echten Friedens. Im Moment jedoch schreckt das weltweite Verlangen nach Gerechtigkeit und Verantwortung potenzielle Verbrecher nicht sonderlich ab.