Seit dem 25. März bombardieren die Amerikaner Positionen von IS in der belagerten Stadt Tikrit jeweils nachts. Tagsüber sind es die wenigen und veralteten Sukhoi der irakischen Luftwaffe, welche die Bombardierungen fortsetzen sollen.
Das Eingreifen der Amerikaner ergab sich, nachdem die irakische Regierung offiziell darum ersucht hatte. In den Wochen zuvor, nach dem Beginn der Tikrit-Offensive am 2. März, hatte die Regierung nicht um Luftunterstützung gebeten, und die Amerikaner hatten auch keine gewährt. Doch die Offensive war zum Stillstand gekommen, und die irakische Regierung sowie die irakische Luftwaffe waren zu der Erkenntnis gelangt, die amerikanische Hilfe sei notwendig.
Hass auf Amerika bei den Milizen
Die schiitischen irakischen Milizen jedoch, welche den weitaus grössten Teil der Offensivtruppen stellen, sind nicht damit einverstanden, dass die Amerikaner helfend eingreifen. Drei von ihnen, die zu den radikaleren Gruppen gehören, haben beschlossen, angesichts der Mitwirkung der USA die Offensive zu boykottieren. Sie erklären, aus ihren Standquartieren im Raum rund um Tikrit wollten sie nicht abziehen; sie weigern sich jedoch, an die Front zu ziehen und an den Kämpfen teilzunehmen. Die drei nennen sich: Nujabaa Brigade, Asaib alHaq; und Friedensbrigade.
Von der ersten ist bekannt, dass sie Kämpfer nach Syrien entsandt hatte, um auf Seiten Asads zu kämpfen. Die «Friedensbrigade» ist ein neuer Name für die einstige Mahdi-Armee, die Muqtada Sadr unterstand und zur Zeit der amerikanischen Besetzung des Iraks den Amerikanern heftige Kämpfe lieferte. Sadr ist nach wie vor ihr Patron. Alle drei gelten als eng mit Iran verbunden. Alle drei sollen iranische Berater haben. Ein Sprecher der «Friedensbrigade» sagte, seine Leute würden nicht mehr mitkämpfen, weil die «sogenannte internationale Allianz einerseits dazu dient, IS zu beschützen, andrerseits die Erfolge der Iraker zu verdunkeln.»
Badr-Brigade noch ohne Entscheidung
Die wichtigste der Milizen, die vor Tikrit stehen, ist die Badr-Brigade. Sie alleine soll die Hälfte der Mannschaften stellen, die an der Offensive teilnehmen. Die Badr-Sprecher erklären, sie hätten noch nicht beschlossen, ob sie an dem Boykott teilnehmen wollten oder nicht. Der irakische Ministerpräsident al-Abadi war, wie er selbst am Fernsehen erklärte, an die Front von Tikrit gereist, um den Chef der Badr-Miliz, Khaled al-Ameri, davon abzuhalten, an dem Boykottteilzunehmen. Auch die Badr-Miliz gilt als eng mit Iran verbunden. Ursprünglich bestand sie aus irakischen Flüchtlingen und Überläufern im Irakisch-Iranischen Krieg (1980-88), die sich auf der iranischen Seite sammelten und dort 1982 eine pro-iranische Streitmacht bildeten. Nach der amerikanischen Invasion von 2003 waren sie nach dem Irak heimgekehrt. Doch ihre Bindung an Iran blieb bestehen.
Die Badr-Brigade bildet den Kern einer politischen Partei, die sich Badr-Organisation nennt und in der irakischen Regierung durch ihr Oberhaupt, Hadi al-Ameri, vertreten ist. Dieser dient als Transportminister, und einer seiner engsten Parteigenossen wurde Innenminister. Wenn die Badr-Milizen sich abrupt aus der Tikrit-Offensive zurückzögen, könnte sich dies für die gesamte Operation als katastrophal erweisen.
Verachtung für die Armee
Bevor der Boykottbeschluss gefasst worden war, hatten einige der Sprecher von Milizen sich spöttisch über die offizielle irakische Armee ausgesprochen. Viel zitiert wurde Khaled al-Ameri, der sagte, nur Schwächlinge wie einige Kommandanten der irakischen Armee würden eine Intervention der amerikanischen Luftwaffe fordern. «Wir glauben, dass sie unnötig ist.» In der Tat waren es die regulären Militärs, die der Regierung klar gemacht hatten, dass sie der Hilfe der Amerikaner bedürften. Sie sind es auch, die sie nun willkommen heissen. Doch ihre Truppen bilden nur eine kleine Minderheit der Mannschaften, die vor Tikrit stehen.
Nach dem Eingreifen der Amerikaner wurde im Irak gemeldet, ihre Flugzuge hätten in einem Dorf vor Tirkit, Albu Ageel, sechs Milizia-Soldaten und drei Mitglieder der nationalen Polizeikräfte getötet, einer der Polizisten sei ein Oberst gewesen. Die Amerikaner erklärten, der Vorfall werde untersucht. Solche Vorfälle dienen den Propagandisten der pro-iranischen Seite natürlich dazu, Behauptungen wie die oben erwähnte des Chefs der «Friedensbrigade» als zutreffend darzustellen.
Ob der Boykott der schiitischen Milizen wirklich auf sie alleine zurückgeht, oder ob es sich um einen durch die Amerikaner erzwungene oder gewünschte Zurücknahme der Milizen handelt, die unter iranischem Einfluss stehen, ist nicht ganz klar. Es gibt Berichte aus Amerika, nach denen die Amerikaner klargestellt hätten, sie wollten mit der irakischen Armee zusammenarbeiten, nicht mit den Milizen. Dies sei die Vorbedingung für das Eingreifen ihrer Luftwaffe.
Misstrauen gegen Sunniten
Schon vor diesen Auseinandersetzungen zwischen den Amerikanern und den schiitischen Milizen war es zu Spannungen gekommen. Es ging um Behauptungen, wonach die Milizen in sunnitischen Ortschaften, die sie von IS «befreit» hatten, Massaker und Plünderungen durchgeführt hätten. Dies meist unter der Anschuldigung, die Bewohner der betroffenen Ortschaften hätten IS geholfen und mit dem Feind paktiert. Sowohl Menschenrechtsorganisationen wie auch amerikanische führende Offiziere hatten öffentlich davon gesprochen, dass das Betragen der schiitischen Milizen kontraproduktiv sei, weil es die sunnitische Bevölkerung dazu bringe, weiterhin eher mit IS als mit dem irakischen Staat zusammenzuarbeiten.
Die Abadi-Regierung, besonders der Regierungschef selbst, unterstreicht in der Öffentlichkeit, dass sie gewillt sei, die irakischen Sunniten mit einzubeziehen und ihre Interessen zu berücksichtigen. Doch die Parlamentarier, auf die sich die Regierung stützt, sind in erster Linie Schiiten. Abadi sebst gehört zur gleichen Partei wie sein Vorgänger Nuri al-Maleki, dessen einseitig pro-schiitische und anti-sunnitische Politik, als einer der Gründe der Zugkraft von IS unter den irakischen Sunniten gilt.
Es gibt Pläne, den Sunniten Mittel zur Selbstverteidigung zu gewähren, so dass sie sich gegen IS verteidigen könnten, ohne die von ihnen nach wie vor mit Misstrauen angesehene irakische Armee oder gar die ihnen zutiefst verhassten schiitischen Milizen als «Besetzer» in ihren Gebieten zulassen zu müssen. So sollen sie etwa bewaffnete Gruppen zur lokalen Verteidigung bilden. Doch diese Projekte sind im Parlament blockiert. Die schiitische Mehrheit der Abgeordneten fürchtet, die Sunniten zu bewaffnen könnte zu deren Abspaltung vom irakischen Staat, ähnlich wie jene der Kurden, führen.
Krieg Nummer vier im Nahen Osten
Ein weiterer Krieg im Nahen Osten hat soeben begonnen. Nach den Kriegshandlungen in Syrien, im Irak, in Libyen haben nun auch solche in Jemen begonnen. Die Saudis sind zu Luftangriffen in allen nördlichen Teilen Jemens übergegangen. Ihr Hauptziel sind zunächst Basen und Flughäfen, die von den Huthis und den Teilen der jemenitischen Armee, die mit den Huthis zusammenarbeiten, benützt werden. Doch werden bereits über dreissig Todesopfer unter den jemenitischen Zivilisten gemeldet. Saudi-Arabien scheint entschlossen, den nun begonnen Krieg gegen die Huthis in Jemen solange zu führen, bis diese sich zum Verhandeln entschliessen. Vorläufig tun sie das nicht.
Der aus Aden geflüchtete Präsident al-Hadi ist in Riad aufgetaucht und wurde dort vom saudischen Kriegsminister empfangen. Er soll nach Scharm al-Scheich weiterreisen, um dort an dem pan-arabischen Kriegsrat teilzunehmen, der übers Wochenende geplant ist.
Weite Allianz um Saudi Arabien
Ob die Saudis auch Bodentruppen nach Jemen entsenden werden oder ob sie sich mit Luftschlägen begnügen, haben sie bewusst offen gelassen. Sie drohen, sie würden alles tun, was notwendig sei, um die Huthis zurVernunft zu bringen.
Saudi-Arabien hat eine grosse Alianz unter den willigen Arabern gebaut, die sie am kommenden Wochenende in Sharm al-Scheich noch festigen und formalisieren wollen. Die meisten Staaten der arabischen Welt billigen ihre Aktion. Nur der Irak hat sie vorsichtig abgelehnt in Anlehnung an Iran, wie die Saudis nicht verfehlen werden hervorzuheben. Syrien ist derzeit aus der Arabischen Liga ausgeschlossen. Das Regime von Damaskus ist ebenfalls zu den Freunden Irans und daher Kritikern der saudischen Aktion zu rechnen. Libanon dürfte es vermeiden, allzu deutlich Stellung zu nehmen. Das Land ist gespalten in pro-saudische und pro-iranische Kräfte und versucht dennoch, als Staat zu überleben.
Eine Rolle für Ägypten?
Doch für Ägypten ist die Saudi-Kriegsaktion und die damit verbundene Bündnispolitik ein Geschenk. Präsident al-Sissi hat bereits früher versucht, eine pan-arabische Streitkraft zur Bekämpfung des Extremismus anzuregen. Er ist dabei auf keinen grossen Widerhall gestossen. Doch nun bildet sich eine solche Streitmacht unter saudischer Führung, und Ägypten hat sich sofort bereit erklärt dabei mitzuwirken und seine Armee, Luftwaffe und Marine zur Verfügung zustellen.
Da Ägypten die grösste Armee der arabischen Welt besitzt, aber auch darauf angewiesen ist, sich von den arabischen Erdölstaaten finanziell unterstützen zu lassen, bietet sich für die ägyptische Führung eine Gelegenheit, eine positive Rolle in der arabischen Welt zu spielen und sich sogar möglicherweise zum unentbehrlichen Partner aufzuschwingen. Die Unterstützung, die das Niltal braucht, wird dann nicht mehr als Wohltätigkeit, sondern als Gegenleistung für die ägyptische Rolle innerhalb der arabischen Welt eingestuft werden.
Natürlich denkt sich die ägyptische Führung, dass die gemeinsamen «Anti-Terror»-Aktionen nicht auf Jemen beschränkt bleiben, sondern auch anderweitig, zum Beispiel in Libyen, zum Zug kommen könnten.
Iran in Warteposition
Iran als der Gegenspieler Saudi-Arabiens hat sich zunächst vorsichtig geäussert. Teheran sei gegen die saudische Aktion, weil sie einen Eingriff in die Souveränität Jemens bedeute, hiess es dort. Das schliesst natürlich nicht aus, dass Iran den Huthis unter der Hand helfen könnte, wenn sich die Konfrontation in Jemen zu einem lang hingezogenen Guerillakrieg entwickeln sollte. Dies ist wahrscheinlich, falls die Saudis Bodentruppen nach Jemen entsenden. Doch zunächst werden sie dies zu vermeiden suchen und sich höchstens mit kleinen Inkursionen über die Nordgrenze Jemens begnügen. Solche grenzüberschreitende Kriegsaktionen würden die Huthis in ihrem Herzgebiet treffen.
Die Amerikaner billigen die saudische Aktion und haben Hilfe mit Munition und anderem Kriegsmaterial zugesagt. Doch einen direkten Eingriff in Jemen suchen die Amerikaner zu vermeiden.
Kalkulationen des Ex-Präsidenten
Hinter den Huthis stehen Ali Abullah Saleh und die Teile der jemenitischen Armee, die ihm zuneigen. Der Ex-Präsident hat schon früher erwähnt, er habe den Huthis mit Ratschlägen geholfen. Ratschläge wird er auch nun zu erteilen haben. Zunächst wird er wohl zum Widerstand raten, jedoch später eventuell auf Verhandlungen einlenken, wenn er die Saudis für genügend ermüdet hält, dass sie sich bereit finden könnten, seinen Plänen für die Präsidentschaft seines Sohnes Gehör zu leihen. Was dann mit den Huthis geschieht, dürfte ihm unwichtig sein.